Tod und Sterben begegnen

29. Januar 2018 | Fachwissen | 0 Kommentare

Das Sterben gehört zum Leben dazu. Trotzdem wird der Tod in unserer Gesellschaft nicht gerne angesprochen. Menschen lassen sich in einem Krankenhaus behandeln um wieder gesund zu werden. Die Möglichkeit trotz des zunehmenden medizinischen Fortschritts an einer Erkrankung zu versterben wird selten mitgedacht. Von den Behandlungsteams, die mit den aktuellsten Therapien und teuersten Geräten die Krankheit bekämpfen, wird der Tod, wenn er doch einzutreten droht, als Niederlage erlebt. Noch schwieriger scheint die Situation, wenn es sich um lebensbedrohlich erkrankte Kinder und Jugendliche handelt.

Sterbefälle im St. Anna Kinderspital

Das St. Anna Kinderspital ist eine an das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien und den Medizinischen Universitätscampus angebundene Krankenanstalt. Hier werden Kinder und Jugendliche mit allgemein pädiatrischen und hämato-onkologischen Erkrankungen behandelt. Im Bereich der kindlichen Hämato-Onkologie ist das St. Anna Kinderspital die zentrale Anlaufstelle im Osten Österreichs. (St. Anna Kinderspital, 2017) In den letzten 10 Jahren wurden jährlich im Durchschnitt 100 Kinder und Jugendliche mit einer onkologischen Neuerkrankung  und 15 Krankheitsrückfälle (Rezidive) behandelt. Von Anfang 2007 bis inklusive Juni 2017 starben 130 Kinder und Jugendliche im Krankenhaus, wobei 45 PatientInnen auf einer der beiden basisonkologischen Stationen und 10 auf der Transplantationsstation ihren Kampf gegen die Erkrankung verloren. 75 Verstorbene wurden auf der Intensivstation gezählt, davon 67 onkologische und 8 allgemein pädiatrische PatientInnen.  Im selben Zeitraum starben 29 Kinder und Jugendliche in ihrem häuslichen Umfeld, betreut vom Externen Onkologischen Pflegedienst.

Palliativ -Therapie -Phase

Eine Änderung des Therapieziels, von einer kurativen zu einer palliativen Versorgung, wird von den behandelnden ÄrztInnenteams nur nach gründlichen Überlegungen ausgesprochen. Meist ist der Übergang von einer Palliativ-Therapie-Phase, in der sowohl Symptome als auch die Grunderkrankung therapiert werden, über die ausschließlich symptomorientierte Behandlungsphase, bis hin zu den voraussichtlich letzten Lebenstagen fließend.  Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes (2015, S. 11) hält in ihrer Stellungnahme zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende mit dem Titel „Sterben in Würde“ fest, dass das Erkennen und Ansprechen des Lebensendes unumgänglich ist, um eine begleitende und wirkungsvolle Betreuung der Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt zu ermöglichen. Ziel der palliativen Versorgung ist eine höchstmögliche Lebensqualität für die Erkrankten und deren Familien zu erreichen. Das bedeutet, dass bei hämato-onkologischen PatientInnen neben einer adäquaten Schmerztherapie und Maßnahmen zur Bekämpfung von Übelkeit, Erbrechen, Fatique und Ähnlichem, Chemotherapeutika meist als Schlucktherapie oder eine Strahlentherapie angeboten werden, wenn diese eine Schmerzlinderung oder eine Lebenszeitverlängerung bei guter Lebensqualität versprechen. Ebenso können Punktionen eines Pleuraergusses zu einer Linderung etwaiger Atembeschwerden und einer Verbesserung des Wohlbefindens führen. Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein, dass dies in den meisten Fällen Maßnahmen zur Symptomkontrolle sind, die die ursprüngliche Erkrankung nicht heilen werden. Daher ist eine kontinuierliche Evaluation der Wirkungen und Nebenwirkungen der Behandlungen notwendig. Die Palliativversorgung beinhaltet zudem eine ganzheitliche Betreuung der Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen durch die psychologische und spirituelle Unterstützung eines interdisziplinären Teams. Im St. Anna Kinderspital steht den betroffenen Familien  das Psychosoziale Team zur Seite, welches aus PsychologInnen, einer Sozialarbeiterin, einer Seelsorgerin, Physiotherapeutinnen, einer Musiktherapeutin, einer Kunsttherapeutin, Lehrerinnen und Kindergartenpädagoginnen besteht. In der extramuralen Versorgung wird das stationäre Behandlungs- und Betreuungsteam durch die Mitarbeiterinnen des Externen Onkologischen Pflegedienstes, eine externe Psychologin des Familienlotsenprojektes und Mitarbeiterinnen von MOMO, dem Wiener mobilen Kinderhospiz, unterstützt.

