Von der multikulturellen Schüler*Innengruppe zum multikulturellen Team

8. Februar 2021 | Bildung | 0 Kommentare

 

Als Gesundheits -und Krankenpflegerin Mechthild zum Spätdienst erscheint, bemerkt sie, dass sie heute den Dienst gemeinsam mit der Schülerin Arianna absolvieren wird. Arianna ist im 1. Ausbildungsjahr. Vor einem halben Jahr ist sie aus Venezuela nach Deutschland migriert, um hier ihre Ausbildung zu absolvieren. Viele Dinge fallen ihr schwer, vor allem das Verstehen und Sprechen der deutschen Sprache. Oft plagt sie das Gefühl der Scham. Überwiegend dann, wenn sie Dinge der Alltagssprache nicht versteht und diese hinterfragen muss.

Mechthild sieht dem beginnenden Dienst skeptisch entgegen. Zweimal hat sie bereits mit Arianna zusammengearbeitet. Sie fühlt sich beim Gedanken daran schon etwas angespannt und gestresst. Aus Mechthilds Perspektive versucht Arianna die ihr übertragenen Aufgaben zügig und gewissenhaft auszuführen. Allerdings kam es wiederholt zu Missverständnissen. Trotz Mechthilds Rückfragen, ob sie den Auftrag verstanden habe und sie dieses auf Nachfrage hin bejahte, führte sie einige Aufgaben nicht aus oder verhält sich entgegen der Absprache. Mechthild fühlt sich in diesen Situationen doppelt belastet, da sie für den Dienst die Verantwortung trägt und ihre zeitlichen Ressourcen knapp bemessen sind. Diese Situationen sind ihr auch mit Cai, ihrer vietnamesischen Kollegin, bekannt.

Sie bemerkt, dass sie sich immer mehr über diese Situationen ärgert und sich aufgrund der sprachlichen Barriere hilflos fühlt. Als Arianna in diesem Dienst wiederholt eine Aufgabe nicht erledigt, entlädt sich die Anspannung. Sie wird laut und äußert Arianna gegenüber sich nicht vorstellen zu können, dass sie die Ausbildung erfolgreich absolvieren werde. Arianna weint nach dem Dienst sehr lang, sie schläft nicht, ihre Gedanken kreisen. Was soll sie tun? Wie geht es weiter? Sie kann doch jetzt nicht aufgeben? Sie vermisst ihre Familie. In Deutschland fühlt sie sich immer fremder und ungewollt, dabei möchte sie doch nur ihre Ausbildung absolvieren, um später Menschen helfen zu können. Nach einer schlaflosen Nacht fühlt sie sich unsicher und erschöpft. Sie hat Angst vor dem Dienst und meldet sich arbeitsunfähig.

Diese Situation dürfte vielen Fachkräften im Gesundheitswesen inzwischen ähnlich bekannt erscheinen. Schon bevor das Corona-Virus unsere Gedanken und unseren Alltag dominierte, nahm das Thema der Migration einen sehr hohen Stellenwert ein. In der Gesundheitspolitik wurde etwa die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte intensiv diskutiert und mit der Umsetzung begonnen. Die Ausbildung von multikulturellen Schüler*Innengruppen und die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte stellt neue Herausforderungen an alle Beteiligte. Neue integrative Methoden müssen entdeckt, ausprobiert und evaluiert werden – theoretisch wie praktisch.

Auch die Akademie für Aus-, Fort- und Weiterbildung im Gesundheitswesen protegiert eine kultursensible Lehr- und Lernkultur und fördert die kulturelle Vielfalt. Junge Auszubildende aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern sind bemüht sich zu integrieren und benötigen weit über das bisher gewohnte Leistungsvermögen hinaus Unterstützung. Lehrkräfte als auch die multikulturellen Klassenverbände sind dabei teilweise unsicher, irritiert und stark gefordert. Ein Erleben, welches mir aus dem kultursensiblen psychiatrischen Bereich, mit Kollegen und Patientengruppe, nur allzu bekannt ist.

