Wenn Männer ihre Partnerinnen pflegen

11. Dezember 2017 | Demenz, Fachwissen | 0 Kommentare

In Österreich werden Tätigkeiten wie Betreuung und Pflege traditionell von Frauen im privaten Umfeld der Familie ausgeübt. Männer sind hier eindeutig in der Minderzahl [1]. Im Gegensatz zu Frauen wird von Männern selten erwartet, dass sie die Betreuung und Pflege ihrer Nahestehenden übernehmen. Diese klare Trennung der Rollen und Aufgaben der Geschlechter ist besonders bei der älteren Generation vorzufinden: Männer sind für die Erwerbsarbeit zuständig, und Frauen für die Haus- und Sorgearbeit. Diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung besteht seit Generationen, und wird daher als natürliche Ordnung wahrgenommen [2].

Trotz aller emanzipatorischen Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte wird (Für-)Sorgearbeit, von der Geburt bis zum Tod der Nahestehenden, noch heute mehrheitlich von Frauen geleistet. Betreuung und Pflege ist zwischen den Geschlechtern ungleichverteilt. Für mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern ist es notwendig, dass Männer festgeschriebene Rollenbilder überschreiten und das „geschlechtsfremde Arbeitsfeld“ der Betreuung und Pflege für sich ergreifen. Dafür gilt es, männliches Pflegeengagement zu stärken und durch (geschlechts-)spezifische Angebote zu fördern [3].

Auch schon heute gibt es Männer, die nicht davor zurückschrecken, die Pflege ihrer Nahestehenden zu übernehmen- und es werden immer mehr, wie nationale und internationale Erhebungen belegen [4]. Entgegen klassischen Rollenerwartungen sind es vor allem Männer um die 70 Jahre, die sich bei anbahnender Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit für die Sorge ihrer (Ehe-)Partnerinnen entscheiden [5]. Im Gegensatz dazu sind Frauen häufiger zwischen ihrem 50. und 55. Lebensjahr mit der informellen Pflege und Betreuung ihrer (Schwieger-)Eltern beschäftigt.

Darüber hinaus sind auch Unterschiede zwischen den Motiven für die Übernahme eines Betreuungsarrangements im Rahmen der informellen Pflege bei Frauen und Männern auszumachen. Anders als bei Frauen, bei denen die Motivation für die Betreuungsübernahme hauptsächlich in moralischen Gründen (Verantwortungs- und Pflichtgefühle) liegt, besteht bei Männern dieser gesellschaftliche Erwartungsdruck kaum. [6] Das könnte mitunter eine Ursache dafür sein, dass Männer häufig als Hauptgrund für die Entscheidung zur Übernahme der Betreuung ihrer Nahestehenden ein Gefühl der Verbundenheit und Liebe zur (Ehe-)Partnerin angeben [7]. Die Motive der Männer sollten jedoch nicht generell idealisiert werden, sind doch auch hier praktische Gründe für die Aufrechterhaltung der Betreuung zuhause entscheidend, darunter die Vermeidung einer Heimaufnahme und daraus resultierende Kosten. Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Männer die Pflegeübernahme eher reflektieren können, während bei Frauen ein verinnerlichtes Gefühl der Verpflichtung dazu besteht, welches weniger Raum für Reflexion zulässt [8].

Zudem weisen Männer ein anderes Pflegeverständnis als Frauen auf, wie sich in der Selbstdarstellung und Bewertung der eigenen Sorgetätigkeit zeigt. Pflege wird von Männern als „Arbeit begriffen“ und in die Nähe der eigenen Erwerbstätigkeit gerückt. Dieses Verhalten hat durch Langehennig et al. (2012) unter dem Begriff „Arbeitsorientierung“ in die Literatur Eingang gefunden. Äußerungen wie „Für mich ist es [die Pflege meiner Frau] wie in die Arbeit gehen.“ bringen zum Ausdruck, wie Männer dazu tendieren ,den klassisch weiblichen Tätigkeiten der Betreuung und Pflege einen „männlichen Stil“ zu verleihen: Sie greifen zum Beispiel auf Begrifflichkeiten und Bilder ihrer Erwerbstätigkeit zurück, um ihre Sorgetätigkeit zu umschreiben und darzustellen, und sprechen von eigens entwickelten Techniken und Bewältigungsstrategien im Umgang mit Pflegesituationen. Dabei ist es ihnen wichtig, dass diese „funktionieren“ [9].  . Dieses Verhalten ist für die Aufrechterhaltung und laufenden Herstellung der männlichen Identität im klassisch „weiblichen Arbeitsfeld“ [10] der Pflege von großer Bedeutung.

Allerdings lassen sich auch Gemeinsamkeiten zwischen der Sorgearbeit von Männern und Frauen im An-und Zugehörigenbereich erkennen, zum Beispiel, wenn es um die ausgeübten Tätigkeiten und den Grad der Belastung geht. Denn auch Männer üben körpernahe Tätigkeiten wie Körperpflege, Inkontinenzversorgung, und Haushaltsführung, aus- jedoch berichten sie meist nur auf Nachfrage davon.

