Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung

12. Mai 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Der Corona-Lockdown hat die Menschen vor die eine oder andere Herausforderung gestellt. Eine dieser ungewöhnlichen Aufgaben ist die Alltäglichkeit der selbstgewählten oder auferlegten Quarantäne gewesen. Als soziale Wesen sind wir es in der Gegenwart nicht gewohnt, auf uns und unser engstes soziales Umfeld zurückgeworfen zu sein. Wer damit schon mehr Erfahrungen hat, sind Menschen, die in Klöstern leben. Sie leben zwar in der geschwisterlichen Gemeinschaft mit Mitschwestern und Mitbrüdern, doch gibt es im Ordensleben immer auch zeitliche Strecken, die Alleinsein bedeuten.

Da wundert es nicht, dass der Benediktinermönch Anselm Grün mit einer Gebrauchsanweisung für die Quarantäne aufwarten konnte. Grün ist ein geübter Schreiber. Grün ist vor allem ein Kenner der jahrhundertealten Ordensregel des heiligen Benedikt. So bricht er die sehr weise und an vielen Stellen nachdenklich stimmende Ordensregel auf den Alltag der zeitgenössischen Menschen herunter. Und Grün ist dieses Vorhaben gelungen.

Grün betont, dass in Krisenzeiten die existentiellen Momente und Bedürfnisse der Menschen nicht missachtet werden dürften. Der Mensch lebe nicht vom Brot allein. Die Fastenzeit sei eine Zeit des Verzichts und eine Übungszeit, „die den Menschen auf die Probe stellt“ (S. 11). Mit einer Zeit der Quarantäne sei dies genauso. Grün verweist den zeitgenössischen Menschen auf Rituale, die im klösterlichen Leben bekanntlich eine tiefe Verankerung haben. Rituale seien mehr als Routine, unterstreicht Grün. Sie könnten eine innerliche Weite geben, „weil wir uns auf etwas anderes ausrichten“ (S. 30). Zugleich seien sie Erde, „also sehr konkret und alltagstauglich“ (S. 30).

Grün beschäftigt sich in dem Buch sehr alltagsnah nicht nur mit den Rhythmen des Alltags und den Ritualen. Er thematisiert alte und neue Ziele, die sich Menschen aus der Quarantäne heraus definieren. Er denkt über Nischen und Freiräume im Alltag nach und sinniert über das Verhältnis von Nähe und Distanz. Und er rät den Menschen, keine Angst vor Emotionen zu haben.

In der Stille seien die Menschen auf sich geworfen. Dies könne eine beglückende, überraschende und auch schmerzhafte Erfahrung sein. Emotionen zuzulassen bedeute, das Risiko einzugehen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die Krise könne lehren, authentischer und achtsamer zu leben, so Grün.

Grün gibt mit dem Buch wichtige Anregungen für die Auseinandersetzung mit sich, mit dem sozialen Umfeld und der Gesellschaft an sich. Er kommt nicht daher wie ein besserwissender Lehrmeister. Vielmehr will er die zeitgenössischen Menschen auf den mal mehr, mal weniger steinigen Wegen durch die Quarantäne und durch die Krise zu begleiten. Mehr als 50 Jahre lebt Grün in der klösterlichen Gemeinschaft der Benediktiner. So zeigen seine Texte eine Tiefe und eine große Kraft, die auf einer Nachdenklichkeit und Reflexion beruhen.

So spricht er zum Ende des Buchs die stabilitas loci an, die zum benediktinischen Leben gehört. Sie drückt aus, dass Mönche ihr Leben lang an dem klösterlichen Ort leben werden, wo sie in die Gemeinschaft eingetreten sind. Dies zeigt jedoch nicht nur eine äußere Verbundenheit und Kontinuität mit dem Ort. Für Grün geht es auch um die Möglichkeit des Einzelnen, sich bei sich selbst daheim zu fühlen. In diesem Sinne ist das Buch „Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung“ als Aufruf zu verstehen, aus der Krise der Corona-Pandemie das Daheim-Sein mit und bei sich zu suchen. Nutzen Sie ruhig die Gelegenheit.

Anselm Grün: Quarantäne! Eine Gebrauchsanweisung, Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau 2020, ISBN 978-3-451-38869-9, 96 Seiten, 14 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at