Tischgesellschaft in der Klinik

8. September 2019 | Christophs Pflege-Café | 0 Kommentare

Stellen Sie sich einmal vor, Sie erleben in einem Krankenhaus ein Frühstücksbüffet mit Fünf-Sterne-Charakter: Zwischen verschiedenen frischgepressten Säfte können Sie wählen. Das Brot und die Brötchen wurden in der hoteleigenen Bäckerei gebacken. Unterschiedliche Omeletts können Sie bei einer freundlichen Service-Mitarbeiterin bestellen. Die Wurst kommt aus einer Ihnen bekannten Fleischerei und dem Käse merkt man an, dass die Milch von glücklichen Kühen gekommen ist. Als Menschen, die an diesem Ort genesen wollen, sitzen Sie in kleinen Gruppen an übersichtlichen Tischen.

Sie können die Augen wieder öffnen. Der Traum ist vorbei. Sie können in der grauen Wirklichkeit wieder ankommen. Das Frühstück, das Sie aus der Klinik kennen, wiederholt sich jeden Tag. Die Marmelade ist portionsweise in Plastik verpackt. Das Müsli ist tagein, tagaus dasselbe. Statt der Stoffserviette liegt ein Haufen Papierservietten auf dem großen Tisch, an dem alle sitzen. Eine babylonische Sprachverwirrung beherrscht die Szenerie.

„Der Mensch ist, was er isst“, heißt es in einem geflügelten Wort. Schauen wir einmal auf die Teller auf Stationen in Kliniken oder in Pflegeheimen, so erscheinen die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen begrenzt. Einfallslos und abwechslungsarm werden diejenigen Menschen versorgt, deren Seelen aus der Balance geraten sind. Für den Koch des Hauses steht die Wirtschaftlichkeit der Küche im Vordergrund, er darf einfach kein gutes Leben einkaufen.

Die therapeutische Gemeinschaft als Tischgesellschaft?

Sie kennen doch sicher die Situation, dass Sie beispielsweise von der Arbeit nach Hause kommen? Dort riecht es gut. Sie sind motiviert, sich unmittelbar mit der Familie an den Tisch zu setzen. Der Geruch des Essens sorgt für eine anregende Atmosphäre. Die Mahlzeit wird geradezu mit allen fünf Sinnen wahrgenommen und genossen. Wenn die Mahlzeit dann so gut schmeckt, wie sie reicht, dann sind wir geneigt, von der Sinnenfreude und der Sinnenfülle zu sprechen.

Das Essen in einem Krankenhaus oder in einem Pflegeheim ist sicher eher geeignet, den Menschen die Sinnenfreude und die Sinnenfülle zu nehmen. Dass es auf einem unifarbenen und somit eher eintönigen Tablett serviert wird, vervollständigt den Eindruck, dass das Essen abgewöhnt werden soll. Der eine oder die andere bekommt Tag für Tag die Mahlzeit püriert. Oft scheint dann von Montag bis Sonntag das Essen gleich auszusehen.

Kann Essen in einem Krankenhaus oder in einem Pflegeheim ein sinnliches Erlebnis sein? Ich glaube nicht. Schließlich bringt es niemanden dazu, sein Wohlgefallen zum Ausdruck zu bringen. Es wird gegessen, weil jemand Hunger hat oder aber die Langeweile einer Klinik damit unterbrochen wird.

Zu einer therapeutischen Gemeinschaft gehört es jedoch, dass psychiatrisch Pflegende und seelisch erkrankte Menschen den Alltag teilen. Alltag teilen heißt unter anderem, eine gemeinsame Mahlzeiten-Praxis zu kultivieren. Psychiatrisch Tätigen fällt es schwer, gemeinsam mit den erkrankten Menschen am Tisch zu hocken. Sie schieben vor, es nicht auszuhalten, wenn der Speichel eines betroffenen Menschen auf den Teller fällt. Ja, angenehm ist es nicht. Doch zeigt die Rigorosität einer solchen Aussage schon, dass etwas mit der Grundhaltung nicht stimmt, mit der psychiatrisch Tätige den Menschen gegenübertreten.

Fühlen Sie sich als An-und Zugehörige willkommen oder gar eingeladen? In einem Krankenhaus fühlen sich die meisten Besucherinnen und Besucher nicht willkommen. Auf der Station werden sie sogar darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich einen eigenen Kaffee in der Caféteria kaufen sollen.

Gastfreundschaft ist ein hoher Wert. Sie schlägt eine Brücke zur eigentlichen Esskultur. Wenn es stimmt, dass psychiatrisch Tätige eine Vorbildfunktion im Setting haben sollen, dann erscheint es notwendend, sich einmal zur Ess-und Mahlzeiten-Kultur Gedanken zu machen. Wenn chronisch seelisch erkrankte Menschen in einer eigenen Häuslichkeit leben, dann gehören sie meistens nicht zu denjenigen, die eine Essenskultur pflegen. Sie schieben oft genug die Tiefkühl-Pizza in den Backofen, rösten sich zum Frühstück Toasts.

Sie brauchen den gelebten Widerspruch in Form einer Tischkultur. Ihnen gegenüber ist es ein Dienst der Menschlichkeit, mit frischem Obst und Gemüse Alternativen zur Flüchtigkeit der industriellen Ess-Gewohnheiten zu setzen. Dazu gehört sicher auch, Tag für Tag gemeinsam zu kochen. Irgendwie träume ich davon, dass ein gemeinsames Kochen und ein gemeinschaftliches Essen zum Alltag einer n Station im Krankenhaus oder eines Pflegeheims  gehört. Es muss ja nicht unbedingt der Fünf-Sterne-Standard eines Nobel-Hotels sein. Aber es sollte sicher deutlich werden, dass die Menschen mehr verdient haben als eine sterile Essensversorgung.

Oder träumen Sie auch gerade davon, dass am Krankenbett ein Steak flambiert wird? Und ein Aperitif auf dem Nachtschränkchen steht.

 

Autor

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at