Und was kommt dann?

5. September 2016 | Erleben, Palliativ | 0 Kommentare

Im Roten Anker, der psychotherapeutischen Beratungsstelle des CS Hospiz Rennweg, werden Kinder und Jugendliche begleitet, die mit dem Tod eines geliebten Angehörigen konfrontiert sind. Erwachsenen Mut zu machen, mit Kindern und Jugendlichen über den Tod ins Gespräch zu kommen und Berührungsängste abzubauen, ist das Ziel des Roten Ankers. Kinder und Jugendliche sollen bewusst an der letzten Lebensphase und am Sterben ihrer geliebten Menschen teilhaben dürfen.

Der Tod gehört zum Leben
Der Tod wurde aus dem Leben verdrängt, das Umgehen mit ihm über Generationen hinweg verlernt. Erwachsene wollen Kinder schützen, indem sie nicht über den Tod sprechen und Kinder fernhalten, um diese „nicht zu belasten“. Kinder brauchen ehrliche Antworten und jemanden mit dem sie über Belastendes reden können. Die Möglichkeit einbezogen zu werden, wenn sie dies möchten, ist für Kinder wichtig. Trauer, aber auch Wut und Verzweiflung dürfen in jeder Phase offen gezeigt werden, nur dann können Kinder ihre Empfindung verarbeiten.

Ein Spielplatz im Hospiz?
Damit Kinder und Jugendliche den Tod ihres/ihrer Angehörigen begreifen und ihre Gefühle ausdrücken können, ist es wichtig, dass sie die Möglichkeit haben, wann immer sie wollen, das erkrankte Familienmitglied zu besuchen. Eine wichtige Aufgabe ist es, die BesucherInnen zu ermutigen, ihre Kinder mitzunehmen. Deswegen gibt es auf der Palliativstation des CS Hospiz Rennweg einen Platz, an dem Kinder spielen und basteln können. Dieser ist mit Büchern, Spielsachen und Bastelmaterial ausgestattet. Mit letzterem können sie für ihre lieben Angehörigen etwas gestalten und ihm/ihr eventuell sogar in den Sarg mitgeben. Die jahrelange Erfahrung zeigt, dass Kinder sehr gerne bei dem kleinen „Spiel- und Bastelplatz“ sind.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt
Nicht nur für Kinder, auch für Erwachsene ist es oft schwierig, den Tod zu verstehen. Wie aber sollen Kinder begreifen, was da passiert, wie können Kinder Bewältigungsstrategien entwickeln, wenn wir sie vor dem Tod fernhalten?

Die Mama des dreijährigen Lukas ist gestorben. Ich bereitete ihn auf das Begräbnis vor. Lukas „plapperte“ mir alles nach: „Die Mama ist tot. Sie wird beerdigt …“ Danach brachte ich ihn zu seinem Vater – Lukas strahlte ihn an und sagte: „Gehen wir jetzt zu Mama hinauf, ich will mit ihr spielen.“ Ich begriff: Es ist zwar wichtig, auch mit kleinen Kindern über den Tod zu reden, ich darf aber nicht erwarten, dass sie ihn verstehen – es wird noch einige Zeit dauern, bis Lukas realisieren wird, dass er ohne seiner Mama aufwachsen muss.

Mit etwa fünf Jahren beginnen Kinder, den Tod zu erforschen, indem sie beispielsweise tote Tiere sezieren und begraben. Sie stellen viele Fragen („Stirbst du auch, Mama?“) und versuchen zu begreifen, was der Tod sein könnte, was er bedeutet. Das Sterben wird jedoch vorerst nicht mit der eigenen Person in Zusammenhang gebracht, es sterben „nur die anderen“. Im Volksschulalter gewinnen Kinder langsam die Erkenntnis, dass der Tod endgültig ist, dass auch sie selbst einmal sterben werden oder dass sie Bezugspersonen durch den Tod verlieren können. Sie beginnen den Tod realistisch zu sehen und wissen zum Beispiel, dass der Körper nach dem Tod verwest. Das Erforschen der Hintergründe wird interessant. („Wie ist der Nachbar gestorben?“).

