Stolz auf Beziehung

12. Juli 2020 | Bildung | 0 Kommentare

Zum „Stolz in der Pflege“ stellt sich die Frage, worauf können Pflegende eigentlich stolz sein können. Eine Idee ist, die scheinbar selbstverständliche Arbeit, die tagtäglich von den Kolleginnen und Kollegen geleistet wird, vor den Vorhang zu stellen und zu beschreiben, welches Wissen und Können dafür notwendig ist und welchen Rahmenbedingungen notwendig wären, damit pflegebedürftige Menschen optimal davon profitieren können.  Die Pflegenden im psychiatrischen Setting stehen vor der Herausforderung, Menschen zu betreuen und zu begleiten, die eine besondere psychosoziale Entwicklung durchleben und eine besondere Vulnerabilität zeigen. Es erfordert im täglichen Zusammenleben auf den Stationen und in sonstigen Einrichtungen, neben speziellen Fachkenntnissen, eine besondere Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung und außergewöhnliche sozial-kommunikative Fertigkeiten. Pflegepersonen können stolz auf diese Beziehungsleistung und den dadurch entstehenden Beitrag in der Genesung von psychisch kranken Menschen sein.

Die psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege begann sich im deutschsprachigen Raum erst Ende der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts als eigenständige Profession im Gesundheitswesen zu etablieren. In Österreich war für die Professionalisierung der Pflege das Inkrafttreten des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (GuKG) 1997 von enormer Bedeutung. In diesem Bundesgesetz bekam die Gesundheits- und Krankenpflege (GuKP) erstmals einen eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich. Es wurden die Spezialbereiche der Kinder- und Jugendlichenpflege sowie der psychiatrischen GuKP als eigene Sparten definiert. Es gab für diese Sparten eigene dreijährige Grundausbildungen und zusätzlich einjährige Sonderausbildungen für Angehörige des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege mit dem allgemeinen Diplom.

Seit der Novelle des GuKG im September 2016 gibt es die speziellen Grundausbildungen nicht mehr. Die Grundausbildung für den gehobenen Dienst in der Pflege wird nun als generalistische Ausbildung an Fachhochschulen angeboten. Die Spezialisierung für die psychiatrische GuKP erfolgt derzeit noch als Sonderausbildung (mindestens 800 Stunden Theorie und 800 Stunden Praktikum), in einigen Bundesländern seit 2019 als Universitätslehrgang, der innerhalb von fünf Jahren ab Beginn der Tätigkeit abzuschließen ist. Die bundesweit gültige Verordnung für die Spezialisierungen ist derzeit in Bearbeitung. In der Schweiz findet die Spezialisierung teilweise an sogenannten höheren Fachschulen (vergleichbar mit der FH in Österreich) als dreijährige Ausbildung oder als universitäre Weiterbildung statt. Auch in Deutschland gibt es keine bundesweite Regelung der Ausbildung für die psychiatrische Pflege. Hier findet man ein breites Spektrum von einzelnen Fortbildungen bis zu sechssemestrigen Studiengängen.

Im Gegensatz dazu ist die psychiatrische Pflege als eigenständige Profession mit einer Ausbildung im tertiären Bereich im angloamerikanischen Raum seit den 1940er Jahren etabliert. Hier wird auch in den letzten Jahrzehnten der Begriff des „Psychiatric Nursings“ zunehmend vom Begriff des „mental-health nursings bzw. carings“ abgelöst. Frei übersetzt würde das dem Begriff der „psychosozialen Gesundheits- und Krankenpflege“ entsprechen. Die therapeutische Pflegebeziehung ist in diesen Ländern, seit Hildegard Peplau´s Publikation des Buches „Interpersonale Beziehungen in der Pflege“ im Jahr 1952, eine wesentliche Säule des Gesundheitssystems, speziell in der psychiatrischen und in der gemeindenahen Versorgung.

Dieser Artikel soll die therapeutischen Aspekte der Beziehungsgestaltung in der psychiatrischen Pflege unter dem Aspekt der psychosozialen Gesundheit beleuchten und als wesentlichen Beitrag zur Bewältigung psychischer Erkrankungen sowie der psychosozialen Gesundheitsförderung darstellen. Im Wesentlichen werden dabei drei Ebenen betrachtet:

  1. Welche Rahmenbedingungen sind für eine professionelle therapeutische Beziehungsarbeit notwendig?
  2. Theoretische Hintergründe einer professionellen, therapeutischen Beziehungspflege
  3. Praktische Beziehungsgestaltung und kommunikative Erfordernisse an die Pflegepersonen

