Abstract
Ziel: Bei einem vollständig immobilen Patienten mit einem Hinterkopfdekubitus Grad 4 nach NPUAP ist es unerlässlich ein Antidekubitusystem mit permanenter Freilagerung anzuwenden, um eine Wundheilung zu erzielen.
Methodik: Die Freilagerung des Dekubitus erfolgt durch permanent entleerte Luftzellen des Antidekubitussystems.
Diskussion: Würde das Erhöhen der Lagerungsintervalle eine Wundheilung begünstigen? Ist der Einsatz von Lagerungskissen oder Ringkissen von Vorteil?
Conclusio: Weder die Erhöhung der Lagerungsintervalle, noch der Einsatz von Lagerungskissen begünstigen die Wundheilung maßgeblich. Es geht deutlich hervor, dass durch den Einsatz einer Antidekubitusmatratze mit individueller Kammerentlüftung die Wundheilung deutlich beschleunigt wurde. Dadurch ist eine forcierte Defektheilung am Hinterkopf (Dekubitus Grad 4 nach NPUAP) erfolgt.
Methodik
Bei dieser Falldarstellung wurde ein Antidekubitussystem der Fa. Linetgroup/Wissner Bosserhof verwendet. Bei der Serie der Matratze handelt es sich um die Virtuoso 3 aus dem Baujahr 2019. Die Type ist die Virtuoso Pro. Bei dieser besteht die Möglichkeit jede Luftzelle mit den seitlich eingebauten Steuerventilen zu entleeren. Die Matratze hat 21 Luftzellen mit 21 Steuerventilen an der Matratzenseite. Jedes Luftkissen kann einzeln entleert werden. Damit ist die vollständige Freilagerung des Wundgebietes möglich. Der Patient liegt für 24 Stunden auf diesem Antidekubitussystem und im Hinterkopfbereich wird ein Luftkissen entleert. Als Therapieeinstellung wurde eine Wechseldrucktherapie gewählt. Zusätzlich ist der Patient in einem 2-4 Stunden Lagerungsintervall gelagert worden. Im Bereich des Wundgebietes wurde auf weitere Lagerungskissen vollständig verzichtet.
Einleitung
Die Entstehung eines Dekubitus spiegelt grundsätzlich die Qualität in einer Pflegeeinrichtung wider. Die Lokalisation ist ein wichtiger Parameter für die Entstehung eines Dekubitus. Das Risiko, einen Dekubitus am Hinterkopf zu erlangen, ist mit 5% (ENPUAP) an sich, sehr gering. Das Risiko einen Dekubitus zu erleiden, beträgt zwischen 7 – 38% (National Pressure Ulcer Advisory Panel et al. 2001) im Krankenhaus oder Pflegeheimbereich. In den letzten Jahrzehnten ist durch eine große Anzahl verschiedener pflegerischer und interdisziplinärer Tätigkeiten, Schulungen und Weiterbildungen die Entstehung eines Dekubitus gesunken. Durch den Einsatz von Präventionsmaßnahmen wird das Risiko einen Dekubitus zu erwerben um bis zu 73% reduziert. Bei einem Dekubitus können die Behandlungskosten sich in kurzer Zeit stark erhöhen, denn die Kosten zur Behandlung eines Dekubitus steigen mit der Höhe der Klassifizierungsgrade nach NPUAP. Die Gesamtkosten in Europa werden mit 25 Millionen Euro pro Jahr beziffert und das sind 17% der Totalkosten in der EU. Bei einem Dekubitus handelt es sich immer um eine längere Behandlung. Dadurch ist der Einsatz von verschiedenen Fachdisziplinen zur Einleitung der Wundheilung von großer Wichtigkeit. Folgende Fachdisziplinen waren an der Wundbehandlung beteiligt. Ein Wundmanager, ein plastischer Chirurg und eine erfahrene diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin haben das Wundmanagement an die maximale Leistungsgrenze herangeführt. Trotz der engen Zusammenarbeit der verschiedenen Fachexperten auf dem Gebiet der Wundheilung erfolgt keine Besserung des Krankheitsbildes.