Nach meinem Wechsel als pädagogische Mitarbeiterin an diese Einrichtung erkannte ich bald mehrere Parallelen zu meinem früheren Arbeitsbereich. Die Fragen und Aufgaben, welche bearbeitet werden müssen, um das gesellschaftliche Miteinander offener, toleranter und produktiver gestalten zu können, gleichen sich.

Vielfalt im Klassenzimmer

Jedes Klassenteam stellt für sich eine Gruppe mit verschiedenen Charakteren und individuellen Grundstrukturen dar. Jeder Kurs scheint darüber hinaus auch eine sehr unterschiedliche Kultur im Umgang unter- und miteinander ausgebildet zu haben. Sich als Lehrkraft in den verschiedenen Klassen-Kulturen zu bewegen, schulstundenweise rotierend, erfordert eine hohe Flexibilität der Lehrkräfte, um zielgerichtet und fundiert Wissen vermitteln zu können. Eine wesentliche Herausforderung ist die sich verändernde Zusammenstellung der einzelnen Kurse mit seinen individuellen Persönlichkeiten, alle geprägt durch den Einfluss der individuellen Sozialisation und durch andere Herkunftsländer. Diese disponierte Individualität lässt sich an folgendem Fallbeispiel gut veranschaulichen:

Frau Morosow, eine eher ruhige und zurückhaltend wirkende Schülerin aus Kasachstan erscheint regelmäßig etwas verspätet zum Unterricht. Obwohl der Unterricht bereits begonnen hat, nimmt sie trotz offenkundiger Verspätung im Klassenraum Platz, ohne dabei die anwesende Lehrkraft zu begrüßen oder gar eine Entschuldigung auszusprechen. Frau Petrow, ebenfalls eine kasachische Schülerin, erscheint dagegen immer einige Minuten früher zum Unterricht und ist immer pünktlich. Eines Morgens bekommt eine anwesende Lehrkraft ein Gespräch zwischen den beiden Schülerinnen mit. Frau Petrow spricht Frau Morosow auf ihre häufige Unpünktlichkeit an und hinterfragt das Verhalten der Mitschülerin kritisch. Sie wirft ihr offen vor, es nicht in Ordnung zu finden, dass sie sich nicht an Pünktlichkeit halten würde. Sie empfindet es aus ihrer Perspektive als störend und ungerecht. Frau Morosow entgegnet, dass sie es nicht kenne, dass man auf die Minute genau „exakt“ irgendwo eintreffe. Auch nicht in der Schule. Frau Petrow scheint wütend zu werden und wirft Frau Morosow vor, dass sie nicht die Wahrheit erzählen würde, da sie beide aus dem gleichen Herkunftsland stammen und es dort Strafen dafür geben würde, falls man sich verspätet hätte. Aus diesem Grund müsse sie pünktlich sein. Frau Morosow schweigt kurz und entgegnet, dass sie noch nie eine Bestrafung erhalten habe, wenn sie zu spät kam. Frau Petrow widerspricht, dass sie ihr nicht glauben würde. Sie dreht sich daraufhin scheinbar angespannt um und verlässt die Situation. Seit dieser Begegnung scheinen beide Auszubildende nur noch wenig Worte miteinander zu wechseln. Spannungen sind zum Teil für die Lehrkraft zwischen den Schülerinnen spürbar.

Obwohl die Schülerinnen aus demselben Herkunftsland stammen, wurden sie dort unterschiedlich sozialisiert und dadurch in ihren Annahmen geprägt. Beide definieren für sich eine unterschiedliche Einstellung zum Umgang mit Zeit. Im Unterricht dürfen Möglichkeiten probiert und evaluiert werden, um den Kontakt untereinander und miteinander „erfolgreich“ zu gestalten. Erfolgreich bedeutet in diesem Zusammenhang im Unterricht kulturspezifische Aufklärung zu betreiben sowie die Aufarbeitung möglicher bestehender Vorurteile untereinander anzusprechen.