Rahmenbedingungen für eine therapeutische Pflegebeziehung

Die gesetzlichen Grundlagen für diesen Bereich der Pflege bildet in Österreich insbesondere der § 19 GuKG. Darin wird beschrieben, dass die psychiatrische GuKP die Pflege und Betreuung von psychisch erkrankten Menschen aller Alters- und Entwicklungsstufen und die Förderung der psychischen Gesundheit umfasst. Die Pflege findet in stationären, teilstationären, ambulanten sowie in extramuralen und komplementären Bereichen statt. Neben anderen Tätigkeiten wird hier zudem die Beschäftigung mit betroffenen Menschen, die psychosoziale Betreuung sowie die Gesprächsführung mit Betroffenen und Angehörigen beschrieben. (vgl. § 19 GuKG, www.jusline.at) Dies bedeutet, dass Angehörige des gehobenen Dienstes der psychiatrischen GuKP nicht nur berechtigt sind, therapeutische professionelle Pflegebeziehungen in den beschriebenen Bereichen zu gestalten, vielmehr ergibt sich daraus eine berufliche Verpflichtung. Für die Rechtsträger der Einrichtungen bedeutet es aber, dass sie Rahmenbedingungen schaffen müssen, in denen Zeit und Raum für unterschiedliche Interventionen vorhanden sind. Diesbezüglich gibt es hier dieselben Probleme wie in anderen Pflegebereichen, da sich unser Gesundheitssystem sehr stark auf „Reparaturmedizin“, ganz besonders im vollstationären Bereich, fokussiert. Besonders die Psychiatrie zeigt nach wie vor eine Dominanz der Berufsgruppe der Ärzte und somit noch immer eine vorwiegend auf psychopharmakologische Interventionen ausgerichtete Behandlung.

Die nichtärztlichen Gesundheitsberufe, hier vor allem die Pflege, finden sich weder in der Verrechenbarkeit ihrer Dienstleistung über die Sozialversicherungsträger noch in der Schaffung entsprechender Planposten wieder. Dies gilt ganz besonders für den extramuralen Bereich (z.B. Schulgesundheitspflege, Gemeindepflege usw.) und für die psychosoziale Rehabilitation. In der stationären psychiatrischen Versorgung ist vor allem die Dominanz der Ärzte als einzige Entscheidungsträger zu kritisieren. Deshalb kommt es vor, dass Menschen beispielsweise entlassen werden, weil sie keine medizinsch-psychiatrischen Symptome mehr zeigen, während wichtige Pflegeziele (z.B. selbständiger Umgang mit den Medikamenten) noch nicht erreicht sind. Eine extramurale, flächendeckende Versorgung dieser Menschen ist nicht vorhanden. Somit kommt es häufig zu nicht notwendigen Wiederaufnahmen. Das Erreichen von Pflegezielen erfordert oftmals eine langwierige Beziehungsarbeit. Dabei geht es um Vertrauensaufbau, Verständnis, Lernen und viele andere Aspekte, die mehr Zeit brauchen als eine Einstellung auf Psychopharmaka. Deshalb wäre die erste wesentliche Forderung, dass die Pflege nicht nur informell, sondern auch offiziell die Entscheidung bezüglich möglicher Behandlungswege beeinflussen kann.

Wichtig für die Umsetzung einer therapeutischen Beziehungsgestaltung ist ein System, in dem klar beschrieben wird, wie die Pflege in einem bestimmten Bereich (z.B. Station) organisiert ist. Es gibt diesbezüglich verschiedene Begriffe, wie Bezugspflege, Bezugspersonensystem, Primary Nursing, Primärpflege und noch viele andere (vgl. Needham & Abderhalden, 2002, S. 189). Zur Terminologie empfehlen Needham und Abderhalden die Begriffe Bezugspersonenpflege oder Bezugspersonensystem zu verwenden, da die anderen Begrifflichkeiten eher zu Missverständnissen in der Bedeutung führen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass Bezugspflege eine Pflegeorganisationsform darstellt und nicht mit Pflegemodellen oder einer Pflegephilosophie in Verbindung gebracht werden soll. In entsprechenden Organisationsbeschreibungen sollte auf Bezeichnungen wie „Bezugspfleger/Bezugsschwester“, „Primärpfleger/-schwester“ verzichtet werden. Die Bezeichnung „pflegerische Bezugsperson“ ist hier am treffendsten (vgl. Needham & Abderhalden, 2002, S. 189)

Dazu ist anzumerken, dass sich im östlichen Österreich derzeit in der Praxis eher der Begriff „Bezugspflegeperson“ und im Westen eher „pflegerische Bezugsperson“ etabliert haben. Wesentlich scheint hier, dass eine klare Beschreibung des Aufgabenprofils dieser Pflegeperson vorhanden ist. Sie ist besonders für die Orientierung der pflegebedürftigen Personen und der anderen Berufsgruppen wichtig.

Nach Needham und Abderhalden hat die Organisationsform der „Bezugspflege“ wesentliche Merkmale und Erfordernisse, um in weiterer Folge qualitativ hochwertige Beziehungen zu ermöglichen:

  • alle PatientInnen in der Organisationseinheit (OE)  bekommen einer einzigen hauptverantwortlichen Bezugsperson
  • weitgehende Entscheidungsbefugnis und Einzelverantwortung der Bezugsperson
  • die Bezugsperson begleitet den Patienten/die Patientin vom Eintritt auf einer Station bis zum Austritt aus dieser Station bzw. bis zur Verlegung auf eine andere Station.
  • umfassende Verantwortung für den Pflegeprozess
  • direkte Kommunikation (zum Beispiel mit anderen Berufsgruppen, Angehörige etc.)
  • Beteiligung an der Nachbetreuung bzw. am Übergang zur Nachbetreuung
  • Selbstverantwortlichkeit für PatientInnenorientierung, Kontinuität der Pflege und Beziehung zu den PatientInnen, Kooperation (PatientInnen, Angehörige, andere Berufsgruppen) Koordination (z.B. Case-Management), (vgl. Needham & Abderhalden, 2002, S. 190)

Bereits 2002 hat der Verband der der registrierten Pflegepersonen (Registered Nursing Assoiation of Ontario = RNAO) eine evidenzbasierte Leitlinie zur Etablierung einer therapeutischen Beziehung veröffentlicht und 2006 überarbeitet. Die RNAO stellt dabei sowohl organisatorische Empfehlungen als auch Empfehlungen zu Ausbildung und Praxis von Pflegepersonen zur Verfügung.

