„Wir haben es uns verdient“

12. Mai 2020 | Christophs Pflege-Café | 0 Kommentare

Heute wäre der 200. Geburtstag Florence Nightingales. Es ist sicher angebracht, sie als Begründerin der modernen Krankenpflege zu bezeichnen. Dies ist auch eine Motivation für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gewesen, das Jahr 2020 zum Jahr der Pflegenden und Hebammen zu erklären. In diesen Tagen habe ich nicht nur häufiger Nightingales „Bemerkungen zur Krankenpflege“ in die Hände genommen. Meine Absicht ist es gewesen, danach zu schauen, welche Aktualität Nightingales im 21. Jahrhundert hat.

Es wundert mich nicht, dass die „Bemerkungen zur Krankenpflege“ aktueller denn je sind. Schließlich ging es der britischen Krankenschwester, die zwischenzeitlich auch im rheinischen Kaiserswerth gearbeitet hat (heute ein Stadtteil Düsseldorfs), in dem beeindruckenden zeithistorischen Dokument um das Selbstverständnis Pflegender. Ihr Wunsch, dass Pflegende nichts anderes als Pflegen tun sollten, muss schon unmittelbar nach dem Erscheinen im Jahr 1859 eine Provokation gewesen sein.

Nichts anderes als zu pflegen – was bedeutet dies wohl? Zu einem genuinen Handeln Pflegender gehört Fachlichkeit. Fachlichkeit lässt sich nicht mit der Aussage abbilden, dass jede und jeder, die oder der nur will, pflegen kann. Fachlichkeit ist mehr als nur Mitmenschlichkeit. Fachlichkeit bildet eine langjährige Qualifizierung ab. Sie zeigt sich durch Schnittmengen von Fachwissen, Erfahrungswissen und auch sozialer Kompetenz. Fachlichkeit bedeutet, das eigene pflegerische Handeln reflektieren und die Hilfemaßnahmen anpassen zu können.

Fachlichkeit kann sicher auch heißen, Nightingales „Bemerkungen zur Krankenpflege“ wie ein Brevier zu lesen. So wie Mönche in der Gegenwart das Stundenbuch in die Hand nehmen, um dem Leben eine Form zu geben, so können Pflegende über die „Bemerkungen zur Krankenpflege“ nachdenken. In den vergangenen Wochen habe ich dies selbst versucht. Was glauben Sie, wie ich reagiert habe, als ich gelesen habe: „Unzureichende Maßnahmen wie der Versuch, immer selbst zur Stelle zu sein, verstärken die Angst des Patienten, anstatt sie zu vermindern.“ Ein solcher Gedanke mag banal erscheinen. Doch wer in sich geht, wird unter anderem auf die Idee kommen, dass der eigene Perfektionsdrang dazu führt, Betroffenen die eigenen Kompetenzen und Ressourcen abzusprechen.

Gedenken fordert uns immer auch heraus, darüber nachzudenken, welche Bedeutung die Vergangenheit für die Gegenwart hat. Die Auseinandersetzung mit Florence Nightingale hat mir gezeigt, dass beispielsweise die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis bereits vor 161 Jahren aktuell gewesen ist. In den „Bemerkungen zur Krankenpflege“ geht es immer wieder um die Verantwortlichkeiten des pflegerischen Handelns. Es ging vor allem immer wieder um die Beziehung zwischen den Betroffenen und den Pflegenden. Es ging nicht um die Abgrenzung zu den anderen Berufsgruppen, die Pflegebedürftige unterstützen. Es ging um das Unterstreichen der eigenen Handlungsoptionen.

Das Erarbeiten einer eigenen Identität und das Herausstreichen der eigenen Fähigkeiten müssen wir als Pflegende selbst leisten. Wir leisten in der Pflege und Begleitung hilfebedürftiger Menschen ganz eigene Beiträge. Dies können wir vor allem dann, wenn wir einmal stolz aus das sind, was wir jeden Tag leisten. Dies ist in Zeiten Florence Nightingales so gewesen. Dies ist in der Gegenwart so. Tun Sie sich und uns allen den Gefallen, einfach einmal stolz auf sich und die pflegerische Arbeit zu tun. Wir haben es uns verdient.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at