Das Rudolfinerhaus feiert 25 Jahre Pflegewissenschaft

25. September 2017 | Gastkommentare, Pflegende Angehörige | 0 Kommentare

Gestern drehte sich in der Rudolfinerhaus Privatklinik alles um das Thema Pflegewissenschaft. In feierlichem Rahmen gedachte man dem Jubiläum “25 Jahre Pflegewissenschaft am Rudolfinerhaus”. Das war nicht nur ein gesellschaftlicher Höhepunkt: zahlreiche Experten griffen unterschiedliche Aspekte der Pflegewissenschaft auf und spannten den Bogen von deren Entwicklung bis hin zu aktuellen und künftigen Herausforderungen.

Wien, 21. September 2017 – 1992, also vor 25 Jahren, wurde die Abteilung für Pflegeforschung des Instituts für Pflege- und Gesundheitssystemforschung der Johannes Kepler Universität Linz für sieben Jahre am Rudolfinerhaus in Wien etabliert. Diese Institution war ein Meilenstein der Pflegewissenschaft in Österreich und hat essenziell zur Entwicklung entsprechender Universitätsinstitute und Studienlehrgänge beigetragen. Dessen Leitung hatte Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Seidl, die damalige Schul- und Pflegedirektorin des Rudolfinerhauses, inne. Anlässlich dieses Jubiläums wurde das Thema Pflegewissenschaft am Rudolfinerhaus, wo seit je her Pionierarbeit in der Pflege geleistet wird, aufgegriffen und umfassend beleuchtet.

Bereits seit 1912 gibt es ein Übereinkommen zwischen dem Rudolfinerverein mit dem Österreichischen Roten Kreuz. “Damals wie heute ist der Zweck des Vereins, neben der Behandlung von Kranken sowie der Gesundheitsvorsorge und Altenpflege, die theoretische und praktische Aus- und Weiterbildung von Pflegepersonal”, so KommR Dr. Georg  Semler, Vorstandsvorsitzender des Rudolfiner-Verein – Rotes Kreuz, im Rahmen der Eröffnung. Im Rudolfinerhaus legt man besonderen Wert auf die Aus- und Weiterbildung von Pflegepersonen, womit man dieser Zweckmäßigkeit auf höchstem Niveau gerecht wird.

Neue Rolle in der Pflege

Demografische, epidemiologische und gesellschaftliche Veränderungen erfordern nicht nur einen quantitativen Zuwachs an Pflegeleistung, sondern auch eine neue Rolle in der Pflege selbst: “Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse müssen nicht nur eine wesentliche Grundlage im Entscheidungsprozess sein, sondern es müssen immer wieder neue Einsichten in das Leben der Betroffenen und deren Familien gewonnen sowie neue pflegerische Interventionen entwickelt und überprüft werden”, legte Univ.-Prof. Dr. Hanna  Mayer, Institutsleiterin am Institut für Pflegewissenschaft der Universität Wien, die ihre Diplompflegeausbildung am Rudolfinerhaus absolvierte, eingangs dar. „Im Moment scheitert vieles an derzeitigen Organisationsformen, doch diese können sich ja nicht alle Ewigkeiten halten. Wir brauchen Konzepte, die in der häuslichen Versorgung greifen: Beratungsstellen, Telefonhotlines mit Fachpersonal und anderes. Hierzu benötigen wir vertiefte Kompetenzen und Spezialgebiete in den Ausbildungen. Wir müssen uns darüber unterhalten, was Leute brauchen, um im Alltag zurecht zu kommen. Irgendwann werden sich dann Strukturen ändern und es erfolgt im System eine Verschiebung der Geldmittel.“

