Es sind Störungen, über die meist eher geschwiegen wird: sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen. Sie sind schambesetzt und stellen subjektiv die Integrität und Identität einer jeden Frau in Frage. Die Psychologin und Sexualtherapeutin Julia Velten rückt mit dem Buch „Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen“ quasi die Möbel gerade. Denn sie erklärt differenziert und kenntnisreich, worum es dabei geht: „Wenn diese sexuellen Probleme häufig und langanhaltend auftreten, zu persönlichem Leid führen und keine rein körperliche Ursachen für die Symptome vorliegen, kann eine sexuelle Funktionsstörung diagnostiziert werden“ (S. 3). Biologische und psychologische Faktoren könnten ebenso wie partnerschaftliche Einflüsse dafür sorgen, dass sexuelle Störungen entstehen bzw. einen chronischen Verlauf nähmen.
Es liest sich so, als sei Velten an bloßen Fakten interessiert und wolle diese Tatsachen all jenen vermitteln, die psychotherapeutisch in die Problematik einsteigen wollen. Doch lässt sich feststellen, dass sie ein großes Einfühlungsvermögen gegenüber den Geschlechtsgenossinnen zeigt. So legt sie beispielsweise Wert auf den Begriff des responsiven Verlangens im Verlaufe einer sexuellen Begegnung.
Velten zeigt mit der Hilfe epidemiologischer Daten, dass unterschiedliche sexuelle Funktionsstörungen unerwartet viele Frauen betreffen. So berichtet sie unter anderem, dass vermutlich ein Drittel der Frauen in Westeuropa ein geringeres sexuelles Verlangen hätten. Nahezu ein Viertel der sexuell aktiven Frauen hätten eine niedrige sexuelle Erregung. Die klinische Erfahrung zeige, „dass sexuelle Störungsbilder oft einen langwierigen Verlauf nehmen“ (S. 14). Eine solche Aussage gibt dem Phänomen der sexuellen Funktionsstörungen eine gewisse Alltäglichkeit. Dies macht sicher notwendig, dass medizinisch wie psychotherapeutisch dem Phänomen begegnet werden sollte.
Um zur effektiven Bewältigung sexueller Funktionsstörungen bei Frauen effektiv beizutragen, braucht es natürlich ein detailliertes Wissen über ätiologische Faktoren sowie Störungsmodelle. Gleichzeitig braucht es eine detaillierte Diagnostik. Zum Thema Motivation zur Behandlung sexueller Funktionsstörungen bemerkt Velten: „Die Frage danach, ob eine Behandlung … aus Selbst-oder Fremdmotivation aufgesucht wird, ist für die Planung der Therapie von Bedeutung“ (S. 44). Es müsse vor allem um die Klärung gehen, „was sich die Patientin von einer Linderung des sexuellen Problems bzw. einer Besserung der sexuellen Funktion erhofft“ (S. 44).
Einen breiten Raum nehmen die störungsübergreifenden Therapiemethoden ein. So bringt Velten bei den Sensualitätsübungen ein, dass es wohl einen Wandel beim Koitusverbot gegeben habe, das in der klassischen Sexualtherapie verordnet worden sei. Zu bedenken sei es, dass es je nach Störungsbild entlastend für die Patientin sei, auf Geschlechtsverkehr zu verzichten. Velten stellt in dem Buch ausführlich die „körperliche Selbsterfahrung“ dar. Viele Frauen mit sexuellen Störungen hätten ein negatives Körperbild oder nur wenige Erfahrungen mit sexuellen Körperempfindungen. Übungen zur Körperwahrnehmung böten die Gelegenheit „für positive, neue Erfahrungen und eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Körperempfindungen“ (S. 61).
Das Buch „Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen“ bietet ein festes Fundament, um sich Störungen, die in der Stille stattfinden, zu nähern und dabei fundiertes wissenschaftliches Werkzeug dabei zu haben.
Julia Velten: Sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen, Hogrefe-Verlag, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8017-2837-3, 96 Seiten, 19.95 Euro.