Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, haben häufigen und dann meist einen relativ persönlichen Kontakt zu Menschen, die sich der LGBTIQ*Community angehörig fühlen. Denken wir an herkömmliche Besuche ärztlicher Praxen, an physiotherapeutische Maßnahmen sowie Kur-, Rehabilitations- oder Krankenhausaufenthalte. Auch in Bereichen wie z. B. der Begleitung und Betreuung von Menschen mit Behinderung oder in Einrichtungen der Altenhilfe gibt es Berührungspunkte mit queeren Menschen.
Vor dem Hintergrund dieser doch recht hohen Kontaktfrequenz und tiefen Verankerung in den jeweiligen Alltagen sollten wir eigentlich meinen, dass diese Begegnungen von Empathie, Verständnis und Akzeptanz geprägt sind. Leider ist dies oft nicht der Fall und es stellt sich die Herausforderung, einige Barrieren zu überwinden – von beiden Seiten: Hier das Gesundheitsfachpersonal inklusive System – und dort der lesbische, schwule, bisexuelle, transidente oder intergeschlechtliche, kurz: queere Mensch.
Kommt eine trans*idente Person in stationäre Behandlung….
…und erlebt:
- misgendern durch das Personal – also ansprechen mit dem falschen Namen und Geschlecht
- die Zuweisung auf die für sie falsche (Geschlechter)Station – nämlich gemäß dem Geschlechtseintrag, der (noch) in den Dokumenten vermerkt ist und nicht gemäß dem gelebten Geschlecht
- übergriffige und überflüssige Befragungen, die offensichtlich nur der Befriedigung der Neugierde dienen
Dies sind nur einige Beispiele aus Berichten betroffener Personen, um den oben erwähnten Barrieren hier einen Praxisbezug zu geben. Queere Menschen gehören zu den besonders verwundbaren Gruppen, wenn sie sich im Gesundheitssystem bewegen. In einem System nämlich, das weitgehend von einer ausgeprägten Heteronormativität und Geschlechterbinarität sowie klassischen Geschlechter-Rollen-Bildern ausgeht. Was genau bedeutet diese Sichtweise – abgesehen davon, dass sie nicht der Realität entspricht?
Sie bedeutet, dass grundsätzlich von einer Welt ausgegangen wird, in der es ausschließlich 2 Geschlechter – Frau und Mann – gibt (Geschlechterbinarität). Zudem wird erwartet, dass sich Frauen z. B. feminin kleiden und bewegen, emotional und einfühlsam sind und sich gut um die Familie inklusive Kinderbetreung kümmern; Männer wiederum sollten maskulin und stark sein, die Familie finanziell versorgen und auf jeden Fall rational sein (Geschlechter-Rollenbilder). Abschließend wird vorausgesetzt, dass sich diese beiden Geschlechter romantische und/oder sexuell aufeinander beziehen, womit es also ausschließlich heterosexuelle (Liebes)beziehungen gibt (Heteronormativität).
Diesen 3 Kriterien, die zusammengefasst eine heteronormative Weltsicht produzieren, entsprechen queere Menschen häufig kaum und sehr oft gar nicht – sie kommen in dieser Weltsicht also quasi nicht vor. Begeben sich nun Menschen in ein System, in dem sie nicht vorkommen und welches sie überhaupt nicht mitdenkt, ergeben sich zwangsläufig Erschwernisse, Unannehmlichkeiten und auch Gefahren für diese Menschen.
Risiken und Nebenwirkungen einer heteronormativen Sichtweise
Queere Menschen geraten oft in einen Erklärungszwang zu sehr persönlichen, intimen, vertraulichen Bereichen. Dies kommt einem immer wiederkehrenden Coming Out gleich – übrigens egal in welchem Alter. Wenn Sie dies jetzt lesen, überlegen Sie einmal, wann Sie zuletzt gefragt wurden, wie Ihre Familie darauf reagiert hat, dass Sie sich als heterosexuell geoutet haben (sofern Sie sich als heterosexuell bezeichnen natürlich). Die Vermutung, dass dies noch nie geschehen ist, drängt sich auf.
Neben der sexuellen Orientierung, die ja nicht sichtbar z. B. im Sinne eines Nasenpiercings ist, ergeben sich weitergehende Erschwernisse für queere Menschen, deren äußerliches Erscheinungsbild nicht in die gewohnt klassisch heteronormative Schulblade passt und somit eine Einordnung in eine Geschlechterkategorie nicht gelingen will. Explizit seien hier transidente, nicht binäre oder intergeschlechtliche Menschen [1] genannt, da diese stark von diesem an sie herangetragenen Konflikt betroffen sind. Diese Menschen sind zu den oben bereits ausgeführten Übergriffigkeiten zum Thema der sexuellen Orientierung auch noch einer zusätzlichen Diskriminierungsgefahr ausgesetzt – einfach aufgrund ihres Aussehens, ihrer Kleidung, ihres Habitus.