Terminalphase

In einer pluralistischen Gesellschaft, in der die Toleranz unterschiedlicher Weltanschauungen und Lebenskonzepte wesentlich ist, sollte das Eingehen auf und die Berücksichtigung von individuellen Wünschen der Kinder und deren Angehörigen selbstverständlich sein. Dabei stehen die Kontrolle der Symptome, Information, die emotionale und spirituelle Unterstützung und das individuelle Fortführen der Versorgung im Vordergrund. Jugendliche, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, richten ihren Focus häufig auf die ihnen verbleibende Zeit. Gespräche über den Tod oder das Sterben können in diesem Fall durchaus in einer früheren Phase der Erkrankung stattfinden. In der Terminalphase wird aber gekämpft, um die noch vorhandene Zeit mit Leben zu füllen. Dabei werden noch Feste gefeiert, Abschlussprüfungen gemacht, mit der Familie verreist oder eher im Kleinen noch einmal mit dem geliebten Haustier gekuschelt. Eine Patientin beschreibt diese Einstellung in einem Brief an ihr behandelndes ÄrztInnenteam, in dem sie klarstellt, dass sie wieder ganz gesund werden wird. Ihre Erkrankung, der Krebs, ist für sie ein „Arschloch“, das aus ihrem Körper vertrieben gehört. Für sie ist diese positive und kämpferische Einstellung, ohne die sie nicht jeden Tag aufstehen könnte, das Wichtigste um neben den schönen Ereignissen auch all die Dinge zu tun, die ihr als Hürden im Weg stehen.

Obwohl Jugendliche ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ängste offen aussprechen könnten, wird dies öfter vermieden, vermutlich um die Eltern zu schützen. Manche Jugendliche sprechen ihrerseits das Thema nicht an bzw. geben, wenn sie gefragt werden ausweichende Antworten. Manche Eltern verbieten MitarbeiterInnen des psychologischen Teams mit ihrem Kind alleine zu sein, aus Sorge, dass über das Thema Sterben gesprochen werden könnte.

Aufklärung und Information

Jüngere Kinder benötigen ihre Eltern bzw. Bezugspersonen, um die Entscheidung bezüglich der weiteren Therapie für sie zu treffen. Um die Familien in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen, sind Informationen wesentlich, wobei neben dem Informationsinhalt eine offene und ehrliche Aufklärung, die auf eine mitfühlende und sensible Weise erfolgen soll, von großer Bedeutung ist. Eltern wollen frühzeitig über die Entwicklungen der Erkrankung ihrer Kinder informiert werden. Sie wünschen regelmäßige aber auch außerhalb der Routine mögliche Gespräche über den Zustand ihrer Kinder und möchten am Entscheidungsprozess teilhaben. Eltern wollen nachfragen, in einer für sie verständlichen Sprache informiert werden und die Informationen lückenlos erhalten. Sie beschreiben die Entscheidung am Lebensende als einen Entwicklungsprozess, der Zeit braucht, um über weitere Maßnahmen im Sinne ihres Kindes nachzudenken. (Xafis, 2015, S. 5-7)

