Sprengfallen und Landminen erwarten die heimkehrende Bevölkerung in Rakka

2. Dezember 2017 | Gastkommentare | 0 Kommentare

Wien, am 1. 12. 2017. Sechs Wochen nach dem Ende der Kämpfe in und um Rakka kehren ehemalige Einwohner in ihre Heimat zurück. Ihre Häuser liegen in Trümmern; Straßen und Felder sind noch immer übersät mit explosiven Sprengfallen, Landminen, Munition und Raketen. Alleine vom 19. bis zum 29. November wurden 49 Menschen mit Explosionsverletzungen in das von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) im Osten von Rakka betriebene Krankenhaus eingeliefert. „Die Kämpfe mögen vorbei sein, doch die Menschen werden noch immer verletzt“, sagt Craig Kenzie, Leiter des Nothilfe-Teams von Ärzte ohne Grenzen in Rakka.

„Als wir das Viertel Al-Meschlab zum ersten Mal aufsuchten, war es dort ziemlich menschenleer. Bei unserem letzten Besuch stellten wir dann fest, dass die Menschen allmählich zurückkehren, um nach ihren Häusern zu sehen“, so Kenzie. „Einige fanden ihre Häuser in Trümmern vor; andere haben in ihren Häusern, Gärten und Straßen Leichen und Sprengkörper gefunden. Jeder befürchtet, beim Betreten von Gebäuden Sprengfallen auszulösen oder auf etwas zu treten, das explodieren könnte.“

Für Menschen mit schwerwiegenden Verletzungen ist eine angemessene medizinische Versorgung sehr problematisch. Viele Straßen sind beschädigt oder gesperrt, und so kann es ein bis zwei Stunden dauern, bis ein Patient im Krankenwagen das nächstgelegene Krankenhaus mit chirurgischen Kapazitäten erreicht. Entsprechend hoch ist das Risiko, dass der Patient auf dem Weg oder bereits zuvor verstirbt.

Seit dem Ende der Kämpfe in Rakka Mitte Oktober hat Ärzte ohne Grenzen im Krankenhaus Tal Abjad, das der Stadt Rakka am nächsten gelegene Krankenhaus mit chirurgischen Kapazitäten, mehr als 85 Patienten mit Verletzungen von Explosionen behandelt. Im gleichen Zeitraum behandelte Ärzte ohne Grenzen im nahegelegenen Krankenhaus in Kobane 23 Patienten mit Explosionsverletzungen.

„Menschen, denen wir in Al-Meschlab begegneten, berichteten uns, dass sie vor Monaten aus der Gegend geflohen waren, als die Luftangriffe zunahmen und die Kämpfe sich intensivierten“, so Kenzie. „Einige waren aus ihren Häusern vertrieben worden, weil diese als Kampfbasis genutzt wurden.“

„Vor zwei Tagen bin ich zurückgekehrt. Es stellte sich heraus, dass mein Haus schwer beschädigt wurde“, erzählte eine 45-jährige Frau. „Ich habe versucht, wenigstens den Schutt zu beseitigen, bevor ich den Rest meiner Familie nachhole. Wir müssen unser Haus zwar noch reparieren, aber im eigenen beschädigten Haus zu wohnen, ist immer noch besser, als in einem Zelt zu leben, selbst wenn die Temperatur unter null fällt und man kein Dach über dem Kopf hat.“

„Unser Haus wurde bei zwei Luftangriffen getroffen“, berichtete eine 28-jähriger Mann. „Wir werden Monate brauchen, um es wiederaufzubauen. Wir haben Babys in der Familie, die wir nicht unter solchen Bedingungen großziehen können.“

„An vielen der noch stehenden Häuser in Al-Meschlab sind auch Kriegsschäden zu sehen”, sagt Kenzie. „Sie haben Einschusslöcher, kaputte Fenster und Explosionslöcher. Die Straßen sind voller Müll und persönlicher Gegenstände. Viele Gebäude wurden geplündert und es gibt zahlreiche Straßen, die durch ausgebrannte Autos blockiert sind. Die Kämpfe hier müssen heftig gewesen sein. Zwischen den Trümmern sind viele verschiedene Sprengsätze zurückgeblieben. Die Kämpfe haben zwar aufgehört, aber es werden weiter Menschen verletzt. Es ist schlimm, dass Menschen, die schon so viel verloren haben, jetzt immer noch riskieren, verletzt oder getötet zu werden“ so Kenzie.

Jene, die wegen der Kämpfe ihr Zuhause verlassen mussten, wollen jetzt zurückkehren und ihr Leben fortsetzen. Dabei stehen sie vor einer schier unmöglichen Entscheidung: Entweder bleiben sie in vollen, provisorischen Lagern, oder sie kehren nach Hause zurück und leben dort mit all den Risiken und Herausforderungen. 

Trotz der Zerstörung versuchen zurückkehrende Bewohner alles, um Al-Meschlab wieder bewohnbar zu machen. Jeden Tag kehren neue Menschen zurück und beginnen mit dem Wiederaufbau.

Al-Meschlab ist nur eine von vielen Gegenden im Gouvernement Rakka, die wiederaufgebaut und sicherer gemacht werden müssen. Nur so können die Menschen zurückkehren, ohne ihr Leben zu riskieren. Die Kämpfe in der Region mögen vorüber sein, aber ihre Konsequenzen werden noch für Jahre zu spüren sein.

Verletzte oder Kranke rund um Rakka können mit Krankenwagen in die von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Krankenhäuser in Kobane und Tal Abjad gebracht werden. In Tal Abjad helfen die Teams bei der Behandlung von Patienten mit chirurgischem Bedarf. In der Provinz Rakka organisieren sie Impfungen. So auch im Vertriebenenlager Ain Issa, wo ein Zentrum für ambulante Patienten unterstützt wird sowie Ernährungshilfe für Kleinkinder, Physiotherapie und Gesundheitsaufklärung angeboten wird. Im Krankenhaus in Kobane unterstützen die Teams die Notaufnahme, Intensivstation, die Mutter-Kind-Station, die Chirurgie und ein Zentrum für psychosoziale Hilfe. Zudem unterstützt Ärzte ohne Grenzen weitere sechs Krankenhäuser im Bezirk und ist in Gesundheitseinrichtungen in Hazima, Tabqa und Al Meshlab aktiv.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)