Vor allem informell betreuende und pflegende Männer von (Ehe-)Partnerinnen mit Demenz verspüren eine besondere Belastung. Dies konnte durch die Evaluierung der Projektphase des Gesprächskreises „Meine Frau hat Demenz. Ein Gesprächskreis für Männer“, der Caritas Wien, mit Unterstützung des BMASK (Boschert, Schönborn 2014), belegt werden. Als zentrale Belastungsfaktoren wurden von den teilnehmenden Männern unter anderem die empfundene Hilflosigkeit, die auftretenden Verhaltensänderungen, die erschwerte Kommunikation sowie der Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer demenzkranken Partnerinnen angeführt. Aus der Erhebung konnte keine wesentliche Differenz beim Belastungsgrad im Vergleich zu Frauen ausgemacht werden [11].

Die Angehörigengruppe „Meine Frau hat Demenz. Ein Gesprächskreis für Männer.“ wird von der Psychosozialen Angehörigenberatung im Teilbereich Angehörigenarbeit der Caritas der Erzdiözese Wien seit 2013 angeboten. Die geschlechtsspezifische, durch eine männliche Honorarkraft professionell geleitete Gesprächsgruppe hat sich zur Aufgabe gemacht, die Teilnehmer bei der Betreuung zuhause zu unterstützen und zu fördern. Die Entscheidung für ein geschlechtsspezifisches und gendersensibles Angebot wurde getroffen, da regulär angebotene Gruppen, Seminare und Kurse für betreuende und pflegende An- und Zugehörige mehrheitlich von Frauen aufgesucht werden und sich dort Männer durch den hohen Frauenanteil unterrepräsentiert fühlen. Die Wahl der Gruppe der Männer von Frauen mit Demenz ist darauf zurückzuführen, dass diese als besonders belastet und Unterstützungsbedürftig bekannt sind [12].

Um einen Einblick in die Gesprächsgruppe „Meine Frau hat Demenz.“ gewähren zu können, wurde ein Teilnehmer, Herr Paul Träxler, gebeten, den folgenden Bericht aus seiner persönlichen Perspektive zu verfassen.

Meine Frau hat Demenz – wie geht Man(n) damit um? (Paul Träxler)

In den Medien wird viel von Demenz berichtet, doch es kümmert einen nur bedingt bis man selbst betroffen ist – sei es als Kranker oder als Partner.  Ich bin vor einigen Jahren in die Rolle eines Pflegenden geraten, in der ich teilweise völlig ungewohnte und unbekannte Aufgaben übernehmen musste. Vieles davon konnte ich im Laufe der Zeit erlernen, anders wird durch Hilfe von Dritten erbracht. Einen wesentlichen Aspekt, den ich am Beginn vernachlässiget habe, ist aber meine persönliche emotionale Situation; der Umgang mit der Krankheit der lang vertrauten Partnerin und der damit manchmal empfundenen Unzulänglichkeit meiner Leistungen.

In vielen Fällen konnten mir Verwandte, Freunde und der Vertrauensarzt durch positives, aufbauendes Feedback und gute Anregungen helfen, doch in letzter Konsequenz fehlt diesem Personenkreis – mangels eigener Betroffenheit – das letzte Quäntchen der Identifikation und das Verständnis eines Involvierten.

Aus diesem Grund und habe ich mich auf Hinweis einer Psychotherapeutin entschlossen, an einer Gruppe pflegender Männer teilzunehmen.  Warum eine reine Männergruppe, wo doch zwischen 75% und 80% der pflegebedürftigen Menschen von zumeist weiblichen Angehörigen betreut werden? Vielleich gerade deswegen! Während Frauen meist traditionell mehr Erfahrung mit der Führung eines Haushalts und auch vielen Pflegetätigkeiten haben, sind diese Tätigkeiten für viele Männer Neuland Es herrscht somit großer Aufholbedarf bei Dingen, die für viele Frauen alltäglich sind. Des Weiteren haben Männer aus meiner Erfahrung untereinander eine andere Gesprächskultur – auch was emotionale Zustände bzw. Aussagen betrifft. Diese gemeinsame Sprache und das damit verbundene gegenseitige Verstehen ist gerade im Zusammenhang mit sehr persönlichen Emotionen sehr wichtig.

Unter diesen Umständen treffen wir uns also einmal im Monat, wobei jeder die Möglichkeit hat, Probleme in einer Runde Betroffener vorzutragen. Da die Gruppe professionell moderiert wird, ist sichergestellt, dass auch tatsächlich jeder die Chance bekommt, seine aktuellen Schwierigkeiten und Herausforderungen loszuwerden. Unter Beachtung strengster Vertraulichkeit werden sowohl emotionale als auch organisatorisch – technische Fragen diskutiert. Der übliche Bericht über die Erlebnisse und Veränderungen des vergangenen Monats ermöglicht es mir, den anderen Teilnehmern ein Bild vom aktuellen Stand der Krankheit zu vermitteln. Allein durch das Erzählen und Teilen meiner Situation und dem daraus resultierenden Gefühl, damit nicht allein zu sein, wird vieles leichter.  Natürlich gibt es auch Empfehlungen erfahrenerer Teilnehmer und beigezogener Spezialisten zu organisatorischen Themen wie Pflegepersonal, finanziellen Problemen und Lösungen, technischen Hilfsmittel und so weiter.

