Es verwundert schon. Verhaltenssüchte begegnen Menschen in psychosozialen Handlungsfeldern immer wieder. Doch scheint es eine gewisse Sprachlosigkeit zu geben, diese Phänomene erklären und vielleicht auch behandeln zu können. Eine übersichtliche Handreichung haben Astrid Müller, Klaus Wölfling und Kai W. Müller mit dem Buch „Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht“ geschrieben. Auf der Höhe der derzeitigen Forschungslage führen sie in die Phänomene pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht ein. Aus eigener Sicht sehen die Wissenschaftler „eine besonders hohe Gefährdung“ in der Bevölkerung (S. 1).
Viele Menschen werden es kennen, dass es ihnen schwerfällt, durch eine Mode-Boutique oder eine Buchhandlung zu gehen, ohne etwas zu kaufen. Sie werden sich gleichzeitig die Frage stellen, inwieweit dieser Drang einen pathologischen Charakter hat. Mit dem Buch von Müller, Wölfling und Müller wird die Reflexion nun deutlicher. Hilfreich sind dabei die Arbeitsmaterialien und Checklisten, die die Autoren mitliefern.
Die Autoren zeigen ein ausgeprägtes Bemühen, das pathologische Kaufen in bestimmten Kontexten zu sehen. Sie schreiben: „Da es sich in der Regel um einen chronischen, episodenhaften Verlauf handelt, sollte nicht nur die Kaufsuchtsymptomatik, sondern auch deren Beginn und zeitliche Zusammenhänge mit biografischen Hintergründen, Lebenskrisen und anderen Erkrankungen erfragt werden, um erste vorläufige Annahmen über mögliche Wechselwirkungen zu entwickeln“ (S. 44). Wie schwierig ist erscheint, das pathologische Kaufen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, zeigt sich an den Überlegungen zur Normalisierung des Kaufverhaltens. Die Konkretisierung dieses Therapieziels sei nicht unbedingt einfach. Da sich Patienten hinsichtlich ihrer sozialen, finanziellen und beruflichen Situation unterschieden, könne das Therapieziel nicht über alle Patienten hinweg operationalisiert werden (S. 46).
Während die Kaufsucht einen großen Raum einnimmt, so ist der Blick auf die Spielsucht kürzer. Müller, Wölfling und Müller finden über die therapeutische Praxis einen Zugang zum Phänomen und erläutern: „Die Exploration des Ausmaßes des Glücksspielverhaltens … kann durch Bagatellisierungstendenzen der Betroffenen, Lügen, Selbstbetrug oder Schuld-und Schamerleben erschwert sein“ (S. 59). Wie bei den anderen Phänomenen, so führen die Autoren ausführlich in die Verhaltensanalysen des Glücksspielverhaltens ein. Gerade bei dem Blick auf die Spielsucht macht es neugierig, den individuellen Entstehungsfaktoren mit dem sogenannten TRIAS-Modell auf die Spur zu kommen. Sie geben zu bedenken: „Viel weniger eingängig ist den meisten Patienten, dass frühe physiologisch-biologische Anteile – beispielsweise Hyperaktivität oder Konzentrationsschwierigkeiten – zur späteren Nutzung und Verstetigung ihres Glücksspielverhaltens beigetragen haben“ (S. 65).
Die Auseinandersetzung mit der Internetsucht führt zu einer unerwarteten Überraschung. Die Internet Gaming Disorder wurde 2013 in das internationale Klassifikationssystem DSM-5 aufgenommen. Der Internetsucht als solcher wird kein entsprechender Krankheitswert zugeschrieben.
Wer einen niederschwelligen Zugang zu den Phänomenen pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht finden will, der hat mit dem Buch von Müller, Wölfling und Müller die Möglichkeit eines gelungenen Zugangs.
Astrid Müller / Klaus Wölfling / Kai W. Müller: Verhaltenssüchte – Pathologisches Kaufen, Spielsucht und Internetsucht, Hogrefe Verlag, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8017-2427-6, 93 Seiten, 19.95 Euro.