Eine besondere Bedeutung wird der Informationsweitergabe in der Muttersprache bzw. mit Hilfe von professionellen DolmetscherInnen zugeschrieben (Michelson, 2011, S. 5). Weder das kranke Kind noch seine Geschwister sollen für die Eltern übersetzen müssen. Bezüglich der Informationsweitergabe orientiert sich das St. Anna Kinderspital an den Forderungen der European Association for Children in Hospital (EACH), die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen im Gesundheitswesen und hier besonders im Krankenhaus einsetzen. Die Each-Charta bezieht sich inhaltlich auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes. (EACH, 2006, S. 6 f.) Neben professionell ausgebildeten DolmetscherInnen finden auf den Stationen und der Tagesklinik Videodolmetsch Systeme Verwendung, die auch kurzfristig rund um die Uhr z.B. bei pflegerischen Belangen eingesetzt werden können.

Auseinandersetzung mit dem Tod

Es gibt Familien, die trotz mehrmaliger Aufklärungsgespräche und ausgehändigtem Palliativbrief die Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Verlust ihres Kindes nicht ertragen können und sich anderwärtig um Hilfe umschauen. In einem konkreten Fall vermieden die Eltern eines Kindes mit Neuroblastom im Endstadium jeglichen Krankenhauskontakt. Allein den Besuchen des Externen Onkologischen Pflegedienstes stimmten sie zu, der mit Rücksprache der behandelnden ÄrztInnen die Symptomversorgung des Kindes zu Hause sicherstellte. Sie hofften auch noch auf Hilfe, als ihr Kind bereits tot vor ihnen lag. Viele Familien verbringen die letzten verbleibenden Wochen ihres Kindes überwiegend zu Hause, nur unterbrochen von tagesklinisch verabreichten Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten. Die Schmerztherapie erfolgt in den meisten Fällen mittels einer Schmerzpumpe über einen zentralvenösen Katheter. Obwohl sehr viele Maßnahmen, wie eine kontinuierliche Verabreichung von Sauerstoff oder Flüssigkeits- und Antibiotikagaben zu Hause durchgeführt werden können, möchten einige Familien die letzten Tage oder Stunden vor dem Tod im Krankenhaus verbringen. Diese Entscheidung kann rund um die Uhr erfolgen, da für diese PatientInnen jederzeit ein Bett auf der Stammstation reserviert ist. Umgekehrt können die Familien auch, wann immer sie möchten und auf Wunsch mit der Unterstützung des Externen Onkologischen Pflegedienstes, nach Hause gehen.

Die letzten Tage

In der Terminalen Phase ist das Wahrnehmen, Kontrollieren und Behandeln von Schmerzen und jeglichen weiteren körperlichen Beschwerden unerlässlich. Eine Koordination der Pflegemaßnahmen, die mit dem Ziel, das Wohlbefinden des Kindes zu fördern, durchgeführt werden, erfolgt unter Einbeziehung der Angehörigen. Jede Handlung an dem Kind geschieht  auf achtsame und respektvolle Weise, wobei mit bewusstseinsgetrübten Kindern und Jugendlichen gesprochen wird als wären sie wach. Auf diagnostische Maßnahmen, die für den Krankheitsverlauf ohne Konsequenz sind und den Betroffenen Schmerzen verursachen, wird verzichtet. Es wird sowohl auf den basisonkologischen Stationen als auch auf der Intensivstation ein eigener Raum für die Familie und ihr Kind zur Verfügung zu gestellt, damit diese rund um die Uhr zusammen sein können. Die Familie benötigt Unterstützung und Information, was in der letzten Lebensphase passieren könnte und wie darauf zu reagieren ist. Das Behandlungsteam steht  für Fragen zur Verfügung, ohne den Eltern dabei die Zeit zu nehmen, um mit ihrem Kind alleine zu sein. Allen für das Kind wichtigen Personen wird die Möglichkeit gegeben, sich an schöne Momente in der Vergangenheit zu erinnern und sich von dem Kind zu verabschieden. Auf Geschwisterkinder wird in diesen Momenten besonderes Augenmerk gelegt. Diese geraten im Laufe der Erkrankung häufig in den Hintergrund, da die Aufmerksamkeit der Eltern überwiegend auf das erkrankte Kind gerichtet ist. Das Behandlungsteam ist bemüht Familien bei einer rituellen und spirituellen Vorbereitung des Kindes auf den Tod zu bestärken. Dafür sind das Erkennen von kulturellen und religiösen Bedürfnissen der Familie und das Hinzuziehen einer Seelsorgerin oder Personen von ethnischen oder kulturellen Vereinen auf Wunsch der Angehörigen, hilfreich.