Dass die Pflegewissenschaft neben den gesellschaftlichen Veränderungen auch auf die Verteilungskämpfe innerhalb des Gesundheitswesens selbst reagieren müsse, unterstrich anschließend Univ.-Prof. Dr. Wilfried Schnepp, Lehrstuhl für familienorientierte und gemeindenahe Pflege an der Universität Witten/Herdecke, Deutschland: “Künftig wird sich die Pflegewissenschaft stärker mit der Übernahme von Aufgaben auseinandersetzen müssen, die bislang traditionell in den Bereich von Ärzten gehören. Insbesondere in der primären Gesundheitsversorgung werden Pflegeberufe künftig eine große Rolle spielen”, so der aus Deutschland angereiste Experte. „Leider haben wir in Deutschland eine Reform des Berufes, die nicht wirklich positiv ist. Das könnte zum Problem werden. Lobbyisten der Altenheime und die Ärzteschaft haben uns hier den Weg erschwert. Wir müssen die Versorgung unbedingt verbessern. Hierzu benötigen wir die Pflegewissenschaft.“

Hintergrundgespräch thematisierte Akademisierung und Professionalisierung

Bereits am Vormittag fand eine hochkarätig besetzte Expertenrunde, moderiert von Josef Kalina, zusammen. “Es ist der Beharrlichkeit einzelner Persönlichkeiten zu verdanken, dass wir heute in der Pflegewissenschaft klare Strukturen haben. Eine dieser Persönlichkeiten ist zweifelsfrei Univ.-Prof. Dr. Elisabeth  Seidl.”, so Dr. Barbara  Dätwyler Wehrli, Präsidentin i.R. des Berufsverbands der diplomierten Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner Sektion Bern, Schweiz.  Mit diesen einleitenden Worten begann Dr. Dätwyler Wehrli über die Entstehung und den Wandel der Pflege in der Schweiz zu sprechen. „Die Pflegenden selbst begannen das Arbeitsumfeld zu strukturieren. Sie systematisierten nach Funktionen und Rollen. Eine Oberschwester in den 40er Jahren berichtete, dass Sie mit Aufnahme ihrer Funktion begann, Tätigkeiten zu dokumentieren, um so eine Struktur im Arbeitsablauf zu haben. Dies stieß gerade in der Ärzteschaft nicht wirklich auf Freude.“ berichtete die Expertin von ihrer Dissertation.  

Die österreichische Pionierin Frau Univ.-Prof. Dr. Elisabeth  Seidl, auf dem Gebiet der Pflegewissenschaft, thematisierte deren Stellenwert innerhalb des Gesundheitssystems: “Die immer älter werdende Bevölkerung und die zunehmende Anzahl chronisch Kranker stellt die Pflege vor immer neue Herausforderungen. Eine sinnvolle Entwicklung sehe ich im Ausbau multiprofessioneller Beratungszentren, wodurch beispielsweise Spitalsambulanzen entlastet würden”, spielte die Doyenne der österreichischen Pflegewissenschaft auf die aktuelle Entwicklung von Primary Health Care (PHC) an. „Leute brauchen aber nicht nur eine stationäre Pflege. In Zeiten wie diesen, in denen die Belegszeit bei drei oder vier Tagen liegt, verlagert sich die Pflege immer mehr in den extramuralen Bereich. Pflege muss überall stattfinden, vor allem in den eigenen vier Wänden der Bevölkerung. Sie ist nicht nur auf das Krankenhaus beschränkt. Dies ist auch der Grund warum wir unbedingt die Implementierung der Family Health Nurse in Österreich benötigen. Die Krankheitsverläufe werden komplexer, damit brauchen pflegende Angehörige eine noch bessere Unterstützung. Darum ist es besonders wichtig, dass wir unsere Fachkräfte gut ausbilden. Die Pflege steht und fällt mit der Bildung die ihr angeboten wird.“, so die österreichische Vorreiterin der Pflegewissenschaft.“ Als wir die Pflegewissenschaft in Österreich implementieren wollten, gab es von der Universität Wien zu Beginn keine Unterstützung. Man war nicht bereit einen entsprechenden Studiengang zu implementieren. Doch wir haben nicht aufgegeben, bis man uns nicht mehr ignorieren konnte. Es gibt aber noch viel zu tun.“ 