Den Tod beim Namen nennen
Es ist wichtig, mit Kindern über den Tod zu reden und dabei auch die Wörter „tot“ und „gestorben“ zu verwenden. Dem fünfjährigen Manuel wurde gesagt, dass seine Oma, die an einem Herzinfarkt gestorben war, „eingeschlafen“ sei. Was geschah daraufhin? Jedes Mal, wenn die Mutter sich hinlegen wollte, schüttelte Manuel sie panisch und schrie: „Nicht einschlafen, nicht einschlafen, Mama!“ In therapeutischen Sitzungen mit der Mutter und dem Kind versuchte ich ihm den Unterschied zwischen einem schlafenden und einem toten Menschen zu erklären: Ein schlafender Mensch ist warm, er atmet, sein Herz schlägt, er wacht wieder auf – ein toter Mensch ist ganz kalt, er atmet nicht mehr, sein Herz steht still, er kann sich nicht mehr bewegen und er wacht auch nicht mehr auf. Nach zwei Therapiesitzungen verschwanden seine Ängste.

Der letzte Abschied
Die oft gestellte Frage: „Sollen Kinder zu einem Begräbnis mitgehen?“, kann mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden. Dies gilt für jede Altersgruppe, wobei auch hier zu bedenken ist, das Kind gut auf das Bevorstehende vorzubereiten. Kinder und Jugendliche können das Begräbnis mitgestalten. Während Kinder eher gerne basteln, bevorzugen es Jugendliche, eine Power Point Präsentation oder einen Kurzfilm zu machen. Wenn beispielsweise ein Elternteil gestorben ist, kann es sein, dass der andere Elternteil beim Begräbnis sehr betroffen und emotional sein wird. Hier ist es wichtig vorzusorgen und jemanden zu bitten, auf das Kind zu achten. Das kann eine Freundin, eine Lehrerin oder eine andere nahestehende Person des Kindes sein.

Kinder trauern anders
Die Kindertrauer unterscheidet sich von der Trauer der Erwachsenen. Die jungen Angehörigen trauern in der Regel punktuell, also in abgegrenzten Zeit abschnitten. Während Erwachsene ihre Trauer in einem Fluss durchleben, gibt es diese Kontinuität bei Kindern selten. Bei ihnen gilt das Sprichwort „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“. Kinder würden ständige Trauer physiologisch gar nicht aushalten. So lassen sie immer nur so viel Trauer zu, wie sie bewältigen können.

Der Umgang mit diesem Gefühlswechsel zwischen Traurigkeit und Fröhlichkeit ist für die Erwachsenen oft nicht nachvollziehbar und daher verunsichernd. Wenn eine sehr nahestehende Person gestorben ist, leiden Kinder/Jugendliche oftmals unter Schuldgefühlen. Sie überlegen, ob sie vielleicht etwas falsch gemacht haben. Den zwölfjährigen Tobias fragte ich: „Du Tobias, ein Bursche namens Max, dessen Mama auch gestorben ist, hat mir einmal erzählt, dass er sich schuldig fühlte, weil er sich irgendwann einmal im Streit gedacht hat, ohne Mama wäre es leichter. Wie ist das bei dir?“ Jetzt hatte Tobias die Möglichkeit zu sagen: „Ja, mir geht es ähnlich“, oder „Nein, so ein Blödsinn, daran kann man nicht schuld sein.“ Es ist wichtig, Schuldgefühle zu thematisieren und die Kinder/Jugendlichen davon frei zu sprechen.

Was bleibt, sind die Erinnerungen
Die 10jährige Sophie hatte Angst, diese zu verlieren. Ein Teil unserer gemeinsamen Arbeit war es, diese Erinnerungen zu „archivieren“. Sie gestalte gemeinsam mit ihrem Papa eine Erinnerungskiste an ihre Mama. Sie legte dort die wichtigsten Erinnerungsstücke hinein: ihr Parfum, Fotos, ihr Lieblingstuch, die Perlenkette, das Rezeptbuch und die Schneekugel vom letzten gemeinsamen Ausflug. Außerdem begann sie, ihre Erinnerungen aufzuschreiben.