Eine wichtige Empfehlung für Organisationen ist, die therapeutische Beziehung als Grundlage der Pflegepraxis zu betrachten. Die Organisationen müssen unterschiedliche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten integrieren, um Pflegende bei der effektiven Entwicklung dieser Beziehungen zu unterstützen. Zu der Vielzahl an Möglichkeiten müssen Beratung und Coaching der Pflegepersonen und Supervision auf alle Fälle stattfinden (vgl. RNAO, 2006, S. 8). Die Gesundheitsdienstleister müssen zudem die Pflegenden dabei unterstützen, ein entsprechendes Bezugspersonensystem zu implementieren. Es muss darauf geachtet werden, dass in diesem Bereich zumindest 70% der Pflegepersonen vollzeitbeschäftigt sind, um eine Kontinuität der Beziehungsarbeit zu gewährleisten. Die Rechtsträger müssen auch darauf achten, dass die Arbeitsbelastung bei den Pflegenden auf einem Niveau bleibt, damit ausreichend Ressourcen für die Beziehungsarbeit frei bleiben (vgl. RNAO, 2006, S. 9).

Dazu ist aus der Praxis zu bemerken, dass zwar in vielen Leitbildern von Organisationen die Beziehung zu den Nutzerinnen und Nutzern oftmals ins Zentrum gestellt wird. Dem gegenüber steht jedoch eine Erweiterung der Tätigkeiten aus dem ärztlichen Bereich (z.B. Blutabnahmen, Setzten diverser Sonden und Katheter usw.), ohne die Anzahl an Pflegepersonen mit entsprechender Ausbildung zu erhöhen. Auch scheint es, dass immer mehr Pflegende, meist auf Grund der Arbeitsbelastungen, nur mehr Teilzeit arbeiten wollen. Hier lässt sich schlussfolgern, dass die Pflegepersonen seitens der Rechtsträger zu wenig Unterstützung bekommen, flächendeckend für alle betroffenen Menschen entsprechend therapeutische Beziehungsarbeit zu leisten, obwohl sie dafür gut ausgebildet sind.

Organisationen müssen das Wohlergehen der Pflegepersonen als entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung therapeutischer Beziehungen zwischen Pflegepersonen und Klienten betrachten.  Sie müssen die Pflegepersonen bei Bedarf unterstützen (vgl. RNAO, 2006, S. 9). In diese Richtung gibt es in einigen Organisationen unterschiedliche Bemühungen, wobei diese sich im Zusammenhang mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen vielerorts ad absurdum führen. Was nützt einer Pflegeperson beispielsweise Supervision, wenn sie durch die vielen Überstunden völlig erschöpft ist.

Wenn also wie im GuKG gefordert, in den Empfehlungen verschiedener Expertengruppen beschrieben und in der Ausbildung gelernt, die psychiatrische GuKP therapeutisch wirksame Beziehungsarbeit leisten soll, müssen Rechtsträger und die Anbieter von psychosozialen Gesundheitsdienstleistungen diese wesentlich besser und umfangreicher wertschätzen und unterstützen als bisher. In der Praxis ist es sinnvoll, wenn sich Stationen aus den Empfehlungen der Literatur eine Organisationsrichtlinie für die Bezugspflege erarbeiten, in der schriftlich zumindest die Zuständigkeitskriterien der Bezugspflegeperson und der Zuteilungsprozess der Patientinnen und Patienten zu den Pflegepersonen festgehalten ist. Ebenso muss die Vertretungsregelung und das Schnittstellenmanagement (z.B. andere Berufsgruppen) geklärt und beschreiben sein. Die Form und Dauer der Einschulungszeit neuer Kolleginnen und Kollegen ist ebenfalls Bestandteil einer solchen Richtlinie. Empfehlenswert ist es, dafür ein Projekt unter Einbezug aller Pflegemitarbeiterinnen und – mitarbeiter zu initiieren, da Bezugspflege nur dann flächendeckend umgesetzt werden kann. Da sich im Gegensatz zu anderen Pflegeorganisationsformen andere Verantwortlichkeiten ergeben und von den Pflegenden mehr sozial-kommunikative Kompetenz (z.B. personenzentrierte Gesprächsführung, gewaltfreie Kommunikation) und Selbstkompetenz (z.B. Reflexionsfertigkeiten) gefordert sind, ist auf entsprechende Fort- und Weiterbildung zu achten.

Beziehungspflege nach Peplau

Hildegard Peplau hat ihr Modell der „Psychodynamischen Pflege“ zum ersten Mal bereits 1952 publiziert. Obwohl es auch andere Modelle für die Beziehungsarbeit in der Pflege gibt (z.B. die kongruente Beziehungspflege von Rüdiger Bauer), die sinnvollerweise als Hintergrund für eine praktische Umsetzung dienen können, wird hier auf das Modell von Peplau Bezug genommen. Die Begründung dafür liegt in der Jahrzehntelangen Weiterentwicklung des Modells und in der praktischen Erfahrung in der Umsetzung durch den Autor in der Kinder- Jugendpsychiatrie. Außerdem lässt sich beim Lesen der Definitionen ganz klar der Bezug zum österreichischen GuKG herstellen. Das Model von Peplau wird auch in der Leitlinie der RNAO mehrfach empfohlen.