Dies alles spielt sich im Kontext des Gesundheitsbereiches ab. Das heißt, die queere Person begibt sich z. B. aufgrund einer gesundheitlichen Beschwerde in diesen Bereich mit der vordergründigen Erwartungshaltung, die Beschwerde mit Hilfe von Fachpersonen zu lindern. Vielleicht gibt es auch einen Leidensdruck aufgrund von Schmerzen oder Sorgen o. ä. Unter diesen Umständen besteht eine Abhängigkeit des_der Patient*in – und zwar von der Fachperson im Gesundheitsberuf. Überhaupt aber gerade in dieser Abhängigkeitslage Übergriffigkeiten, Diskriminierung, Mobbing oder gar Gewalt ausgesetzt zu sein, ist inakzeptabel.
Wie sind diese Erlebnisse, die für die betroffene Person eine extreme Belastung und Diskriminierung darstellen, also aus dem Blickwinkel der queeren Bildung einzuordnen?
Runter mit der heteronormativen Brille!
Wir wissen aus Studien und Befragungen von LGBTIQ*-Menschen, dass homo- oder transphob motivierte Diskriminierungen und Benachteiligungen bedauerlicherweise nach wie vor keine Seltenheit sind. Auch im Diversity-Management von Unternehmen sind die Dimensionen „Geschlechtsidentitäten“ und „Sexuelle Orientierung“ die am meisten tabuisierten. Dieses „Ausblenden“ der Thematik spiegelt sich dann natürlich auch im (Arbeits)Alltag wider.
Fehlendes oder nur halb vorhandenes Wissen zu lesbischen, bisexuellen, schwulen oder intergeschlechtlichen sowie trans* Themen macht Menschen im Umgang mit lesbischen, bisexuellen, schwulen, intergeschlechtlichen sowie trans* Personen unsicher und leisten Diskriminierungen und ja, oft ungewolltem, Fehlverhalten gegenüber diesen Menschen Vorschub. Fundiertes Wissen zu einer Thematik hingegen macht Menschen generell sicherer. Ein weiterer Effekt von Wissensaneignung ist ein gelassenerer und unvoreingenommenerer Umgang mit der Thematik und mit den davon betroffenen Menschen. Es ist wie in vielen anderen Bereichen unseres alltäglichen Lebens: Es ist einerseits Fachwissen, andererseits auch sehr viel Empathie gefragt. Und – Übung macht die_den Meister_in. An beidem kann und muss gearbeitet werden.
Queere Bildung für Alle!
Im Rahmen queerer Bildung wie sie z. B. die Homosexuelle Initiative – HOSI Salzburg [2] mit ihrem Bildungsprogramm Vielfalt im Beruf [3] anbietet, wird LGBTIQ*Grundwissen wie Begriffsdefinitionen und Abgrenzungen zwischen den einzelnen Begriffen vermittelt. Die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wird sprichwörtlich beim Namen genannt. Weiters wird die aktuelle Rechtslage für queere Menschen vermittelt und es werden Studien zur Situation queerer Menschen besprochen. Gleichzeitig werden gesellschaftspolitisch relevante Diskussionen aufgegriffen und reflektiert.
Einen großen Raum nehmen Übungen ein, die die Reflexion der ganz persönlichen und fachlichen Haltung zu LGBTIQ*Themen anregen sollen. Es werden Vorurteile, Rollenbilder und Klischees thematisiert und kritisch diskutiert. Die Erfahrung zeigt, dass Teilnehmende nach einer intensiveren Beschäftigung mit der Thematik ihr Bewusstsein für Diskriminierungs- oder Mobbingsituationen hinsichtlich Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung geschärft haben. Die Sensibilisierung zu queeren Themen hat zur Folge, dass dieser Blick in die tägliche Arbeit mit dem jeweiligen Klientel (Patient*innen, Bewohner*innen usw.) mitgenommen wird und die Fachperson somit ihren ganz eigenen Beitrag zu einer LGBTIQ*freundlichen Umgebung leisten kann.
Gleichzeitig kann eine Fortbildung zum Thema Sexuelle und Geschlechtliche Vielfalt der Auftakt sein, dass diese einen gewichtigeren Stellenwert im Diversity-Management im Unternehmen oder in der Organisation erlangt. Eine strukturelle Verankerung im Betrieb ist einerseits Voraussetzung für Nachhaltigkeit aber auch die Glaubwürdigkeit, wirklich etwas bewirken zu wollen. Andererseits braucht es eine strukturelle Verankerung von Themen auch in finanzieller und organisatorischer Hinsicht.
Ziel queerer Bildung ist es jedenfalls, auf allen Ebenen auf ein (Arbeits)Umfeld hinzuarbeiten, das von Empathiefähigkeit und einem Miteinander, in dem sexuelle und geschlechtliche Vielfalt positiv bewertet wird, geprägt ist. Ein Umfeld also, das für alle sicher und inklusiv ist.
[1] Nichtbinär – Queer Lexikon (queer-lexikon.net)