Abschied nehmen

Ist der Tod eingetreten kann die Familie, sowohl im Krankenhaus als auch zu Hause, ungestört von ihrem Kind Abschied nehmen, während die notwendigen organisatorischen Maßnahmen vom Behandlungsteam veranlasst werden. Die Familie wird bei einer gewünschten Waschung und beim Ankleiden des verstorbenen Kindes unterstützt. Häufig wird diese Aufgabe an das Pflegeteam übertragen. Bei Bedarf wird das Kind auch an den Folgetagen für eine Verabschiedung aufgebahrt, bevor es von der Bestattung übernommen wird. Die Eltern erhalten nach ungefähr einem Monat einen Brief, in dem die Möglichkeit eines Gesprächs angeboten wird. Einmal jährlich finden Gedenkfeiern statt, wo die Familien auch eingeladen werden.

Die Kinder und Jugendlichen werden oftmals über viele Monate von Diagnosestellung bis zu ihrem Tod begleitet. Daher ist auch ein Abschiednehmen des Behandlungsteams notwendig. Dies erfolgt in erster Linie durch Gespräche innerhalb des Teams, manche Stationen entzünden eine Kerze als Zeichen des Gedenkens, einzelne Teammitglieder nehmen beim Begräbnis Abschied, andere möchten genau das nicht tun, sondern stürzen sich in die Arbeit, um sich abzulenken. Alles ist möglich. Nichts ist vorgeschrieben.

Das zeigt, dass in diesem Haus jedes Kind als einzigartig wahrgenommen wird und das Sterben keine Routine ist und auch nie werden wird.

Autorin:

DKKS Sonja Himmelsbach, BSc

sonjahimmelsbach@yahoo.de

Von 2003-2015 auf der Intensivstation

Seit 2015 im Externen Onkologischen Pflegedienst des St. Anna Kinderspitals tätig.

Literatur

Bioethikkommission (11. August 2015). Sterben in Würde. Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundenen Fragestellungen. Stellungnahme der Bioethikkommission. Abgerufen am 18.07.2017 von Bundeskanzleramt. Österreich: https://bka.gv.at/site/3458/default.aspx

EACH (2006). Die EACH Charta und Erläuterungen. Abgerufen am 18. 07. 2017 von kib.or: https://www.kib.or.at/fileadmin/user_upload/EACH_Web.pdf

Michelson, K. N., Emanuel, L., Carter, A., Brinkman, P., Clayman, M. L., & Frader, J. (2011). Pediatric intensive care unit family conferences: one mode of communication for discussing end-of-life care decisions. Pediatr Crit Care Med, 12(6):336-343.

St. Anna Kinderspital (4. Juli 2017). Abgerufen am 24. 07. 2017 von www. stanna.at: https://www.stanna.at/content.php?lang=de&p=9

Xafis, V., Wilkinson, D., & Sullivan, J. (2015). What information do parents need when facing end-of-life decisions for their child? A meta-synthesis of parental feedback. BMC Palliative Care, 14:19.

 

 

 

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