Pflege findet nach Peplau in Situationen statt, in denen eine Person krank ist oder der gesundheitlichen Versorgung bedarf und eine andere Person aufgrund ihrer speziellen Ausbildung in der Lage ist, diesen Bedarf zu erkennen und darauf zu reagieren (vgl. Peplau, 1995, S. 28). Sie definiert Pflege als einen absichtsvollen und signifikanten therapeutischen interpersonalen Prozess. Die Pflege ist ein edukatives Instrument, eine die Reife fördernde Kraft (vgl. Peplau, 1995, S. 39).  Das Ziel der Pflege ist nach Peplaus Auffassung die Förderung von Gesundheit, die sie als eine Vorwärtsbewegung der Persönlichkeit und anderer im Gang befindlicher Prozesse in Richtung auf ein kreatives, konstruktives und produktives persönliches und gesellschaftliches Leben beschreibt (vgl. Sills & Beeber, 1995, S. 39). Dabei bezieht sich Pflege auf den Menschen als ein Ganzes, d.h. sie verkürzt ihn nicht auf einzelne Funktionen oder Organe (vgl. Peplau, 1995, S. 37).

Aus diesen grundsätzlichen Stellungnahmen zur Pflege wird deutlich, dass Peplau eine zielgerichtete und serielle Beschaffenheit der Pflege annimmt. Sie besteht aus Handlungen, an denen mindestens zwei Personen, nämlich der Patient und die Pflegende, beteiligt sind. Damit kann Pflege als eine soziale Handlung begriffen werden. Der Prozess der Pflege kann aus Peplaus Sicht nicht technisch definiert werden, d.h. nicht auf die Anwendung von Techniken reduziert werden. Die Pflegeprofession hat die legale Verantwortung für den effektiven Einsatz der Pflege und für ihre Folgen für den Patienten. Es zeigt sich auch ganz klar, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen (z.B. spezielle Ausbildung, Gesundheitsförderung und Beratung usw.) Pflege in diesem Sinne erforderlich machen.

Den Menschen beschreibt Peplau als einen Organismus mit biochemischen, physischen und psychologischen Eigenschaften. Er lebt in einem instabilen Gleichgewicht. Aus vier psycho-biologischen Erfahrungen, die bei allen Menschen gleich sind (Bedürfnisse, Frustration, Konflikt und Angst), schöpft der Mensch die Energie , die er benötigt um Handlungen zu setzen. Dabei ist er bestrebt, die Spannungen zu reduzieren, die sich aus diesen Erfahrungen entwickeln (vgl. Peplau, 1995, S. 38).

Peplau geht von der Annahme aus, dass das menschliche Verhalten zielgerichtet und vorwärtsgerichtet ist und dass die Erfüllung der Bedürfnisse (vgl. Maslow – Bedürfnispyramide) das Handeln von Personen bestimmt. Dabei werden zwei Arten von Bedürfnissen genannt, die nur zu analytischen Zwecken getrennt werden können:

  1. physiologische Bedürfnisse des menschlichen Organismus
  2. interpersonale Bedürfnisse, die die Ausbildung und den Gebrauch menschlicher Fähigkeiten fördern (vgl. Peplau, 1995, S. 45)

Eine systematische, weiter differenzierte Typologie der für die Pflege relevanten Bedürfnisse, wie sie beispielsweise bei Henderson oder Orem zu finden ist, legt Peplau nicht vor. Wenn in einer Situation die Befriedigung der physiologischen oder interpersonalen Bedürfnisse gefährdet ist, entsteht Angst, die in einer Beziehung kommuniziert wird. Da diese Situation in unterschiedlicher Ausprägung immer wieder vorkommt, ist Angst etwas, was im Leben unentwegt auftritt. Jeder Mensch entwickelt mehr oder weniger geeignete Strategien, der Angst zu begegnen oder sie zu vermeiden. Das bedeutet, dass die Kommunikation dieser Angst oftmals über Verhaltensmuster geschieht, die in der klassischen Psychiatrie als psychopathologisches Symptom bezeichnet wird. Ursachen einer nicht effektiven Bedürfnisbefriedigung können Konflikte oder Frustration sein, die innerhalb einer Person oder zwischen mehreren Personen (innere bzw. äußere Konflikte) bestehen.

Peplau teilt das Ausmaß der Angst in ihrer Theorie in ein niedriges, ein mittleres und ein schweres Niveau eint. Dieses Ausmaß der Angst hat einen Einfluss auf die Fähigkeit eines Menschen zu handeln und zu lernen. Bei einem niedrigen Niveau der Angst bleibt das empfundene Unwohlsein erträglich. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung ist geschärft. Der Mensch bleibt Herr der Situation und ist in der Lage zu lernen und zielgerichtet zu handeln (vgl. Peplau, 1995, S. 152f.). Bei einem mittleren bis hohem Angstniveau wird die Wahrnehmung auf den problematischen Bereich eingeengt. Die kognitive Kontrolle der Person über Situationen geht verloren. Dieses Stadium ist mit dem Lernen nicht mehr vereinbar. Es kann nicht erwartet werden, dass ein Patient in dieser Situation neue Erfahrungen macht oder kreative Problemlösungen generiert (vgl. Peplau, 1995, S. 153). Bei einem hohen Angstniveau, wie bei der Panik, geht der verbleibende Rest der Handlungs- und Wahrnehmungsfähigkeit verloren und die Person wird vollständig handlungsunfähig. Lernprozesse können in dieser Situation nicht mehr initiiert werden (vgl. Peplau, 1995, S. 153f).