Vermittlung kultursensibler Kompetenz

Durch Aufklärung kann die Motivation zur Zusammenarbeit gestärkt werden. Deshalb ist es wichtig, das Thema der kultursensiblen Kompetenz von Beginn an wiederholt während der Ausbildung aufzugreifen und zu bearbeiten. Der Umgang mit dem „Fremden“ kann sogleich praktisch durch den regelmäßigen Kontakt innerhalb der kulturell-heterogenen Schülergruppe geprobt werden. Das ist insbesondere während der theoretischen Ausbildung der Fall. Der aktive Austausch unterfüttert mit Theorie wirkt nicht nur belebend, sondernd auch verstehend. Diesen Kontakt zu begleiten und zu unterstützen ist eine gute Basis für die praktische Auseinandersetzung. Bildungseinrichtungen nehmen in der Sozialisation des Einzelnen einen hohen, prägenden Stellenwert ein. Integrationsarbeit durch Gruppenangebote bieten Platz und Raum, durch die Interaktion in multikulturellen Schülergruppen mehr voneinander zu erfahren, Fragen stellen zu dürfen, Ängste – trotz sprachlicher Barrieren zu mindern und von unterschiedlichen Perspektiven (kulturell geprägten, traditionell oder weniger traditionell ausgerichteten) zu profitieren. Es gilt gerade die Erfahrungen im Umgang miteinander auszubauen, um die dadurch entstehende Vielfalt an Ideen und Lösungsansätzen für sprachliche Unterschiede zu entdecken.

Sprachliche Barrieren meistern

Fallbeispiel
Während der Corona-bedingten „Homeschooling-Phase“ erhielten die Kurse Arbeitsaufträge. Diese beinhalteten unter anderem, bestimmte Themenbereiche selbständig zu erarbeiten. Zur Bearbeitung konnten unterstützend Lehrbücher hinzugezogen werden. Eine Aufgabenstellung war die „Beschreibung des Krankheitsbildes“. Herr O., Schüler eines Gesundheits- und Krankenpflege-Kurses, nutzte das von der Lehrkraft empfohlene Kapitel aus dem Lehrbuch. Dort waren einige Abbildungen zur Veranschaulichung der Erkrankung beinhaltet. Die Aufgabe wurde von Herrn O. irrtümlich jedoch so interpretiert, dass er annahm, er müsse die Fotografien im Abschnitt beschreiben. Überfordert durch die Anzahl der vielen Darstellungen rief er in der Akademie an, um nachzufragen, welches der „Krankheitsbilder“ im wörtlich doppeldeutigen Sinn er umschreiben solle.

Um eine produktive Vermittlung von Wissen sicherzustellen, ist Sprache wesentlicher Bestandteil. Herausforderung sind die bestehenden sprachlichen Hürden der Schüler*Innen, die insbesondere bei der Wissensvermittlung im Dialog offenkundig werden. Schwierigkeiten zeigen sich gerade beim Umgang mit Fachbegriffen. Diese sind in der Lehre allgegenwärtig – mehr noch: sie sind praxisrelevant für den beruflichen Alltag. Im Unterricht werden die Begriffsbedeutungen daher be- und umschrieben. Es liegt in der Natur der Sache, dass es für Menschen mit rudimentären Deutschkenntnissen deutlich schwieriger ist, diese Umschreibungen sinngemäß zu verstehen, sie in den jeweiligen fachlichen Kontext zu setzen und weitergehend in die praktische Umsetzung zu bringen. Eine 1:1-Übersetzung dieser Begriffe ist häufig nicht möglich. Aus diesen Gründen muss stets berücksichtigt werden, dass die Vermittlung von Wissen wesentlich mehr Zeit und Geduld in Anspruch nehmen wird, als es mit weniger heterogenen Gruppen überwiegend der Fall ist. Schüler*Innen benötigen dafür Verständnis, um das nachvollziehen zu können. Aufgrund meiner beruflichen Vorkenntnisse in der Arbeit mit multikulturellen Gruppen, halte ich es auch als Lehrkraft für sehr wichtig, zu trainieren, die Inhalte des Unterrichts vollständig in einfacher und verständlicher Sprache zu vermitteln. Hier gilt die Devise: „Learning by Doing“. Wer das bewusst und alltäglich einübt, wird selbstläufig mehr Synonyme für einen Begriff finden und diese gezielt, gewohnheitsgemäß anwenden.

