Selbstverletzendes Verhalten – Wie Sie Jugendliche unterstützen können

3. Januar 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Wer es in seinem Alltag erlebt, dass ein junger Mensch sich selbst verletzt, reagiert nachvollziehbar mit Verwunderung, Unverständnis und sicher auch einem Gefühl des Mitleidens. Ein erleichterndes Seufzen wird hörbar sein, wenn es in der indirekten sozialen Umwelt passiert. Ein Erschrecken wird einem durch die Glieder fahren, wenn man unmittelbar betroffen ist.

Mit dem Buch „Selbstverletzendes Verhalten – Wie Sie Jugendliche unterstützen können“ antworten nun die Pflegefachkräfte Susanne Schoppmann und Pamela Wersin mehr als überzeugend. Sie haben ein Buch geschrieben, das einfühlsam und kenntnisreich das Phänomen des selbstverletzenden Verhaltens beschreibt. Es spricht konkret An-und Zugehörige von betroffenen Menschen an, bietet auch für psychiatrisch und psychosozial Tätige Informationen an, bei denen niemand mehr sagen kann, dass er oder sie selbstverletzendes Verhalten nicht nachvollziehen kann.

Apropos An-und Zugehörige: Wersin und Schoppmann erläutern anschaulich, welches Gefühlschaos beispielsweise bei Eltern auslöst. Mit konkreten Familiensituationen erklären sie: „Andrea und der Vater von Sarah haben sich beide nicht vom Befremden ihres Umfeldes anstecken lassen, sondern die Autonomie ihrer Töchter weiterhin respektiert. Allerdings waren beide auch erschrocken, waren rat-und hilflos und hätten viel darum gegeben, zu verstehen, warum die eigene Tochter das tut. Und damit sind sie nicht allein“ (S. 14).

Schoppmann und Wersin zeigen auf, dass mit der Dramatisierung selbstverletzenden Verhaltens niemandem geholfen ist. Sie leisten mit dem Buch einen unverzichtbaren Beitrag zu einem sachlichen Umgang mit dem Phänomen des selbstverletzenden Verhaltens. Vor allem geben sie ausführliche Antworten auf entscheidende Fragen: Welche Ängste und Vorurteile gibt es gegenüber dem selbstverletzenden Verhalten? Was ist selbstverletzendes Verhalten eigentlich? Wer braucht welche Hilfe und wann? Welche Hilfsangebote gibt es?

So schreiben sie: „Wie Bezugspersonen auf Selbstverletzungen von Jugendlichen reagieren, hat einen großen Einfluss auf die Therapie und deren Erfolg. Der wichtigste Aspekt ist dabei ein gemeinsames Verständnis der Motive, die zum Selbstverletzenden Verhalten der Jugendlichen geführt haben“ (S. 70). Hilfreich ist für An-und Zugehörige, was Wersin und Schoppmann an anderer Stelle betonen. Betroffene Jugendliche bräuchten „eine ruhige und unaufgeregte Person, die für einen Moment die Verantwortung für die Situation übernimmt. Dazu gehört sowohl das Leisten Erster Hilfe bei tiefen Wunden oder Ähnlichem, aber auch das verständnisvolle Eingehen auf die Gefühle des oder der Jugendlichen“ (S. 74).

Junge Menschen fallen mit selbstverletzendem Verhalten auch in Schulen, an Ausbildungsstätten oder anderen Institutionen auf. Auch für diese Institutionen geben Schoppmann und Wersin hilfreiche Hinweise. Den Institutionen an sich, aber auch den Lehrkräften geben sie Tipps. Ganz realistisch ermutigen die Autorinnen, eine Balance zwischen der Tabuisierung und dem Zurschaustellen von Verletzungen zu finden.

Es ist zu wünschen, dass das Buch „Selbstverletzendes Verhalten – Wie Sie Jugendliche unterstützen können“ viele Leserinnen und Leser findet. Es wird einen unglaublichen Beitrag zur Entstigmatisierung leisten.

Pamela Wersin / Susanne Schoppmann: Selbstverletzendes Verhalten – Wie Sie Jugendliche unterstützen können, Balance-Verlag, Köln 2019, ISBN 978-3-86739-176-4, 128 Seiten, 15 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at