Wenn es um Gruppenarbeit mit psychisch erkrankten Menschen geht, dann erwarten die Praktikerinnen und Praktiker ein Manual, das Schritt für Schritt Orientierung gibt. Sebastian von Peter, Antje Wilfer und Andreas Gervink setzen mit dem Buch „Recoveryorientierte Gruppenarbeit für Menschen mit Psychoseerfahrungen“ einen Kontrapunkt. Sie bezeichnen es nicht nur als Non-Manual. Sie fordern die Nutzerinnen und Nutzer ihres Buchs eher auf, sich mit der eigenen Grundhaltung zu beschäftigen.
Von Peter, Wilfer und Gervink denken die Gruppenarbeit mit seelisch angeschlagenen Menschen gegen den Mainstream. Hinlänglich haben Gruppen einen psychoedukativen Auftrag. Die Praktikerinnen und Praktiker, die sich das Buch in die Hand nehmen, müssen sich der Tatsache, dass es von Peter, Wilfer und Gervink um den gemeinsamen Austausch gibt. Statt Psychoedukation setzen sie auf Selbsthilfe.
„Wenn Recovery »zu sich (selbst) kommen« bedeutet, ist es wichtig, die Betroffenen dabei zu unterstützen, sich als Mensch zu verstehen, sich aber auch als Teil dieser Welt, also als Mitmensch zu spüren. Voraussetzung dafür ist für mich, sich auch im Kontakt mit Betroffenen als Mitmensch zur Verfügung zu stellen“, schreibt die Genesungsbegleiterin Gwen Schulz in ihrem Geleitwort für das lebhafte und abwechslungsreiche Buch.
Der lebhafte Charakter des Buchs zeigt, dass Menschen, denen Recovery ermöglicht werden soll, Gestaltungsräume brauchen. Betroffene sollten zu nichts gedrängt werden, schreiben die Autorin und die Autoren. Menschen mit seelischen Krisenerfahrungen seien keine Opfer ihrer Umstände oder Symptome, „sondern selbstbestimmte, aktiv handelnde, in sich vielfältige und in großen Teilen sehr gesunde Personen, die auf die Welt und ihr Befinden einwirken können und wollen“ (S. 22).
Das Buch als Non-Manual zu bezeichnen zeigt, dass von Peter, Wilfer und Gervink auf Eigensinn setzen. Sie wissen es zu begründen: „Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Entwicklung oder das Gesundwerden von Menschen durch bestimmte Interventionen steuern oder lenken lässt. Es braucht eine bestimmte Umgebung und Atmosphäre, damit eine selbstreflexive Arbeit und ein hilfreicher Austausch untereinander möglich werden“ (S. 24).
Die Überzeugungskraft des Buchs liegt in der Offenheit, die sich für die seelischen Prozesse eines Menschen und die dynamischen Prozesse einer Gruppe zeigt. So schreiben sie über eine „wechselseitig, suchende Beziehung“ (S. 45), einen „lebendigen Erfahrungsaustausch“ (S. 44) sowie Verwundbarkeiten und Verletzlichkeiten. Sie machen sich Gedanken über das „Sich zurücknehmen“, „Sich verantwortlich fühlen“ und das „Hoffnung in sich tragen“.
Diese Terminologie spricht für eine gewisse Vorsicht. Formal zeigt sich die Vorsicht darin, dass recoveryorientierte Gruppenarbeit auf den Graben zwischen den professionell Helfenden auf der einen Seite und den Betroffenen auf der anderen Seite verzichtet. In der Moderation engagieren sich Betroffene wie psychiatrisch Tätige.
Das Buch „Recoveryorientierte Gruppenarbeit für Menschen mit Psychoseerfahrungen“ ist selbst ein Zeichen der Hoffnung auf einen Wandel des Menschenbildes in der psychiatrischen Versorgung.
Sebastian von Peter / Antje Wilfer / Andreas Gervink: Recoveryorientierte Gruppenarbeit für Menschen mit Psychoseerfahrungen – Ein Non-Manual, Psychiatrie-Verlag, Köln 2019, ISBN 978-3-88414-566-1, 126 Seiten, 20 Euro.