Während die wissenschaftliche Suche nach den Wurzeln der modernen Krankenpflege zumeist mit der Professionalisierung der Krankenpflege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anfängt und die Zeit unmittelbar davor in manchen pflegegeschichtlichen Werken sogar als „die dunkle Zeit der Krankenpflege “ (1) stigmatisiert wird, bleibt die Rolle der Hospitalorden in den vorwiegend katholischen Ländern in der Zeit vor Florence Nightingale (1820-1910) meist nur marginal erwähnt. Dieser Artikel soll ein neues wissenschaftliches Projekt vorstellen, das sich mit der Aufarbeitung der Geschichte des Hospitalordens des Hl. Johannes von Gott (im deutschsprachigen Raum auch Barmherzige Brüder genannt) in deren erster Provinz nördlich der Alpen, Provincia Germania (Germanische Provinz) beschäftigt.
Die für das Mittelalter so charakteristische christliche Barmherzigkeit, die durch ihre Uneigennützigkeit ein Garant für ein besseres Leben im Jenseits sein sollte, bekam in der frühen Neuzeit eine völlig neue Dimension. Die massiven religiös-politischen Veränderungen in Mitteleuropa, die in der Katastrophe des 30-jährigen Krieges (1618-1648) gipfelten, bedeuteten eine komplette Zerrüttung der Ideale der christlichen Nächstenliebe, insbesondere gegenüber den anders konfessionellen Glaubensanhängern. In das raue Klima der hasserfüllten Intoleranz, der immensen religiösen Verfolgung aller Gesellschaftsschichten und scheinbar nie enden wollenden Kriegen kam am Anfang des 17. Jahrhunderts aus Italien ein katholischer Orden, der eine qualitativ hochwertige Krankenversorgung der Bevölkerung ohne Berücksichtigung des gesellschaftlichen Standes, deren Herkunft oder deren Konfession durchführte – und zwar kostenlos.
Diese anfangs geistliche Vereinigung (erst im Jahre 1586 durch den Papst Sixtus V. zum Orden erhoben) wurde im Jahre 1540 im südspanischen Granada von Juan Ciudad (1495-1550), genannt Johannes von Gott (spanisch Juan de Dios), gegründet und entwickelte damals ein revolutionäres Konzept mit Spezialisierung auf die Betreuung und Therapie von Akutkranken. Der Orden der Barmherzigen Brüder verband die traditionelle christlich- katholische Vorstellung der Krankenpflege mit den neuesten medizinischen Erkenntnissen aus dem damals weit fortgeschrittenen südwesteuropäischen Raum. Eine effiziente Organisationsstruktur und unbestreitbare therapeutische Erfolge spiegelten sich in der Gründung von mehr als 280 Krankenhäusern bis 1750 in fast allen katholisch dominierten Regionen Europas, sowie in vielen (vor allem spanischen) Überseedominien. Gerade die Internationalität des Ordens garantierte den aktuellen Stand des medizinisch/pflegerischen Wissens im Netz der Ordensspitäler, die wegen ihrem praktisch orientierten Schwerpunkt auf die Chirurgie (damals nur eine handwerkliche Tätigkeit ohne universitäre Bildung) schnell zum Prestigeobjekt der mächtigen katholischen Kirche avancierten. Gerade aufgrund der praktizierenden Chirurgie bildeten die Ordensangehörigen regelmäßig Sanitäreinheiten in den habsburgischen Heeren der damaligen Großmächte Spanien und Österreich, nahmen in dieser Funktion an zahlreichen Schlachten teil, unteranderen beteiligten sie sich mit einem Lazarettschiff an der berühmten Seeschlacht bei Lepanto (1571). Dazu kamen wichtige Erneuerungen wie die Neuordnung der Krankenhäuser, die ausschlaggebend für die Organisation der Krankenversorgung bis heute blieben. Die Separierung der Kranken und die Entstehung von ersten Krankenabteilungen, die Abkehr von den mehrfachbelegten Betten und die Einführung der damals revolutionären Norm: ein Kranker – ein Bett. Weiter führte der Orden die (bis dato für Mitteleuropa völlig unbekannten) strikten hygienischen Maßnahmen, die penible Evidenz aller aufgenommenen Kranken und die konsequente medizinische und pflegerische Schulung des Krankenpersonals ein. Damit bleiben die Ordenskrankenhäuser in Mitteleuropa für beinahe 200 Jahre das absolute Maß aller Dinge. Das im Jahre 1784 eröffnete zivile Allgemeine Krankenhauses in Wien (und später auch in anderen Großstädten der Monarchie) kopierte buchstäblich die erfolgreiche Struktur und das System der Ordensspitäler – nur mit dem Unterschied, dass die Pflegekräfte bezahlt wurden. Die Säkularisation von beinahe allen diesen Einrichtungen seit der Französischen Revolution bis zum Jahr 1870 führte zur völligen Unterdrückung des öffentlichen und auch wissenschaftlichen Bewusstseins für den Beitrag des Ordens der Barmherzigen Brüder zur Entstehung eines modernen Krankenhaussystems.
