Ratgeber Depression

1. November 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Manchmal ist es schwer, zwischen einer vorübergehenden Traurigkeit und einer ernstzunehmenden Depression zu unterscheiden. Dabei ist es klar, dass eine Niedergeschlagenheit, welcher Art sie auch sein mag, die Betroffenen und ihr soziales Umfeld stark bewegen wird. Mit dem „Ratgeber Depression“ bringt der Psychotherapeut Martin Hautzinger Licht ins Dunkel. Im besten Sinne des Wortes. Hautzinger betont: „Schwermut, Melancholie oder moderner „Depressionen“ sind häufige Störungen und ernsthafte Erkrankungen, die den ganzen Menschen betreffen. Sowohl seelische als auch körperliche Funktionen sind davon betroffen“ (S. 8).

Genau weil dies so ist, gilt es Depressionen ernst zu nehmen. So betont auch Hautzinger, „dass Depressionen wiederkehrende Störungen sind“ (S. 16). Entgegen gegenwärtiger Tendenzen, schon eine kurzzeitige Trauer nach dem Tod eines nahestehenden Menschen zu pathologisieren, schreibt Hautzinger, dass eine Trauerreaktion erst über viele Monate hinweg unverändert anhalten müsse, um als Depression klassifiziert werden zu können.

Überhaupt zeichnet sich der „Ratgeber Depression“ durch Realismus aus. Suizidversuche nennt Hautzinger eine „ernste Gefahr“ (S. 20). Er bedauert, dass Suizidversuche und Suizidhandlungen weiterhin ein Tabuthema seien, auch in ärztlichen und psychotherapeutischen Begleitungen kaum Gesprächsthema seien. So erscheint es nachvollziehbar, dass Hautzinger auch Begriffe wie Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in den Diskurs einbringt, um die Auseinandersetzung mit einer depressiven Symptomatik voranzutreiben.

Konsequent erscheint es, wenn Hautzinger bei den „Risikofaktoren für Depression“ ganz ausführlich und inhaltlich verständlich den Betroffenen und Angehörigen vorstellt, was die eigene Vulnerabilität ausmachen könnte. Dabei liefert Hautzinger eine Definition des Begriffs Risikofaktoren, den man nicht häufig findet: „Mit Risikofaktoren sind Erfahrungen und Bedingungen gemeint, die Depressionen wahrscheinlicher machen“ (S. 22).

Gleichzeitig regt Hautzinger zum Nachdenken an, wenn er über negative und positive Erfahrungen im menschlichen Alltag schreibt. Depressionen hätten mit einem Mangel an positiven Erfahrungen zu tun. Ermutigung lässt er nicht vermissen. Die Menge an positiven und wertvollen Erfahrungen könne jeder Mensch selbst bestimmen und ausweiten. Je mehr verstärkende Aktivitäten gelebt würden, umso besser für das seelische Gleichgewicht. Dies hat natürlich präventiven Charakter, vermeidet aber medizinische und psychotherapeutische Aktivitäten. Hautzinger treibt die Idee der Selbsthilfe weiter an, wenn er zur Selbstbeobachtung aufruft.

Für Menschen im sozialen Umfeld eines depressiven Menschen stellt sich oft die Frage, was sie eigentlich leisten können, um den Betroffenen unterstützend zur Seite zu stehen. Seinem Sinn für den Alltagsbezug bleibt Hautzinger treu, wenn er dazu aufruft, auch in den schwersten Phasen einer Erkrankung weiterhin an der Seite zu stehen. Sicherheit und zugewandte Gelassenheit zu vermitteln, dies sei entscheidend.

Hautzinger gelingt es, im „Ratgeber Depression“ Licht in das Dunkel einer quälenden Erkrankung zu bringen. Noch mehr: Bei aller Antriebsarmut und vielen empfundenen grauen Wolken schafft es der Psychotherapeut, viele Wege aus der Melancholie zu weisen. Die Gelegenheit müssen Betroffene und Angehörige beim Schopfe packen.

 

Martin Hautzinger: Ratgeber Depression, Hogrefe-Verlag, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8017-2860-1, 76 Seiten, 8.95 Euro.

Autor

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at