Bei der jeweiligen Unterrichtsstundenplanung ist demnach nicht nur ein zeitlicher Puffer zum Verstehen und Erläutern zu berücksichtigen, sondern auch die zusätzliche Zeit für alternative Lehrmethoden – wie beispielsweise die Einbindung und erlaubte Nutzung von Smartphones im Unterricht für Übersetzungshilfen. Zeit geben bedeutet hier, eine zeitgemäße Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Wobei im weiteren Sinn auch der Austausch in der Gruppe untereinander gemeint ist. Auszubildende unterschiedlichster Herkunft sollten aktiv angehalten werden, sich in den Austausch miteinander zu begeben, um voneinander zu lernen.

Einzelarbeiten in Form schriftlicher Ausarbeitungen oder in Gestalt von Hausaufgaben geben den Schüler*Innen die Möglichkeit, ihre sprachlichen Kompetenzen einzuüben. In Schülerkreisen werden Hausarbeiten normalerweise, so die Rückmeldung, tendenziell eher als etwas Unangenehmes empfunden. Für Menschen mit anderen muttersprachlichen Ressourcen gilt das, aufgrund der einhergehenden Mehrfachbelastung, noch weit mehr. In diesem Fall kann Transparenz wieder einen guten Beitrag leisten. Eine intensive Beschäftigung mit Sprache beschleunigt deren Erlernen. Es besteht immer die Gefahr der Gegenwehr und Abwehrreaktion, etwa durch die Vermeidung der neuen sprachlichen Auseinandersetzung, um sich Entlastung zu verschaffen. Die Aufgabe von Lehrenden kann dabei in der Motivation zur Durchführung gesehen werden.

Interaktion durch Transparenz

Das Niedersächsische Kultusministerium nennt als eines der Ziele einer Fachschule für Heilerziehungspflege die Vermittlung von Sozialkompetenz. Lernende sollen trainieren, sich sachbezogen und gewissenhaft zu verständigen. Daneben wird die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität explizit als Zielsetzung hervorgehoben (Niedersächsisches Kultusministerium, 2018, S.2). Dieser Ansatz kann durch die Förderung und Forderung von Interaktion in der multikulturellen Schülergruppe protegiert werden. Eine Steuerung des Austausches durch regelmäßige Gruppenaufgaben kann hierbei zielführend sein. Integration durch Interaktion wird durch Lehrende bewusst mitgestaltet, indem Arbeitsgruppen immer zufällig zusammengesetzt werden. Somit wird die wiederholt beobachtbare Tendenz bei selbst gewählten Gruppen- bzw. Teamaufteilungen vermieden, dass sich Schüler*Innen vorrangig mit bekannten, vertrauten Partner*Innen beziehungsweise gleichen oder ähnlichen „Kulturkreisen“ zusammengesellen. Sich mit dem „Fremden“ und möglicherweise damit verbundenen unangenehmen Gefühl einer eingeschränkten Kommunikation auseinanderzusetzen, der eventuell einhergehenden Scham sowie dem inneren Widerstand gegen diesen beschwerlicheren Weg , wird sich so meist versucht zu entziehen. Erfahrungsgemäß hilft hier eine maximale Transparenz bei der Methodenwahl, der jeweiligen Gruppenaufgabe und der Begründung einer bewusst zufällig gewählten Arbeitsgruppenzusammensetzung. Übertragen vom stationären Setting kann durch die Begründung von Handlungen Verständnis und Offenheit gefördert werden. Alles was nicht plausibel und verständlich erscheint, kann dagegen Widerstand unterstützen.

In multikulturellen Klassenkonstellationen dürfen Schritte unternommen werden, um ein gemeinsames Grundverständnis füreinander zu schaffen. Eine begründete, transparente Zusammenarbeit auf einer Augenhöhe zwischen Lehrenden und Lernenden kann dadurch nur wirksamer werden. Lehrende können als Vorbilder für die Wirkung von Transparenz, Mitsprache und Verständnis stehen. Denn Auszubildene orientieren sich nicht nur an vermittelten Inhalten, sondern auch an ihrem Gegenüber, welcher diese zusammen mit ihnen erarbeitet.