Falldarstellung
Alter: 69 Jahre
Geschlecht: männlich
Größe/Gewicht: 180cm/80kg – BMI 24,7
Norton Skala: 9
Dekubitus: -Dekubitus Grad 4 nach NPUAP occipital
Oktober 2017, ein Mann stürzt von der Leiter und erleidet dabei schwerste Verletzungen im Kopfbereich sowie Körper und den unteren Extremitäten. Nach diesem Sturz war der Erhalt der lebenswichtigen Körperfunktionen der Fokus der intensivmedizinischen Betreuung. Im Februar 2018 verließ der Patient die Intensivstation mit einer Tetraplegie und künstlicher Beatmung in eine Pflegeeinrichtung, die für dieses Krankheitsbild spezialisiert ist. In der Rehabilitationsphase galt es den Patienten zu unterstützen, doch leider war dies nicht in angemessener Weise möglich. Ein anfänglich kleiner Hautdefekt entwickelte sich am Hinterkopf zu einem ausgeprägten Dekubitus Grad 4 (NPUAP). Der Patient lag auf einer Antidekubitusmatratze ohne die Möglichkeit Luftzellen zu entleeren. Der Patient wurde alle 2-4 Stunden nach den stationsüblichen Lagerungsintervall gelagert. Um dem Wundgebiet den Druck maximal zu verteilen ist mit verschiedenen Lagerungsringen und Kissen gearbeitet worden. Der Hautdefekt mit einer Größe von 2x2cm Dekubitusgrad 2 nach NPUAP, wurde mit der Zeit zu einem großen inflammatorischen Dekubitus Grad 4 nach NPUAP. Die Fotodokumentation erfolgt ab dem Dekubitusgrad 4, da es für den beginnenden Dekubitus keine Fotodokumentation angefertigt wurde.
Die erste Fotodokumentation erfolgte am 19.2.2018 und zeigt folgendes Wundbild:
Dekubitus Grad 4 nach NPUAP occipital, Wundgröße 12x11cm und eine Tiefe von 2cm bis zum Schädelknochen, ist inflammiert und sondert ein übel riechendes trübes Sekret ab, ist flächig mit putridem stark haftenden Belag bedeckt, zusätzlich ist eine 2x2cm nekrotische Hautstelle in der unteren linken Hälfte des Dekubitus sichtbar, sowie eine 1x2cm nekrotische Stelle in der unteren rechten Hälfte des Dekubitus, die Wundränder sind klaffend, unterminiert und vulnerabel im oberen Rand des Dekubitus.
Therapie und Verlauf:
Der Patient verbringt im Zeitraum der Aufnahme 3.2.2018 bis 6.3.2019 auf einer Antidekubitusmatratze mit einer 2-Zelltechnologie und einem 10 Min. Intervall ohne individuelle Luftzellenentleerung. Bei dem Material des Bezuges handelt es sich um Polyurethan kombiniert mit Polyester, zwei Wege-Stretch-Funktion, ohne Mikroklimamanagement. Die Wundtherapie erfolgte durch eine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Wundmanager und einen plastischen Chirurgen. Die Wundtherapie erfolgte über diesen langen Zeitraum mittels verschiedenen Wundreinigungsmitteln, speziellen Wundverbänden und Fixierungsmaterialien. Die Wundbehandlung wurde durch eine Niedriglasertherapie, einer Niederdrucktherapie und chirurgische Nekrektomien erweitert.
Nach dieser maximalen Ausschöpfung der Behandlungstherapie zur Wundheilung ist keine Wundheilung über 13 Monate eingetreten.
Am 6. März 2019 wechselt der Patient auf ein neuartiges Anitdekubitussystem. Das Wundmanagement und das momentane Setup bleibten vollständig gleich.
Das Antidekubitussystem funktioniert auf 3-Zelltechnologie mit 7,5 min. Intervall und individueller Luftzellenentleerung. Bei dem Material des Bezuges handelt es sich um Dartex MIC200 und beinhaltet ein Mikroklimamanagment. Bei der Therapiematratze wurde im Kopfbereich eine Kammer entlüftet, um für 24 Stunden eine Freilagerung des Hinterkopfes zu gewährleisten.
12.3.
Verlauf:
Wundbeschreibung am 12.3.2019:
Dekubitus Grad 4 nach NPUAP occipital
Wundgröße: 10x1cm und eine Tiefe von 2cm, ein übelriechendes trübes Sekret wird abgesondert, sichtbar flächige Fibrinbeläge liegen über den Wundgrund und ist mit einem flächig putridem schwach haftenden Belag bedeckt. Eine 4x2cm nekrotische Hautstelle ist in der unteren linken Hälfte des Dekubitus sichtbar. Eine 3x2cm nekrotische Stelle in der oberen rechten Hälfte des Dekubitus, sowie klaffende unterminierte vulnerable Wundränder am unteren Rand des Dekubitus sind zu erkennen.
