Sie ist wieder da – die Zeit des Reisens und der scheinbaren Entschleunigung. Für Pflegende ist sie Gold wert. Denn die Zeit des Reisens bedeutet, sich aus den Mühlen des Alltags befreien zu können. Während vor dem Frühdienst der Wecker um 5 Uhr klingelt, so kann in den entschleunigten Tagen quasi unbegrenzt geschlafen werden. Während im pflegerischen Alltag der Eine oder die Andere zwischen den Mühlsteinen der Pflegebedürftigen und anderer Berufsgruppen zerrieben wird, fällt die Last von den Schultern. Das Klingeln der Zimmerglocken verschwindet plötzlich aus der Wahrnehmung. Eine in Vergessenheit geratene Stille greift um sich.
In Zeiten der Corona-Pandemie ist dies eine Erfahrung, die viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gemacht haben. Die Bedingungen des Lockdowns haben die Menschen dazu gezwungen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen. An den Wochenenden gab es keine Gelegenheit, sich die Mühen des Alltags bei Partys abzuzappeln. Es gab eine Rückbezogenheit des Einzelnen auf sich selbst. Es gab keine Gelegenheit, vor sich selbst zu flüchten. Nicht ohne Grund bezeichnet der Soziologe Hartmut Rosa den Covid 19-Virus als den radikalsten Entschleuniger, den es in den vergangenen 200 Jahren gegeben habe.
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Zeit der Corona-Pandemie eine unverzichtbare Möglichkeit bietet, die Entschleunigung für das eigene seelische Gleichgewicht zu nutzen. Rosa hat in seiner Arbeit viel über den Begriff der Resonanz nachgedacht. Dabei geht es um die Beziehung zu sich, zur sozialen Umwelt und auch zu den Dingen um sich herum. Menschen und Dinge sollen nicht bloß mit dem Blick auf ihre Nützlichkeit angesehen werden. Es geht darum, Menschen und Dinge in ihrer Eigentlichkeit anzuschauen und die eigene Beziehung dazu zu klären. Menschen sind aufgefordert, sich selbst zu spüren.
Um sich selbst zu spüren, brauchen die zeitgenössischen Menschen und vor allem Pflegende Entschleunigung. Schließlich bietet die Entschleunigung die Gelegenheit, sich Zeit dafür zu nehmen, die Erfahrungen und Erlebnisse der letzten Zeit einmal in aller Ruhe anzuschauen. Pflegende können reflektieren, ob sie bei der alltäglichen Sorge für den Mitmenschen noch die Selbstsorge im Blick hatten. Sie können darüber nachdenken, inwieweit die eigene Arbeit dafür sorgt, dass Menschen wieder auf die eigenen Beine kommen bzw. die eigenen Ressourcen erhalten.
Manchmal macht es Sinn, den eigenen pflegerischen Alltag einmal aus einer anderen Perspektive anzuschauen. Sich nach Dienstschluss einige Minuten auf den Stationsflur zu setzen, das dortige Treiben anzuschauen und sich die Frage zu stellen, ob das Klingeln der Patientin oder des Patienten nötig gewesen ist, verändert vielleicht auch das eigene alltägliche Handeln. Bedürfnisse eines Patienten müssen nicht zwingend auf dem Rücken einer pflegenden Person befriedigt werden. Verantwortung abzugeben entlastet, ja. Es nimmt aber auch Gestaltungsmöglichkeiten, Spielräume, um der eigenen Seele gerecht zu werden.
Die Zeit des Urlaubs und des Reisens brauchen wir als Pflegende, um eine größtmögliche Distanz zu den Mühlsteinen des Alltags zu bekommen. Dabei braucht es nicht den Versuch, möglichst viele Kilometer hinter sich zu bringen. Es geht darum, Orte zu finden, wo sich die Einzelne, der Einzelne aufgehoben fühlt, das Gefühl hat, bei sich daheim zu sein.
Insofern werde auch ich in diesen unruhigen Zeiten in die Ferne schweifen, um mir die Frage zu stellen, wo ich bei mir daheim sein kann und die Resonanz zu mir und den Menschen in meiner Umgebung spüre. Vielleicht begegnen wir uns bei dieser Gelegenheit.