Es war ein dunkler und verregneter Wintertag. Ich stieg in eine Straßenbahn, die aus allen Nähten platzte. Schließlich waren zwei Bahnen vorher ausgefallen. Die Mitfahrerinnen und Mitfahrer waren redlich bemüht, durchzurücken, damit auch der letzte Fahrgast seinen Platz findet. Ich spürte den Atem aus der unmittelbaren Umgebung, ich spürte die Feuchte der nassen Jacken. Für alle war es eine Situation, die an die Grenzen der Belastbarkeit führte. Da ertönt plötzlich die Stimme aus dem Lautsprecher: „Liebe Fahrgäste, seien Sie bitte so freundlich und rücken durch. So haben alle möglichen Fahrgäste die Möglichkeit, mitzukommen“.
Meine spontane gedankliche Reaktion war: „Wo sind in dieser Straßenbahn die Kameras versteckt? Werde ich, werden wir spontan Gäste in der Sendung „Verstehen Sie Spaß?““ Es konnte nicht skurriler sein. Die Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche taten alles, ja wirklich alles, damit jede und jeder in der Tram mitfahren konnte. Und trotzdem kam die Aufforderung, natürlich mit einer automatisierten Stimme: „Rücken Sie durch …“.
Wenn ich eine Clownsnase dabeigehabt hätte, hätte ich sie auf die Nase gesetzt. Es wäre nicht unbedingt die rote Nase gewesen, die ich auf den Zinken gesetzt hätte. Es wäre eine schwarze Clownsnase gewesen. Warum? Unmittelbar habe ich an die berufliche Situation gedacht, in der wir als Pflegende häufig stecken. Wir tun unsere Arbeit, viele machen ihre Arbeit bis an die Grenzen der eigenen körperlichen und seelischen Belastbarkeit.
Und was passiert mit einer ganz alltäglichen Selbstverständlichkeit? Unterschiedliche Berufsgruppen kommen auf Pflegende zu und gehen davon aus, dass dieses oder jenes auch noch erledigt wird. Führungskräfte haben die Erwartung, dass beispielsweise Personalausfälle kompensiert werden. An-und Zugehörige wünschen sich noch das eine oder andere, damit die Genesung eines erkrankten Menschen voranschreiten kann.
Eine jede und ein jeder hat gute Gründe, Erwartungen und Hoffnungen gegenüber Pflegenden zu haben. Dies liegt natürlich auch darin begründet, dass Pflegende unmittelbar an einer Veränderung von Situationen mitwirken können. Sie sind nicht nur Überzeugungstäter, sondern überzeugen mit der Tat. Eine zunehmende Fachlichkeit spricht zunehmend für die Gruppe der Pflegenden und stellt die oft persönliche Herzlichkeit in den Schatten.
Das Jahr 2020 ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum „Jahr der Pflegenden und Hebammen“ ausgerufen worden. Dies ist gut so. Denn in einem solch denkwürdigen Jahr sollten wir klarmachen, dass wir nicht nach dem Gießkannenprinzip die Erwartungen erfüllen können. Wir können vielmehr verdeutlichen, wie wichtig unser gesellschaftlicher Auftrag, wie personalintensiv professionelle Pflege und wie zufriedenstellend unsere Arbeit ist.
In der psychiatrischen Versorgung gibt es eine Tradition des Trialogs. Betroffene, Angehörige und psychiatrisch Tätige versuchen immer wieder auf Augenhöhe zu Genesungswegen und Genesungserfolgen zu kommen. Dieses Modell könnte in den unterschiedlichen Versorgungssettings Vorbild sein, um zu einem gelingenden Miteinander zu kommen. Denn die pflege-und hilfsbedürftigen Menschen können nur dann in Richtung Genesung und Heilung kommen, wenn die Menschen und die Systeme um sie herum ineinandergreifen.