Es bedeutet, dass Pflegepersonen, besonders in der Anfangsphase der Pflegebeziehung, darauf achten müssen, in welchem Ausmaß beim betroffenen Menschen Angst vorhanden ist, da sich die Pflegemaßnahmen am Angstniveau orientieren müssen. Das ist für die Weiterentwicklung einer vertrauensvollen Beziehung von Bedeutung, da es dabei um die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse nach Sicherheit bzw. am Gegenpol Selbstbestimmung geht.

Beziehungsphasen und Pflegeprozess

Peplau beschreibt den zeitlichen Ablauf des Beziehungsprozesses in vier Phasen. Durch diesen Phasenhaften Verlauf wird es möglich, die Beziehungsprozess in den Pflegeprozess zu integrieren. Die Themen des Pflegeprozesses müssen sich an der Beziehungsphase orientieren, damit eine therapeutische Gemeinschaft zwischen pflegebedürftiger Person und Pflegeperson entstehen kann.

Orientierungsphase

In der Orientierungsphase ist zunächst ein gegenseitiges Kennenlernen zwischen dem pflegebedürftigen Menschen, dessen Bezugspersonen und der Pflegeperson im Vordergrund. Der Betroffene und die Angehörigen benötigen Informationen und ein klares Beziehungsangebote, um sich in der neuen, fremden Umgebung zurechtfinden zu können. Die Pflegepersonen müssen offen und neugierig sein, um am Leben der Betroffenen teilhaben zu können. Die Professionalität der Pflegeperson zeigt sich darin, mit dem betroffenen Menschen ohne Beurteilung der Person seiner Situation den Einstieg in die Beziehung zu gestalten. Eine wertschätzende, empathische und authentische Haltung der Pflegeperson dieser Phase hilft dem Patienten, seine Problembereiche bewusst wahrzunehmen und anzuerkennen. Wenn der Patient oder die Patientin dazu nicht in der Lage ist, muss die Pflegeperson die Emotionen und die Bedürfnisse des Betroffenen verbalisieren, um diesen Prozess konstruktiv zu unterstützen. Die Gestaltung dieser Phase ist entscheidend für die weitere Beziehungsgestaltung (vgl. Schoßmaier, 2019, S. 43).

Auf den Pflegeprozess bezogen ist dies die Zeit des Assessments und des pflegediagnostischen Prozesses. Da die Orientierungsphase je nach Komplexität der Problemstellungen und je nach Zustandsbild des betroffenen Menschen unterschiedlich ist, kann das Stellen einer Pflegediagnose entsprechend lange dauern. Wichtig ist in dieser Phase auch, mögliche Gefährdungen (z.B. Suizidalität) zu erkennen und einzuschätzen, um eventuell notwendig Schutzmaßnahmen treffen zu können. Für die Beziehungsgestaltung bedeutet das, die Güter Schutz und Sicherheit gegenüber Autonomie und Selbstbestimmung abzuwägen.

Identifikationsphase

Jetzt hat die Pflegeperson die Aufgabe, gemeinsam mit dem Betroffenen zu beschreiben, was wichtig ist und wie er seine Fähigkeiten nutzen kann, um die Probleme zu bearbeiten. In gemeinsamen Gesprächen soll überlegt werden, wann und wodurch Anspannungen entstehen, welche Wahrnehmungen und Gefühle die Aktivität und Rollengestaltung im Alltag verhindern (vgl. Schoßmaier, 2019, S43). Für die Praxis bedeutet es, dass eine Pflegediagnose im Beziehungsprozess gemeinsam entsteht und die pflegebedürftige Person im diagnostischen Prozess eingebunden ist. Das Produkt der Identifikation ist in diesem Fall eine Pflegediagnose, die sowohl für den Betroffenen und die Pflegeperson stimmig ist.

Wenn die Pflegediagnose passt, wird gemeinsam überlegt, welche Schritte notwendig sind, um die Handlungsfähigkeit zu erweitern und wie diese Handlungsfähigkeit (=Pflegeziel) konkret zeichnet werden kann. Ein wesentlicher Faktor ist dabei oft, Strategien zu entwickeln, die es dem Patienten ermöglichen, wieder mehr Verbindung zu anderen Menschen zu erleben. Im Sinne des Pflegeprozesses ist dies die Zeit der Ziel- bzw. Maßnahmenplanung. So lange sich die Wahrnehmung der Pflegeperson von der Wahrnehmung des Patienten über dessen Möglichkeiten wesentlich unterscheidet, muss sie sich mit ihm darüber ohne Druck und Urteil auseinandersetzen. Dabei kann es durchaus sein, dass beide Meinungen gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben (vgl. Schoßmaier, 2019, S. 44).