Einbezug der Praxis

In der Theorievermittlung können Lehrende Einfluss auf die Entwicklung und Förderung von kultursensibler Kompetenz nehmen. Es bieten sich Möglichkeiten zur Übung von tatsächlichen Erfahrungen im interkulturellen Austausch.

Während der praktischen Ausbildung trennen sich die Wege der Schülergruppen. Auszubildende sind plötzlich mit anderen Gruppen konfrontiert. Dazu zählen die Teams der einzelnen Stationen, unterschiedliches Patientenklientel und verschiedene Anleitende in der beruflichen Praxis. Das stellt oftmals eine besondere Anforderung für die Auszubildenden dar. Durch sprachliche Barrieren und einem kulturell unterschiedlichen Background erweist sich das, wie im ersten Fallbeispiel beschrieben, als nochmals anspruchsvoller.
Auszubildende berichteten, dass es zu Unsicherheiten und Ängsten bezüglich Vorurteile, Stigmatisierungen und Ausgrenzungen kommen kann. Erfahrungsgemäß ist der Umgang damit persönlichkeitsabhängig und individuell verschieden. So sahen einige Schüler*Innen ihren ersten praktischen Einsätzen neugierig, entspannt und offen entgegen. Andere meldeten größere Bedenken zurück.

Auch Praxisanleitende, die erstmals mit jung migrierten Schülern in Berührung gekommen sind, fühlten sich vor und während der ersten Kontaktaufnahme unsicher. Hier zeigte sich, dass es leider noch nicht zur Normalität gereift ist, sich mit Menschen mit Migrationshintergrund in einen regelmäßigen Austausch zu begeben. Der aktive Kontakt miteinander kann Ängste mindern.

Die Praxis zeigt, dass Vorerfahrungen im Bereich eines transkulturell aufgestellten Arbeitsbereiches von Vorteil sind. Teams, die bereits multikulturell aufgestellt sind oder Patienten mit multikulturellem Hintergrund betreuen und begleiten, profitieren von diesem Erfahrungsschatz – sowohl im Umgang miteinander, in der Methodenwahl als auch in ihren Handlungen. Für diese Teams ist die Anwendung kultursensibler Kompetenz bereits gelebte Normalität. Sie haben die Entwicklung vom Anfänger zum Experten, kultursensible Haltung und Handlung betreffend, ganz oder teilweise vollzogen.

Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen wage ich zu behaupten, dass Settings, welche sich der kultursensiblen Kompetenz als „Normalität“ verschrieben haben, noch als Exoten gelten. Bestehende transkulturelle Settings können für Auszubildende ein gutes praktisches Übungsfeld bieten. Auch erfahrene Pflegekräfte dürfen durch Hospitationen oder längere praktische Einsätze, in diesen Bereichen, ihre kultursensible Kompetenz von der Theorie in die Praxis übertragen. Sie können davon profitieren, um vorhandene pflegerische und soziale Kompetenzen zu stärken, zu reflektieren und zu evaluieren.

Ein Ideenvorschlag wäre beispielsweise ein Projekt, welches genau diese praktische Erfahrung ermöglicht, gerade auch im Hinblick auf das Ziel der Inklusion von kultursensibler Kompetenz als alltäglichen Baustein, in der Arbeit mit Menschen.