Darauf, dass ein wesentlicher Teil der Pflegeleistung im ambulanten bzw. häuslichen Bereich stattfindet, verwies Mag. Dr. Martin  Nagl-Cupal: “Die Kooperation mit anderen Gesundheits- bzw. Sozialberufen gewinnt daher zunehmend an Bedeutung”, so der Experte. „Wir hatten mit unserer Studie „Young Carers“ eine große mediale Aufmerksamkeit. Kinder als Pflegende Angehörige, war und ist ein Thema das bewegt. Diese Causa ist aber noch lange nicht endgültig beforscht. Wir gehen diesen Weg weiter. Vor allem das Thema Kinder als pflegende Angehörige und chronische Erkrankungen müssen noch genauer in den Fokus rücken.“ 

Angesichts dieser Entwicklungen liegt die fortschreitende Professionalisierung und Akademisierung der Pflege auf der Hand. Am Institut für Pflegewissenschaft der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall in Tirol fokussiert das Studienangebot daher ganz bewusst auf hohe Praxisorientierung, pflegewissenschaftliche Studien sowie den Wissenstransfer und das Feedback mit den Studenten: “Wir sind laufend um die Weiterentwicklung der Studiencurricula auf handlungs- und systemorientierter Ebene bemüht. Die Anforderungen des Pflegealltags stehen dabei stets im Mittelpunkt unserer Arbeit”, so Univ.-Prof. Dr. Christa  Them, Leiterin des Departments für Pflegewissenschaft und Gerontologie, die durch ihre Diplompflegeausbildung ebenfalls mit dem Rudolfinerhaus verwurzelt ist. „Leider gibt es noch immer keine Stellen die für PflegeakademikerInnen entsprechend ausgeschrieben sind. Es gibt zwar vereinzelt Positionen, aber in einem angebrachten Rahmen sieht dies unser Gesundheitssystem nicht vor. Damit verzichtet es auf eine großartige Expertise. Gerade bei der Entstehung der PHCs wird in keinster Weise über Pflege gesprochen. Ich bin auch mit der neuen Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes nicht glücklich. Hier müssen Zukunftsoptionen und Anreize geschaffen werden.“ Auf die Frage, wie man der Politik klar macht, dass 24Stunden Betreuung nicht gleich Pflege ist, meint Univ.-Prof. Dr. Christa  Them:“ Dies ist ein schwieriges Unterfangen. Es scheitert hier schon an der Diktion. Wir brauchen hier auch ganz klar Qualitätskontrollen. Dies könnte zum Beispiel durch eine Pflegefachkraft stattfinden. Wichtig ist aber auch zu erkennen, dass wir diese Betreuung brauchen. Wir können darauf nicht verzichten. Dies ist auf jeden Fall eine Aufgabe für die Politik, hier einen entsprechenden Rahmen zu legen.“

Verleihung Elisabeth Seidl Preis

Der feierliche Rahmen wurde auch zur Verleihung des Elisabeth Seidl Preises genutzt, mit dem bereits zum 7. Mal herausragende wissenschaftliche Arbeiten aus der Pflege ausgezeichnet wurden. Melanie Mattes, BA, MSc und Maria Katherina Job, BSc hatten dabei allen Grund zur Freude: Mattes, Studentin an der Universität Wien und Mitarbeiterin des Rudolfinerhauses, erhielt die mit 1.000 Euro dotierte Auszeichnung in der Kategorie Masterarbeiten für ihre Studie „Komplexes Medikamentenregime bei chronisch Erkrankten und deren Angehörigen“. In der Kategorie Bachelorarbeiten überzeugte Job, die das Kombistudium der Pflegeakademie der Barmherzigen Brüder Wien mit der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall in Tirol absolvierte. Sie erhielt ein Preisgeld von 500 Euro für ihre Arbeit „A Family´s Nightmare – Parental experiences on end-of-life care and the influence of childhood cancer death on parents and siblings“.

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)