Der Pflegeperson muss allerdings klar sein, dass in diesem Fall die Pflegebeziehung noch immer in der Orientierungsphase ist und eine Planung im Sinne des Pflegeprozesses ohne Identifikation nur im Falle einer akuten Gefährdung (z.B. Pflegediagnose: Suizid, Risiko) sinnvoll ist. Trotzdem die Pflegeperson dabei die Hauptverantwortung übernehmen muss (im Sinne des Schutzes), muss die betroffene Person so gut wie möglich in den Prozess integriert werden.

Dass die Identifikationsphase erreicht ist, zeigt sich darin, dass der pflegebedürftige Mensch und die Pflegeperson gemeinsam Ziele formuliert und Maßnahmen zur Erreichung der Ziele vereinbart haben. Es bedeutet, dass bezüglich dieser Ziele und Maßnahmen die Identifikation schon erreicht ist. Die Beziehung kann sich in Bezug auf andere Problembereiche jedoch noch in der Orientierungsphase befinden. Die einzelnen Phasen entwickeln sich sozusagen dynamisch.

Nutzungsphase

In dieser Phase liegt die Aufgabe der Pflegeperson darin, den Patienten zu unterstützen, seine Erkenntnisse aus dem bisherigen Pflegeprozess in alltägliches Handeln zu übertragen. Dabei ist es wesentlich, dabei zu helfen, auftretende Ängste zu überwinden. Der pflegebedürftige Mensch braucht dabei Feedback, damit er wieder Verantwortung für sich und seine Entscheidungen übernehmen kann. Die betroffene Person hat nun die Aufgabe, die im Pflegeprozess gelernten Strategien in seinen anderen Beziehungs- und Lebenssituationen zu nutzen (vgl. Schoßmaier, 2019, S. 44).

Auf den Pflegeprozess bezogen bedeutet dies, dass sich im Zuge der gemeinsamen Evaluierung der bisherigen Ziele verändern und auch die Maßnahmen zur Umsetzung im Alltag mit dem Patienten besprochen werden müssen. Wenn bei der Evaluierung bemerkt wird, dass der Patient oder die Patientin noch nicht so weit ist, erfolgt wieder eine gemeinsame Überlegung, ob der bisherige Weg noch etwas Zeit braucht oder ob die Ziele bzw. Maßnahmen verändert werden sollten.

Das Ziel liegt darin, dass die Patientin bzw. der Patient  sein Verhaltensrepertoire so gestalten kann, damit das alltägliche Leben und die damit verbundenen Rollen in einer zufriedenstellenden Art und Weise erfüllt werden können. Wenn es der Fall ist, wird von der Pflegeperson ein reflektiertes „Loslassen“ gefordert, damit der Übergang in die Ablösungsphase möglich wird.

Die Identifikationsphase und die Nutzungsphase wird von manchen Autoren auch als Arbeitsphasen zusammengefasst.

Ablösungsphase

Der Übergang in die Ablösungsphase verläuft fließend. Der Patient gewinnt immer mehr seine Autonomie zurück. Dies wird von betroffenen Menschen nicht nur als befreiend, sondern auch oftmals als bedrohlich erlebt. Jetzt zeigt sich die Professionalität der Pflegeperson darin, wie sie sich aus der Beziehung zurückzieht. Die Notwendigkeit besteht darin, den Patienten zur mehr Selbstverantwortung zu verhelfen. Dazu ist es notwendig, die bisher erreichten Ziele zu reflektieren und für den Patienten sichtbar bzw. erlebbar zu machen. Zusätzlich wird die noch zu leistende Arbeit gemeinsam reflektiert.

Während der Ablösungsphase müssen Anzeichen von Trauer, Einsamkeit oder Angst rechtzeitig wahrgenommen und angesprochen werden. Wichtig ist es, das Ende der Pflegebeziehung so zu gestalten, dass sich die Beziehung, beispielsweise bei einer Wiederaufnahme, wieder mit einer neuerlichen Orientierungshase starten lässt (vgl. Schoßmaier, 2019, S. 45). Zu bedenken ist, dass die Phasenübergänge während des Beziehungsprozesses fließend sind und es auch Rückschritte in eine vorige Phase geben kann. Dies zu erkennen, ist die  Verantwortung der Pflegeperson. In der Gesamtheit des Beziehungsprozesses liegt die Verantwortlichkeit der Pflegeperson hauptsächlich in der Prozesssteuerung durch die einzelnen Phasen. Im Gegensatz zur klassischen Psychiatrie, wo in erster Linie Vorgaben für ein „Funktionieren“ in der Gesellschaft gemacht werden, liegt die Verantwortung für die inhaltliche Ausrichtung des Beziehungs- und Pflegeprozesses vorwiegend in der Selbstbestimmung der betroffenen Person.

Kommunikative Kompetenzen der Pflegepersonen

Um den Beziehungsprozess entsprechend gestalten zu können, benötigen Pflegepersonen in der Psychiatrie die entsprechende Haltung, die betroffenen Menschen und deren Zugehörige ins Zentrum zu stellen und andererseits die kommunikativen Fertigkeiten aus dem personenzentrierten Gesprächsansatz nach Carl Rogers und dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg. In diesem Aufsatz wird auf theoretische Beschreibungen, zu denen als wesentliche Kriterien Wertschätzung, Kongruenz und Empathie gehören, verzichtet und dafür Möglichkeiten der praktischen Umsetzung erläutert. Die praktische Arbeit mit Modellen bedeutet, nicht die beteiligten Personen in das „Korsett“ des Modells zu pressen, sondern vielmehr flexibel die Empfehlungen aus den Modellen in den unterschiedlichen Situationen zu nutzen. (vgl. Sears, 2012, S. 16 f.).

