Es war auf einer forensisch-psychiatrischen Station. Die Stimmung war an einem Tiefpunkt. Oliver Schmitz suchte das Gespräch. Er klagte darüber, dass es in der therapeutischen Gemeinschaft nicht klappe. Es gebe kein Miteinander, jeder schaue nur nach sich. Während Oliver Schmitz mit mir spricht, schlendern wir gemeinsam über den Stationsflur. Nicht einen Bruchteil einer Sekunde schaut er mich an. Da entdecke ich, dass ich eine rote Nase in der Hosentasche habe. Spontan setze ich sie mir auf. Oliver Schmitz schimpft weiter vor sich hin. Als er zum Ende kommt, wagt er es doch, mir in die Augen zu blicken. Sein Lächeln verrät ihn, es scheint ihm zu gefallen. Und mir gegenüber meint er nur: „Sie haben aber auch nicht alle Tassen im Schrank.“
Sicher ist es so gewesen, dass er recht hatte. Entgegen allen Erwartungen und institutionellen Ernsthaftigkeiten hatte ich spontan die Gelegenheit genutzt, einen heiteren Punkt zu setzen. Mit der roten Nase hatte ich dem Klagen von Oliver Schmitz die Dramatik genommen. Für ihn löste sich der Unmut in einem lebhaften Lachen auf.
Die rote Nase steht sinnbildlich für den Clown. Der Clown sorgt nicht bloß für die Erheiterung der Menschen um ihn herum, wenn er in der Zirkusmanege oder beim Straßentheater seinen Klamauk macht. Der Clown steht dafür, dass jeder Mensch nach einem Stolpern unmittelbar wieder aufstehen kann. Er setzt dem Scheitern das Wieder-Aufstehen entgegen. In der Rolle des Narren nimmt er sich Freiheiten, die sich viele Menschen nicht gönnen.
Apropos Freiheiten: Der Kabarettist Eckhart von Hirschhausen empfiehlt Menschen, wenn sie in einem Stau oder vor einer roten Ampel stehen, einfach einmal eine rote Nase aufzusetzen und dabei gleichzeitig konsequent vor sich hin zu blicken. Aufmerksam sollen die Mutigen die Mitmenschen und ihre Reaktionen beobachten. „Sie werden Überraschungen erleben“, sagt Hirschhausen voraus.
Mit seinem farbigen Kostüm und übergroßen Schuhen, mit der Maske und eben mit der roten Nase zeigt der Clown, dass er oder sie sich nicht anpassen will. Clown zu sein hat etwas damit zu tun, nonkonformistisch sein zu wollen. Es ist wohl eine unbändige Kraft, die bei den Mutigen geweckt wird, die Clown sein wollen.
Clown-Figuren können nicht einfach gespielt werden. Gleichzeitig mit der persönlichen Entwicklung schärfen sich die Konturen einer Clown-Persönlichkeit. Clown ist man nicht, Clown wird man. Dies zeigt, dass das Aufsetzen der Nase nicht nur ein singuläres Ereignis sein kann. Es offenbart, dass das Aufsetzen der Nase ein Ausdruck einer heiteren Haltung sein kann, mit der man alten, kranken und leidenden Menschen begegnen kann.
Es gibt viele unspezifische Faktoren, die zur Genesung und Heilung von körperlichen und seelischen Erkrankungen beitragen. Der Humor und das Lachen gehören sicher auch dazu. Eindrücklich ist es, dass die rote Nase Beziehung stiftet und somit den gemeinsamen Weg durch den Alltag ebnet. Da ist es nicht von Bedeutung, in welchem Setting und Versorgungskontext jemand seine Arbeit macht. Es ist ein Zeichen der Mitmenschlichkeit.
Klein fängt man an. Und Übung macht den Meister. Deshalb kann ich Sie nur ermutigen, in den Karnevalsladen in ihrer Umgebung zu gehen und nach farbigen Nasen zu schauen. Die roten und gelben, die grünen und schwarzen, die blauen und pinken Schaumstoffnasen werden auch bei Ihnen Mut, Kreativität und Aktionsdrang wecken. Da bin ich mir sicher.
Das Buch, um das es geht
Christoph Müller (Hrsg.): HumorCare – Das Heiterkeitsbuch für Pflege-und Gesundheitsberufe, Hogrefe Verlag, Bern 2019, ISBN 978-3-456-85894-4, 272 Seiten, 34.95 Euro.