Projekt:
Das Ziel dieses Projektes ist die Schaffung einer breiten Plattform für Forscher, die sich mit der Analyse der Entstehung und Ausbreitung des Ordens im Mitteleuropa, mit der wirtschaftlichen Absicherung des Betriebes von den Klosterkrankenhäusern, mit dem kultur-historischen Beitrag und mit der Position des Ordens im sozialen Netz der neuzeitlichen Gesellschaft beschäftigen. Darüberhinaus sollen kirchen-rechtliche Aspekte, die Korrelation der Generalkurie in Rom zur Provinzleitung, die innere Entwicklung der Provinz, die Umstellungen im Aufbau der Provinz in Folge der Reformen von Maria Theresia und Josef II. untersucht werden. Es sollen die umfangreichen Krankenevidenzbücher (Krankenprotokolle) analysiert und ausgewertet werden, die einen objektiven und erschöpfenden Beweis für die Organisation der neuzeitlichen Krankenhäusern und das Niveau der gesundheitlichen Versorgung in dieser Epoche liefern. Eine besondere Aufmerksamkeit soll auf die verpflichtende Musiktätigkeit der Ordensmitglieder, Spitalsapotheken und die Klostereigenen Kräutergarten gerichtet werden. Da am 22. Juli 1781 auf die kaiserliche Anordnung die ursprüngliche Provincia Germania in Prag zweigeteilt wurde (die Konvente in den habsburgischen Ländern verblieben in der Provinz des Hl. Erzengel Michael, die aber in die „Österreichisch-ungarische Provinz“ umbenannt wurde; sonstige sechs Klöster außerhalb der habsburgischen Ländern bildeten eine neue Provinz des Hl. Karls Borromäus), wurde das Jahr 1780 als Zäsur dieses Projekts gewählt.
Konkret sollen folgende, auch aufgelassene Niederlassungen untersucht werden:
Im Rahmen dieses Projektes haben sich insgesamt 16 Wissenschaftler aus sieben Ländern (Österreich, Deutschland, Tschechien, Polen, Slowakei, Ungarn und Italien) zusammengeschlossen, wobei jeder der Teilnehmer ein Experte auf einem des oben angeführten Forschungsfeldes ist. Als Ausgang ist eine dreibändige Publikationsreihe in der deutschen Sprache geplant.
Zum Thema (die Germanische Provinz des Hospitalordens des Hl. Johannes von Gott bis 1780) werden in regelmäßigen Abständen einmal im Jahr, jeweils zweitägige Konferenzen veranstaltet, wobei als Veranstaltungsort jeweils eine andere Wirkstätte des Ordens (Preßburg, Linz, Feldsberg, Teschen) dienen wird. Die erste Konferenz fand schon zwischen dem 27. und 28. März 2015 in Brünn statt, die nächste Session ist in Preßburg am 10. und 11. September 2016 und in Linz im September 2017 geplant.
Weiterführende Literatur
Bettina Blessing, Katholische Krankenpflege im Spannungsfeld religiöser und säkularer Tendenzen. Die Barmherzigen Brüder und die Elisabethinerinnen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bayern und im Fürstbistum Speyer, Habilitationsarbeit HU Berlin (in Begutachtung).
Michaela Freemanová, Collectio Fratrum Misericordiae Kukussiensis (Catalogus artis musicae in Bohemia et Moravia cultae), Praha 1998.
Petr Jelínek, Der Konvent der Barmherzigen Brüder in Feldsberg und seine Krankenprotokolle (1684-1711) In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 115. Band, Heft 3-4, Themenschwerpunkt Europäische Spitäler. Wien München 2007, S.369-393.