Einer der wichtigsten Aspekte des Gesprächskreises ist allerdings für mich dies: trotz aller widrigen Umstände, welche die Krankheit meiner Frau mit sich bringt, fühle ich mich dank der Gruppe mit den täglichen Herausforderungen nicht allein gelassen.

Literaturverzeichnis:

Appelt, Erna; Reiterer, Albert F. (2010): Demografische Grundlagen des Pflegebedarfs in Österreich. Status quo und Prognose. In: Erna Appelt, Maria Heidegger, Max Preglau und Maria A. Wolf (Hg.): Who cares? Betreuung und Pflege in Österreich. Eine geschlechterkritische Perspektive. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerl, S. 129–142.

Becker, Regina (2007): Beratung von pflegenden Angehörigen. Eine queer – feministische Diskursanalyse. Univ, Kassel, Kassel. Online verfügbar unter https://nbn-resolving.de/urn=urn:nbn:de:0002-4010, zuletzt geprüft am 01.12.2017.

Hammer, Eckart (2014): Unterschätzt: Männer in der Angehörigenpflege. Was sie leisten und welche Unterstützung sie brauchen. 1. Aufl. Freiburg im Breisgau: Kreuz Verlag.

Höfler, Sabine; Bengough, Theresa; Winkler, Petra; Griebler, Robert (Hg.) (2015): Österreichischer Demenzbericht 2014. Bundesministerium für Gesundheit und. Wien. Online verfügbar unter https://www.pflegedaheim.at/cms/pflege/attachments/7/8/3/CH1690/CMS1308577521270/bericht_demenz2_2_2015_final.pdf, zuletzt geprüft am 27.11.2017.

Langehennig, Manfred (2012): In der Angehörigenpflege seinen „Mann“ stehen – Einblicke in die gender-konstruierte Sorge-Arbeit pflegender Männer. In: Manfred Langehennig, Detlef Betz und Erna Dosch (Hg.): Männer in der Angehörigenpflege. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 13–44.

Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege (2016): Auswertung der von

den diplomierten Gesundheits-/Krankenpflegepersonen durchgeführten Hausbesuche im

Zeitraum von Jänner bis Dezember 2016. Kompetenzzentrum Qualitätssicherung in

der häuslichen Pflege; Sozialversicherungsanstalt der Bauern sowie dem

Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Online verfügbar unter

https://www.svb.at/cdscontent/load?contentid=10008.635431&version=1493811773, zuletzt geprüft am 01.12.2017.

Pochobradsky, Elisabeth; Bergmann, Franz; Brix-Samoylenko, Harald; Erfkamp, Henning; Laub, Renate (Hg.) (2005): Situation pflegender Angehöriger. Endbericht. Wien: Bundesministerium für Soziale Sicherheit Generationen u. Konsumentenschutz. Online verfügbar unter https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=176, zuletzt geprüft am 22.11.2017.

 

Fussnoten

[1] 80% der betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen leben zuhause und werden von ihren An- und Zugehörigen unterstützt, von denen zweidrittel Frauen sind (vgl. Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege 2016; Pochobradsky et al. 2005).

[2] Vgl. Becker 2007: 148.

[3] Vgl. Appelt, Reiterer 2010: 139.

[4] Der Anteil männlicher Hauptbetreuungspersonen liegt laut der letzten Erhebung (2016) der „Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege“ des BMASK bei 26,66 Prozent (vgl.: 30).

[5] Aufgrund der geringeren durchschnittlichen Lebenserwartung von Männern gibt es im höheren Lebensalter immer weniger Männer, wodurch für Frauen die Wahrscheinlichkeit, ihrer Partner zu betreuen, sinkt. Söhne im berufsfähigen Alter, die ihre (Schwieger-)Elternteil betreuen, sind noch immer ein Randphänomen (vgl. Langehennig 2012: 16 f.).

6 Vgl. Langehennig 2012:16

[6] Vgl. Bauernschmidt, Dorschner 2014: 298.

[7] Vgl. ebd.: 35.

[8] Vgl. Langehennig 2012: 22.

[9] Vgl. Boschert, Schönborn 2015: 19.

[10] Becker 2007: 148.

[11] Vgl. ebd.: 21 f.

[12] Höferl et al. 2014.

Autor

  • Raphael Schönborn

    Sozialwirtschaft und Soz. Arbeit, BA Erziehungs- und Bildungswissenschaften, DPGKP, Sonderausbildung für Lehrtätigkeit § 65b GuKG; Lehrgangsleiter Dementia Care (Kardinal König Haus, Wien), Projektleitung ABDem (BMASK, VAEB), langjährige Praxis in der Begleitung und Beratung von Menschen mit Demenz und deren Nahestehenden (raphael-schoenborn.at), Fort- und Weiterbildungstätigkeiten, Leiter der Gesprächsgruppe „Meine Frau hat Demenz.“ (Caritas, Wien)