Ich werde dich nie vergessen
Ich bemale gerne mit Kindern weiße Grabkerzen mit wasserfesten Stiften. Währenddessen lasse ich mir über die verstorbene Person erzählen, was sie gerne gemacht hat, was sie gerne gegessen hat usw. Auf die Innenseite des Deckels kann das Kind eine Geheimbotschaft an den Verstorbenen/die Verstorbene schreiben. Dann bekommt die Bezugsperson des Kindes die Aufgabe, gemeinsam zum Friedhof zu gehen und die Kerze dort anzuzünden.
Zu Weihnachten kann die Familie einen geschmückten Zweig des eigenen Christbaums zum Grab bringen, zu Ostern einen Ast des Osterstrauches, aus dem Urlaub eine Muschel mitbringen.

Und was kommt dann?
Kinder frage ich meist: „Sag mal, bist du auf irgendeine Art und Weise mit deinem verstorbenen Angehörigen in Verbindung?“, und sie wissen immer genau, was ich meine. „Ja natürlich“, sagte Simon „Mama ist da, ich kann sie spüren.“ Der 17jährige Felix dachte, nach dem Tod sei nichts mehr, alles wäre aus. Für ihn war diese Vorstellung sehr belastend. Deswegen erzählte ich ihm die Geschichte von der 16jährigen Antonia, die täglich ihrer verstorbenen Mama schrieb. In die nächste Stunde kam er mit einem halb ausgeschriebenen „Mamabuch“ und sagte, dass es ihm half, über dieses Buch „Kontakt mit seiner Mama aufzunehmen“. Er hatte die Vorstellung, dass sie alles, was er aufschrieb, wusste und alles, was er nicht in das Buch schrieb, nicht wusste. (Welcher 17jährige will denn schon, dass seine Mutter über alles Bescheid weiß?) Ein halbes Jahr später bekam er ein schlechtes Gewissen, weil er das Buch nicht mehr so viel nutzte. Mir fiel eine Aussage meiner Mutter ein: „Keine Nachrichten sind gute Nachrichten!“ „Ja“, meinte Felix, „Mama würde sich sicher sehr darüber freuen, dass es mir gut geht!“

Die kleine Raupe Nimmersatt
Jedes Kind kennt die kleine Raupe Nimmersatt, die frisst und frisst und frisst und frisst … und wenn ich zu ihr sage: „Du liebe Raupe, irgendwann einmal wirst du fliegen können!“, würde sie mir wahrscheinlich antworten: „Du träumst! Schau mich an! Ich bin dick und fett. Wie soll ich da fliegen können? Außerdem habe ich doch keine Flügel.“ Das heißt, sie kann sich beim allerbesten Willen ein Leben nach ihrem Raupendasein nicht vorstellen – und dennoch, irgendwann verpuppt sie sich und wird zum wunderschönen Schmetterling. Diese Geschichte hilft oft Antworten auf die Frage „Und was kommt dann?“ zu geben.

Kinderbuch und animierte Hörbuch-App „Max und Urli vom Ehrlingerhof“ Sterben kindgerecht erklärt
„Sind Kinder mit dem Sterben und dem Tod eines geliebten Angehörigen konfrontiert, schafft dies bei Erwachsenen oft Ratlosigkeit und Unsicherheit. Es stellt sich die Frage, wie wir Kindern in einer derartig schwierigen Situation begegnen können. Das Büchlein „Max und Urli vom Ehrlingerhof“ will Eltern dazu ermutigen, mit ihren Kindern über Abschied, Tod und Trauer ins Gespräch zu kommen und zeigt einen Weg, Kinder in dieser schwierigen Situation zu begleiten.

Bestellungen: renate.magerl@cs.or.at
oder 01/717 53-3130

Roter Anker
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