Petr Jelínek, Klášterní nemocnice řádu Milosrdných bratří ve Valticích a její knihy nemocných (1661-1780), In: Časopis Matice Moravské, č. 1, Brno 2009, S.47-80.
Carlos Watzka, Petr Jelínek, Krankenhäuser in Mitteleuropa vor der Aufklärung: Das Beispiel des Ordenshospitals der Barmherzigen Brüder in Feldsberg / Valtice und seiner Patienten 1630-1660, In: Medizin Historisches Journal, Heft 3+4, Stuttgart 2009, S.235-274.
Petr Jelínek, Der Konvent der Barmherzigen Brüder in Feldsberg und seine Krankenprotokolle (1661-1780), In: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich, Jahrgang 81, Heft 2, St. Pölten 2010, S.87-108.
Petr Jelínek, Klášterní nemocnice řádu Milosrdných bratří v Brně a její knihy nemocných (1748-1780), In: Časopis Matice Moravské, č. 1, Brno 2011, S.41-75.
Petr Jelínek, Milosrdní bratři v Prostějově a jejich klientela (1740-1780) v tisku In: Časopis Matice Moravské, č. 1, Brno 2012.
Přemyslav Krejčiřík, Ondřej Zatloukal, Die Kulturlandschaft Lednice-Valtice, Valtice 2012.
Maksymilian Kuśka, Józef Marecki, Repertorium konwentu bonifratrów w Cieszynie z 1724 roku, Cieszyn 2010.
Maksymilian Kuśka, Józef Marecki, Księga kasowa konwentu bonifratrów w Cieszynie z lat 1833-1844, Cieszyn 2012.
Ingrid Kušniráková, Bratislavský konvent milosrdných bratov v 17. – 18. storočí. In: Zborník Mestského múzea, Bratislava 2003, S. 83-93.
Štefan Lenčiš, Milosrdní bratia v Spišskom Podhradí, Prešov 1999.- Mónika Lipp, Adalékok az egri irgalmasrendi templom és kolostor egykori
berendezésének történetéhez. Agria ‒ Az egri Dobó István Vármúzeum évkönyve XLV. Eger 2009, 353‒361.
Mónika Lipp, The Convent, Hospital and Church of the Brothers Hospitallers in Eger in the 18th century. In: Gunda Barth-Scalmani ‒ Joachim Bürgschwentner ‒ Matthias König ‒ Christian Steppan Hrsg.: Forschungswerkstatt: Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert / Research Workshop: The Habsburg Monarchy in the 18th Century. Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich Band 26. Verlag Dr. Dieter Winkler. Bochum 2012,103‒115.
Carlos Watzka, Vom Hospital zum Krankenhaus. Zum Umgang mit psychisch und somatisch Kranken im frühneuzeitlichen Europa (Menschen und Kulturen 1, Köln–Weimar–Wien 2005).
Fußnoten
(1) Nutting M. Adelaide, Dock Lavinia L., A History of Nursing. The Evolution of Nursing Systems from the Earliest Times to the Foundation of the First English and American Schools of Nurses, New York – London 1907, S.499.
(2) Die Österreichische Monarchie stellte im diesen Fall eine Ausnahme dar.
(3) Mag. Petr Arijčuk (Josefov, CZ), Dr. Bettina Blessing (Regensburg, DEU), Mag. Beate Dandler (Schärding, AUT), Dr. Chiara Donati (Rom, ITA), Dr. Michaela Freemanová (Prag, CZ), Mag.Dr. Petr Jelínek (Wien, AUT), Dr. Grzegorz Joachimiak (Breslau, POL), Dr.Ing. Přemysl Krejčiřík (Brünn, CZ), Dr. Ingrid Kušniraková (Pressburg, SVK), Dr. Maksymilián Kuśka (Teschen, POL), Doz. DDr. Štefan Lenčiš (Kaschau, SVK), MMag.Dr. Mónika Lipp (Eger, UNG), Engelbert Raab, OH (Linz, AUT), Dr. Mirosława Sobczyńska, Mag. Ladislav Svatoš (Kukus, CZ), Doz. Dr. Marek Vařeka (Brünn, CZ).
Autor: Dr. Mag. Petr Jelinek
Titel: Projekt: Der Hospitalorden des Hl. Johannes von Gott in der Germanischen Provinz bis 1780
Ausgabe: Pflege Professionell 02/2015
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