Folgendes Beispiel soll diesen Ansatz erörtern:

Hr. M. Ist auf der Station mit der Diagnose „paranoide Schizophrenie“, eines seiner Symptome ist die Befürchtung, dass vergiftet werden soll. Im Zuge der Medikamentenausgabe sagt Hr. M.: „Ich nehme diese Gifttabletten sicher nicht. Das steckt der Geheimdienst dahinter.“

Absolut beziehungsschädigend wären alle Versuche, Herrn M. überreden zu wollen, vielleicht zu drohen oder mit einem kooperativen Mitpatienten zu vergleichen. Diese Verhaltensmuster hat Thomas Gordon bereits 1997 in seinem Buch „Die Patientenkonferenz“ als Beziehungskiller bezeichnet. Diese Ansätze könnten in etwa so klingen.

„Herr M., nehmen Sie doch die Medikamente, Sie werden sonst nie gesund werden.“, „Wenn Sie die Medikament nicht nehmen, muss ich das weiterleiten!“, oder „Schauen Sie sich den Hr. P. an, der macht nie solche Schwierigkeiten bei der Medikamenteneinnahme.“ usw.

Im Sinne der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg gäbe es verschieden Möglichkeiten der Reaktion auf die Aussage von Herrn M.  Das Wesentliche ist zunächst, die eigenen Bewertungen und Urteile über die Aussage von Herrn M. zu reflektieren und sozusagen „beiseite zu legen“, um sich auf das Hier und Jetzt einlassen zu können. Dazu kann das Vier-Schritte-Werkzeug (Beobachtung-Gefühl-Bedürfnis-Bitte) genutzt werden. Wenn es gelingt, muss die Pflegeperson eine klare Entscheidung treffen (vgl. Saers, 2012, S. 19).

Möglich sind nun drei unterschiedliche Wege:

  1. Selbstempathie: aus der Situation empathisch rausgehen, wenn es im Moment nicht gelingt, die Urteile über Herrn M. beiseite zu legen; noch einmal in Ruhe reflektieren und später versuchen oder andere Strategien überlegen.
  2. Ich-Botschaft: mit einer anschließenden Bitte, „Herr M., wenn ich „Ich nehme diese Gifttabletten sicher nicht“ höre, bin ich verunsichert und hätte gern Klarheit. Wollen Sie mir darüber erzählen, welche Gründe Sie haben, die Medikamente nicht zu nehmen?“
  3. Empathisch auf die Aussage eingehen: „Herr M., Sie haben Angst und hätten gerne Sicherheit? Sie würden die Tabletten nur dann nehmen, wenn Sie sicher sein könnten, dass es kein Gift ist?“

Welche dieser Möglichkeiten die Pflegeperson im Sinne der Beziehungsarbeit wählt, muss immer im Einzelfall entschieden werden, da viele andere Faktoren noch mitzuentscheiden sind. Beispielsweise die Tagesverfassung der Pflegeperson. Müde und erschöpft wird eher die Selbstempathie brauchen, weil die anderen Strategien nicht möglich sind. Es sind Fragen wichtig wie: Welche Erfahrungen sind mit Herrn M. bisher gemacht worden? Worauf reagiert er eher kooperativ? Alle beziehungsbeeinflussenden Faktoren zu nennen, ist an dieser Stelle unmöglich, da jede einzelne Situation individuell anderes erlebt wird. In der Aus- und Fortbildung ist es daher notwendig, ein möglichst breites Spektrum an Strategien abzudecken und vor allem die Fertigkeit zu Selbstreflexion zu fördern.

Beachtung der Grundlegenden Verpflichtungen nach dem Gezeitenmodell

Das Gezeitenmodell ist das erste Genesungsmodell, das von praktizierenden Pflegenden, Phil Barker und Poppy Buchanan-Barker, entwickelt wurde. Es stützt sich hauptsächlich auf Pflegeforschung. Das Gezeitenmodell war ursprünglich eher ein philosophischer Ansatz, der zur Entwicklung von evidenzbasierter Praxis in der psychiatrischen Pflege (mental health care) einlud.

Praktiker sollten fragen: „Wie passen wir die Pflege den spezifischen Bedürfnissen der Person und ihrer Geschichte sowie der gelebten Erfahrung an, sodass sie die Reise zur Genesung beginnen oder ein Stück weiterbringen kann?“ In diesem Sinne fokussiert das Modell auf befähigende Wege zu einem konstruktiven Leben, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Da die Person ist die Schlüsselfigur im eigenen Genesungsprozess ist, kann die Pflegeperson nur helfen ihr Potential zur Genesung zu erschließen, in dem Sie der betroffenen Person eine offene und authentische Beziehung anbietet. (vgl. Buchanan-Barker & Barker, 2008, S. 14)

Im Gezeitenmodell werden zehn Gezeitenverpflichtungen mit jeweils zwei Befähigungen der Pflegepersonen beschrieben. In diesem Artikel wird nur auf die fünf wichtigsten Verpflichtungen und die jeweils dazugehörigen Befähigungen der Pflegepersonen hingewiesen, die auf für die Beziehungsgestaltung wesentlich sind.