Bereits bestehende multikulturelle Teams können genauso als Vorbild agieren, wie Lehrkräfte. Durch die Zusammenarbeit mit multikulturellen Teams können Kompetenzen wie etwa Bilingualität gezielt eingesetzt werden. Auch Schüler*Innen dürfen in Begleitung und im angemessenen Rahmen und Umfang diese Fähigkeiten anwenden, um das eigene Selbstvertrauen zu stärken und Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Auszubildende melden häufig zurück, dass ihre bilingualen Fähigkeiten oft überstrapaziert und nicht professionell eingesetzt werden. Sie äußern Schwierigkeiten, sich aus Angst vor Unverständnis, gegenüber den Kollegen abzugrenzen. Daher erscheint mir wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass ein professioneller Dolmetschereinsatz unabdingbar ist und bleibt. Auszubildende dürfen trotz ihrer sprachlichen Ressourcen nicht über das Maß hinaus als Übersetzer eingesetzt werden. Es besteht die Gefahr der Überforderung, sowie die Reduzierung auf eine Kompetenz. Für einfache Handlungsanleitungen und Small-Talk mit Klienten dürfen Schüler*Innen gern ihre Fähigkeiten einbringen. Notwendig ist auch hier ein guter Austausch zwischen theoretischer Ausbildungsstätte und praktischem Einsatzort, um eventuellen Missverständnissen entgegen zu wirken.

Beziehung gestalten – Ansprechpartner sein

Im stationären-interkulturellen Setting hat sich der Einsatz von Bezugspflege sehr bewährt. Die Arbeit mit festen Bezugspersonen fördert vor allen bei bestehenden sprachlichen und kulturellen Hürden den Vertrauensaufbau. Erst Vertrauen ermöglicht eine detailliertere, wie auch notwendige, Biographiearbeit. Kaum jemand möchte sich entspannt und offen mit einer völlig fremden Person über das eigene Leben unterhalten, wenn Vertrauen fehlt.
Mit (multikulturellen) Schüler*Innengruppen verhält es sich ähnlich. Wie vorhergehend beschrieben, äußerten einige Schüler Ängste und Unsicherheiten. Hier können Lehrkräfte aufklären, sensibilisieren, zuhören, unterstützen, beraten und begleiten. Ein gelungener professioneller Beziehungsaufbau sorgt für Vertrauen und Offenheit. Es gilt herauszufinden, wie die Auszubildenden mit den eigenen Migrationserfahrungen und den damit verbundenen Belastungsfaktoren umgehen. Erfahrungen von migrationsspezifischen Belastungsfaktoren vor und während der Ausbildung können sich leistungsmindernd auswirken. In den durch Lehrende geführten Gesprächen können spezifische Fragestellungen im Zusammenhang mit Migration und den individuellen Bedürfnissen Aufschluss über mögliche Faktoren geben, die sich einschränkend auf die persönliche und berufliche Entwicklung auswirken.

Die Bedeutung eines reibungslosen, intensiven Austauschs zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung zeigt sich erneut. Beobachtungen, Erfahrungen und Einschätzungen zum und vom Auszubildenden können Hinweise dazu beisteuern, welche Ressourcen und Optimierungsbedarfe bestehen. Vorbehalte oder Vorurteile können bzw. müssen thematisiert werden, um die Gestaltung der theoretischen sowie praktischen Ausbildung für die Schüler*Innen individuell und erfolgsversprechend zu optimieren.

Von der multikulturellen Schülergruppe zum multikulturellen Team

Multikulturelle Schülergruppen von heute sind die multikulturellen Teams von morgen. Lehrkräfte, praktische Ausbilder und multiprofessionelle Teams sind daher frühestmöglich dazu angehalten, als Vorbilder aktiv zu werden, gerade in der Ausübung ihrer kultursensiblen Kompetenz. Sie müssen sicherstellen, dass sie sich regelmäßig fortbilden, selbstreflektieren und gemäß dem neusten Kenntnisstand entsprechend handeln. Letztendlich sind sie maßgeblich daran beteiligt und vermitteln das Rüstzeug derjenigen, die zukünftig Sorge für Menschen tragen, welche professionelle Hilfestellung und Unterstützung benötigen. Und das könnten sie eines Tages selbst sein.

Literatur

Niedersächsisches Kultusministerium (2018). Rahmenrichtlinien für die berufsbezogenen Lernbereiche – Theorie und Praxis-in der Fachschule Heilerziehungspflege. Eigenverlag: Hannover

Autor:in

  • Nicole Lieberam

    Gesundheits- und Krankenpflegerin, Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege, Fachkraft für Sozialpsychiatrische Betreuung, Lehrkraft für Erwachsenenbildung an der Akademie für Pflege und Soziales in Hannover nicole-lieberam@web.de