Was gutes Leben ist – Orientierung in herausfordernden Zeiten

24. November 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Klösterliches Leben hat eine große Faszination. Dies liegt unter anderem daran, dass der Alltag im Kloster einen festen Rhythmus hat. Der Rhythmus sorgt nicht nur für eine Entlastung des Einzelnen, sondern gibt auch im Tagesablauf Räume frei, die es zu gestalten gilt. In diesen Zeiten der persönlichen Betrachtung finden Menschen zu sich. Das strukturierte Innehalten ermöglicht ein Atemholen, in dessen Konsequenz Kraft für den Alltag gefunden wird.

Dieser Geist wohnt auch den Texten des Buchs „Was gutes Leben ist“ inne. Sie müssen als geistliche Betrachtungen gelesen werden, die auch den säkularen Ansprüchen der Gegenwart genügen. Für jemanden, der oder die in den schwierigen Zeiten der Pandemie den Kopf über dem Wasser halten will, ist das Buch eine unverzichtbare Lektüre. Der Benediktinerpater Grün ermöglicht den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ein intensives Nachdenken über Alltagsthemen, vor allem aber auch über Konsequenzen der Corona-Zeit.

Es ist kein mahnendes Predigen mit einem erhobenen Zeigefinger. Es ist kein Einmischen in die Lebensführung der zeitgenössischen Menschen. Vielmehr regt Pater Anselm an, über wichtige Fragen nachzudenken, emotional wie vernunftgemäß zu überleben. Dabei betont Grün, was klösterliches Leben Menschen bis in die Gegenwart geben kann: „Gerade die Stille, die die Mönche für sich suchen, kann zum Ort werden, an dem sich neue Perspektiven für die Gesellschaft auftun, die jetzt vor ungeahnten Herausforderungen steht … Aber wir möchten mit unserem Lebensstil die Menschen, die mitten in der Welt stehen, anregen, sich ab und zu auch einmal in Quarantäne zu begeben …, um kreative Lösungen für unsere gemeinsame Welt zu entwickeln“ (S. 11).

Es sind ganz unterschiedliche Themen, die sich in dem Grün-Buch finden. Es geht ihm um Verbundenheit und Beziehung, um Angst und die Suche nach dem Glück, um das Erkennen von Grenzen und das rechte Maß sowie das bewusste Erleben von Zeit. Besonders eindrücklich kommt Grüns Aufforderung „Lebe einfach“ daher, mit dem es um das Ausprägen eines neuen Lebensstils geht. Damit meint der Benediktiner die Fähigkeit, „sich einfach auf das einzulassen, was gerade ist“ (S. 183). Einfachheit sei auf der einen Seite Reduktion von materiellen Ansprüchen, aber auf der anderen Seite auch Intensität des Lebens. Intensität ermögliche es, Überflüssiges zu lassen und mit weniger zufrieden zu sein.

Selten findet sich ein Nachdenken über den Terminus der Lebensfreude. Grün schöpft aus der Kraft des klösterlichen Lebens, wenn er schreibt: „Es geht nicht nur um das Genießen, sondern um die Freude an dem, was ich habe“ (S. 189). Gleichzeitig setzt sich Grün mit dem inneren Ballast auseinander. Er unterstreicht: „Aber wir tragen auch inneren Ballast mit uns herum. Wir tragen alte Verletzungen mit uns herum oder Lebensmuster, die uns nicht guttun – wie unseren Perfektionismus oder die Sucht, uns ständig zu entwerten“ (S. 192). Die Frage sei, was helfen könne, den Ballast abzuwerfen. Eine Hilfe im Loslassen könne sein, „dass wir uns Steine aussuchen, die symbolisch für einen Ballast stehen“ (S. 192).

Pater Grüns Buch zeigt, dass durch die Corona-Pandemie ein neuer Rhythmus in das individuelle wie kollektive Leben einziehen muss. Stellt man sich täglich den Gedanken des Benediktiner-Mönches, so ist die Chance groß, ein innerliches Aufräumen zu erleben. Dies erscheint mehr als überfällig.

Anselm Grün: Was gutes Leben ist – Orientierung in herausfordernden Zeiten, Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau 2020, ISBN 978-3-451-03274-5, 254 Seiten, 22 Euro.

Autor

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at