Wer in der psychiatrischen Versorgung tätig ist, der weiß um die Tatsache, dass er sich in das tägliche Handeln einbringen muss. Und noch mehr: er spürt in der Begegnung mit seelisch erkrankten Menschen, dass die eigenen Gefühle nicht auszuschalten sind. Der Psychotherapeut Andreas Knuf hat mit dem Buch „Umgang mit Gefühlen in der psychiatrischen Arbeit“ eine beeindruckende Arbeit vorgelegt.
Warum? Mit dem Buch gelingt es Knuf, nicht nur einen theoretischen Zugang zu Gefühlen zu ermöglichen. Die Leserin und der Leser begegnen den sich während der Lektüre des Buchs selbst. Knuf deutet den Missstand an, dass der großen Bedeutung von Gefühlen bei seelischen Erkrankung ein psychiatrisches Behandlungssystem entgegenstehe, „das Gefühle vielfach eher als Beiwerk betrachtet denn als zentralen Faktor, der über psychisches Wohlbefinden, das Wiederauftreten von Krisen oder über Genesungsprozesse entscheidet“ (S. 8).
Um die Leserin und den Leser zum Thema hinzuführen, äußert sich Knuf erst einmal zur „Gefühlsunterdrückung in unserer Gesellschaft“. Da wird deutlich, wie bemüht wir als Zeitgenossen sind, das Unangenehme von uns zu schieben. Die Menschen, die von einer seelischen Erkrankung betroffen sind, sind Knuf vor einer potenzierten Aufgabe. Zum einen gehe es um biographische Themen, zum anderen müssten die Betroffenen eine psychische Erkrankung emotional bewältigen.
Jedem psychiatrisch Tätigen muss natürlich bewusst sein, dass es der Bewusstheit gegenüber den eigenen Gefühlen bedarf, um psychisch erkrankte Menschen emotional unterstützen zu können. Schließlich geht es bei der emotionalen Unterstützung nicht nur um eine pragmatische Hilfestellung. Knuf mahnt unter anderem das emotionale Klima in einer Institution an. Das emotionale Klima in der Hilfeeinrichtungen habe Auswirkungen auf die Beziehungsgestaltung Betroffener.
Als eine Möglichkeit, um Gefühle besser wahrzunehmen, nimmt Knuf das Körpererleben eines Menschen in den Blick. Gefühle würden besonders auf der körperlichen Ebene wahrgenommen. Daher erleichtere eine verbesserte Wahrnehmung der Körperregungen eine verbesserte Wahrnehmung der Gefühle. Es erscheint so einfach und so klar, was Knuf schreibt. Wer sich mit der eigenen Persönlichkeit beschäftigt, der weiß um die Schwierigkeiten dieses Suchens und Erspürens eigener Gefühle sowie natürlich dem Auffinden dessen bei Menschen, die begleitet werden.
Knuf betont, dass jede Begegnung bei jeder Akteurin und jedem Akteur zu Gefühlen führt. So nähert er sich Phänomenen an, ob sich Helfende von Gefühlen der Betroffenen anstecken lassen oder die „professionelle Distanz“ suchen. Da beginnt dann schon eine deutliche Kritik, die Knuf auf den Punkt formuliert: „In den modernen Psychotherapiemethoden wurde das Konzept der professionellen Distanz weitestgehend aufgegeben und durch ein Konzept ersetzt, in dem es um eine angemessene Balance von Nähe und Distanz geht“ (S. 142). Fachpersonen sollten sich im Klaren sein, dass ohne ein gewisses Maß an Selbstöffnung die geforderte professionelle Arbeit nicht geleistet werden könne. Immer wieder müsse Nähe und Distanz reflektiert sowie Ängste und Chancen ausgesprochen werden.
Mit dem Buch „Umgang mit Gefühlen in der psychiatrischen Arbeit“ ist Knuf ein Buch gelungen, das in die Hände und in die persönliche Auseinandersetzung eines jeden Menschen gehört, der psychiatrisch tätig ist. Ohne dies kann psychiatrisches Arbeiten kaum möglich sein.
Andreas Knuf: Umgang mit Gefühlen in der psychiatrischen Arbeit, Psychiatrie-Verlag, Köln 2020, ISBN 978-3-88414-955-3, 160 Seiten, 20 Euro.