26.3.
Wundbeschreibung am 26.3.2019:
Dekubitus Grad 4 nach NPUAP occipital
Wundgröße: 10x10cm und eine Tiefe von 1cm mit geringem Gewebsverlust und ein abklingen des inflammierten übelriechenden Exsudats sind deutlich erkennbar. Der Rückgang der putriden Beläge und Beginn der Epithelisierung erfolgt. Die 2x2cm nekrotische Hautstelle im oberen Bereich des Dekubitus ist von den bland verlaufende Wundränder begrenzt.
Wundbeschreibung am 11.4.2019:
Dekubitus Grad 3 nach NPUAP occipital
Wundgröße: 9x9cm und eine Tiefe von 0,5cm. Die vollständige Epithelisierung, geringfügig Exsudatbildung und der geringe Anteil an putride Beläge zeigte sich auf dieser Fotodokumentation. Beidseitig des Dekubitus sind zwei 2x2cm große nekrotische Hautstellen erkennbar.
16.5.
Wundbeschreibung am 16.5.2019:
Dekubitus Grad 3 nach NPUAP occipital
Wundgröße: 8x8cm und eine Tiefe von 0,5cm vollständige Epithelisierung. Die zwei Nekrosen beidseitig des Dekubitus ist mit einer Größe von 2x1cm wurden im weiteren Verlauf von einem plastischen Chirurgen entfernt. Der Haarwuchs hat sich deutlich über die Wundränder erhöht und stellt kein Problem mehr da.
Diskussion
Die individuelle Anpassung mit einem hochwertigen Antidekubitussystem an die anatomischen Gegebenheiten eines Patienten ist unverzichtbar bei Patienten mit einem Dekubitus. Die exponierte Stelle kann nur so optimal versorgt werden. Die zusätzliche 3-Zelltechnologie in der Wechseldrucktherapie reduziert die Dauer des Auflagedruckes auf Nulldruck . Das Erstellen der NPUAP-Guidelines basiert auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Druckprävention und die Einschätzung des Dekubitusrisikos. Dadurch verwendet man hochwertiges schwer rutschfähiges aber 4-Weg-Strech Datexmaterial um Reibung und Scherkräften entgegenzuwirken. Die Materialkosten zur Einleitung der Wundheilung über diesen Zeitraum haben sich auf mehrere tausende Euros summiert. Die Personalkosten zur Durchführung dieser speziellen Maßnahmen wurden nicht eingerechnet oder berücksichtigt. Ein verkürztes Lagerungsintervall hätte die Personalkosten erhöht, hätte aber vielleicht das große Ausmaß an Kosten zur Wundheilung herabgesetzt. Der Einsatz von Lagerungsringen und Lagerungskissen um das Wundgebiet zu entlasten hat die Geschwindigkeit der Entstehung dieses Dekubitus reduziert, jedoch hat es zu keiner Wundheilung beigetragen.
Fazit:
Nach nur 7 Tagen konnte eine deutliche und bisher ausgebliebene Wundheilung festgestellt werden. Die individuelle Freilagerung gefährdeter oder defekter Stellen durch eine Luftzellenentleerung ist unabdingbar. Den Fokus unter Einsatz von Antidekubitussystemen ist zusätzlich eine weitere Säule der Wundbehandlung.
Interessenkonflikt
Der Autor hat keinen materiellen oder ideellen Interessenkonflikt.
Quellenangabe
The incidence, risk factors and characteristics of pressure ulcers in hospitalized patients in China
http://www.ijcep.com/files/ijcep1402017.pdf
A new pressure ulcer conceptual framework, 2014, 10.1111/jan.12405
https://www.pubmed.de/gateway/nlm-pubmed/
https://www.npuap.org/wp-content/uploads/2012/01/Terms-and-Defs-Feb-5-2019-FINAL-3.12-2.pdf
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Pressure ulcer prevention in hospitals: a successful nurse-led clinical quality improvement intervention, Fremmelevholm a., Soegaard K, 2010
Pressure prevention prevalence and prevention rates in Abu Dhabi: an update, Tariq G, Hamed J, George B, Cruz S, Jose J, 2013
KOSIAK M., Etiology of pressure ulcers, 1961