Die persönliche Stimme wertschätzen

Die persönliche Geschichte der Person stellt den Anfangs- und Endpunkt der helfenden Begegnung dar. Sie schließt nicht nur einen Bericht von den Problemen des Menschen ein, sondern auch die Hoffnung auf eine Lösung. Befähigungen sind die Kompetenz, der Geschichte eines Menschen aktiv zuzuhören. Und das Engagement zu unterstützen, dass der Mensch seine eigene Geschichte in seinen eigenen Worten kontinuierlich im Pflege- und Versorgungsprozess festhält

Die Sprache respektieren

Die Pflegenden müssen Menschen ermutigen, in ihren eigenen Worten mit eigener unverwechselbarer Stimme zu sprechen. Nicht die technisierte Fachsprache, sondern die Wertschätzung und der Gebrauch der natürlichen Sprache des Menschen vermittelt den einfachsten, jedoch größten Respekt für die betroffene Person. Die Pflegeperson muss dem Menschen helfen, sich jederzeit in seiner eigenen Sprache auszudrücken und soll dem Menschen helfen, sein Verständnis spezifischer Erfahrungen durch persönliche Geschichten, Anekdoten, Gleichnisse oder Metaphern auszudrücken.

Eine ehrliche Neugierde entwickeln

Niemand kennt die Erfahrung eines anderen Menschen. Daher müssen professionelle Pflegende ein ehrliches Interesse an dessen Geschichte bezeugen, so dass sie den Erzähler und die Geschichte besser verstehen können.  Besonders im Assessment reduziert sich die Neugier oft nur auf Symptome und Probleme. Ehrliche Neugier reflektiert ein Interesse an dem Menschen und seinen einzigartigen Erfahrungen. Die Pflegeperson zeigt Interesse an der Geschichte des Menschen, indem sie nach Klärung von einzelnen Punkten weiteren Beispielen und Einzelheiten fragt. Die Pflegenden müssen dem Menschen helfen, seine Geschichte in seinem eigenen Tempo zu entfalten.

Ein Geschenk deiner Zeit machen

Obwohl Zeit manchmal illusorisch ist, ist doch nichts wertvoller die betroffene Person. Häufig beschweren sich professionelle Helfer, dass sie nicht genug Zeit haben, um konstruktiv mit dem Menschen zu arbeiten. Hier ist neben der Organisation auch die einzelne Pflegeperson gefragt, was in der Tätigkeit priorisiert wird. Die Pflegeperson hilft dem Menschen die Wahrnehmung der mit ihm verbrachten Zeit  zu erhöhen, um seine spezifischen Bedürfnisse  auszudrücken und erkennen den Wert der Zeit an, die der betroffene Mensch zum Pflegeprozess  beiträgt.

Transparent sein

Sollen der hilfsbedürftige Mensch und der professionelle Helfer zu einem Team werden, muss jeder von ihnen einen Beitrag leisten. Professionelle Helfer befinden sich jedoch in einer privilegierten Position. Deshalb müssen sie beginnen Vertrauen vorzuleben, indem sie dem Menschen helfen genau zu verstehen, was getan wird und warum. Die Pflegeperson  überzeugt sich, dass der Mensch zu allen Zeiten den Zweck der  therapeutischen Maßnahmen und pflegerischen Prozesse kennt und achten darauf, dass der betroffene Mensch Kopien aller Assessment- und Pflegeplanungsdokumente zu seiner eigenen Verfügung erhält (vgl. Buchanan-Barker u. Barker, 2008, S. 16ff).

Conclusio

Die psychiatrische GuKP findet ihr Selbstverständis in der therapeutischen Beziehungsarbeit mit Menschen, die entweder bereits eine psychische Erkrankung haben oder die ihre psychosoziale Gesundheit verbessern wollen. Die Pflegenden können mit Stolz behaupten, damit einen großen Beitrag zum Gesundheitssystem und zur Gesundheit der Bevölkerung zu leisten. Die Voraussetzung dafür ist das Erkennen des Potentials durch den Gesetzgeber, die Rechtsträger von Gesundheitsorganisationen und die Sozialversicherungsträger. Sie sind aufgefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Pflegepersonen das umsetzten können, wofür sie ausgebildet wurden.

Autor:in

  • Gerhard Schoßmaier

    Gerhard Schoßmaier, MSc: 1996-1999 Diplom der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege, 2001 Weiterbildung Pflege und Betreuung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, 2005-2007 Universitätslehrgang für Lehrerinnen und Lehrer in der Gesundheits- und Krankenpflege, 2014 Trainerausbildung für gewaltfreie Kommunikation, 2017-2018 Weiterbildung f. basales und mittleres Pflegemanagement, derzeit Masterstudium Pflegepädagogik (Uni Graz, Abschluss Februar 2020), Berufserfahrung in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie und in verschiedenen anderen Pflegebereichen psychiatrischer Einrichtungen, Lehrtätigkeit in Schulen und FH für Pflegeberufe, Vortragstätigkeit auf nationalen und internationalen Kongressen mit psychiatrischen und ausbildungsbezogenen Inhalten, Fachbuchautor