Psychopharmakotherapie und Empowerment

28. Mai 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Es scheint mehr als überfällig, dass sich ein Pflege-Fachbuch mit der Psychopharmakotherapie beschäftigt. Viel Zeit und Energie müssen Pflegende in ihrem beruflichen Alltag in den Umgang mit Psychopharmaka investieren. Dabei gibt es wenig inhaltliche Anregungen, das pflegerische Handling zu gestalten. Uwe Bernd Schirmer, selbst Krankenpfleger und Pflegepädagoge, macht mit dem Buch „Psychopharmakotherapie und Empowerment“ erste Schritte in diese Richtung.

Dabei legt Schirmer den Schwerpunkt auf die Förderung eines selbständigen Medikamentenmanagements sowie Begriffe wie Therapietreue, Psychoedukation und Autonomie. Dabei muss sich in der konkreten Arbeit erst einmal durchsetzen, was Schirmer schon früh konstatiert: „In diesem Buch soll nicht der medikamentösen Behandlung der Vorzug gegeben werden, sondern der Entscheidungsfreiheit der Patientinnen und Patienten“ (S. 10).

Mit Christiane Vogel und Klaus Gauger kommen Betroffene ausführlich zu Worte. Sie zeichnen ein ambivalentes Bild von den Erfahrungen mit Psychopharmaka im Alltag. Die subjektive Lebensqualität wird angesprochen, Vogel wünscht sich gar eine klare Parteinahme und Unterstützung bei Absetzversuchen. Für viele Pflegende wird es an diesem Punkt schwierig, schließlich gehört zur fürsorglichen Arbeit des Einzelnen, die Betroffenen von der Einnahme psychopharmakologischer Medikation zu überzeugen.

Aus Sicht Schirmers ist Therapietreue „nicht nur eine Frage des Willens des Patienten“ (S. 51), sie sei immer auch Resultat guter Information und einer vertrauensvollen Beziehung. Deutlich wird in diesem Zusammenhang, wie entscheidend die Haltung der Pflegenden mit dem Blick auf die Psychopharmakotherapie ist. Schirmer bleibt zurückhaltend, von den Pflegenden eine Eindeutigkeit einzufordern. Stattdessen schaut er auf die Betroffenen und unzählige Gründe, weshalb sie beispielsweise auf die Einnahme verordneter Medikamente verzichten.

Eine Frage, die sich bei der ethischen Abwägung des Für und Wider zur Psychopharmakotherapie stellt, ist diejenige nach möglichen Alternativen. Schirmer sieht es nicht nur als unverzichtbar an, dass für eine medikamentenfreie Begleitung seelisch erkrankter Menschen ein Behandlungskonzept vorliegen muss. Nachvollziehbar braucht es auch ein entsprechendes Behandlungsangebot. Ein realistischer und oft auch trauriger Blick in die Gegenwart.

Wenn es um die Beziehung zu den Betroffenen geht, müssen natürlich die Behandlungsvereinbarungen und Krisenpässe thematisiert werden. Schirmer sieht sie als konsensorientierte Instrumente, die den Willen der Betroffenen dokumentierten. Während viele Themen des Buchs offen gestaltet sind und eine persönliche Auseinandersetzung herausfordern, so gibt das Medikamententraining, das Schirmer vorstellt, eine klare Richtung vor. Die Struktur soll zu einer Kontinuität der Medikamenteneinnahme führen.

Wer sich mit Schirmers Buch auf den Weg zu einem ernsthafteren Umgang mit der Psychopharmakotherapie und den Betroffenen macht, der ist aufgerufen, sich ein eigenes Profil zu erarbeiten. Es reicht nicht mehr, die Medikamente als Momente der Fürsorge für die Betroffenen zu verstehen. Das Buch ist eine erste Gelegenheit, das Miteinander mit den Betroffenen zu verändern – hin zu mehr Respekt.

Uwe Bernd Schirmer: Psychopharmakotherapie und Empowerment – Ein Trainingsprogramm zum selbständigen Medikamentenmanagement, Psychiatrie-Verlag, Köln 2020, ISBN 978-3-88414-937-9, 133 Seiten, 25 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at