Pflege neu denken – Ein Fazit

6. März 2023 | Bildung

Die Pflege hat seit vielen Jahrzehnten ein Personalmengenproblem, welches unterschiedlichste Personen und Unternehmen mit diversen Lösungsantritten zu meistern versucht haben. Externe Agenturen wurden beauftragt, eine Lösung zu finden und Imagekampagnen, die insgesamt viele Millionen gekostet haben. Unzählige Workshops brachten nicht das Ergebnis, welches man sich erwünscht hätte.

Auch unser Team versuchte 2019 gemeinsam mit der Gewerkschaft und dem Berufsverband, eine eigene Veranstaltungsreihe zu starten, um mit den Kolleg:innen in den unterschiedlichsten Bundesländern Lösungen zu erarbeiten. Damals waren alle Veranstaltungsräumlichkeiten voll, doch als Phase 2 der Umsetzung startete, wollten nur vier von hunderten Personen Zeit investieren. 2022 startete der österreichische Business Circle auf einer Veranstaltung mit über 300 Führungskräften die „Pflegeutopie“-Kampagne. Auch hier konnte man das selbe Phänomen erkennen, dass alle Personen während des Events begeistert waren, die Umsetzungsrunden, aber gerade mal fünf Personen zu Workshops motivierten. Was ist es, dass Pflegepersonen so schnell aufflammen lässt und letztendlich dann die Motivation verebbt, bevor es überhaupt begonnen hat? Ist es die Machtlosigkeit, die sich bereits in unseren eigenen Reihen breitgetreten hat oder interessiert es einfach nicht?

Pflege neu denken – Der Beginn

Dies war für Pflege Professionell und dem Business Circle aber kein Grund zur Aufgabe. Mit der neuen Reihe „Pflege neu denken“ begann im Herbst 2022 ein Workshopversuch, mit Fachkräften aus den unterschiedlichsten Settings eine Visualisierung der Probleme, Bedürfnisse und ToDos zu erarbeiten. Alle 3 Teile „Pflege neu denken – Akutbereich“, „Pflege neu denken – Langzeitpflege“ und „Pflege neu denken – Hauskrankenpflege“ waren gut besucht und die Stimmung entspannt und voller Energie. Die IMC Fachhochschule Krems stellte hierzu die Räumlichkeiten zur Verfügung, mit einem kleinen Catering wurde kulinarisch für Entspannung gesorgt. Alle Weichen standen in Richtung „Gehen wir es an“. Der Workshop diente zur Erarbeitung, aber auch zur Vernetzung aktiver Akteur:innen.

Nach entsprechendem Input zur IST-Situation, versuchten die Teilnehmer:innen ihre Altlast, Missionen und Visionen gemeinsam zu diskutieren und sie auf einer Pinwand in Worte zu fassen. Schnell fand man einen gemeinsamen Nenner bei den Problemen und Bedürfnissen.

Pflege neu denken – Das Fazit der Visualisierung

Das spannende an den Auswertungen der drei Bereiche war, dass die Tafeln von den Inhalten her nahezu ident waren. Obwohl keiner der Bereiche (Akutpflege, Langzeitpflege, Hauskrankenpflege) von den Ausarbeitungen der anderen wusste, gab es einheitliche Gedankengänge und Themen, auf die man keine oder besonders Lust hatte.

Altlast: In allen Bereichen deklarierte die Teilnehmer:innen ganz klar, dass Themen wie Hierarchien, Jammerei, der ewige Hickhack in der eigenen Berufsgruppe, das ewige Kompensieren des fehlenden Personals, die Rahmenbedingungen, aber auch die geringe Wertschätzung, ausgehend aus der eigenen und anderen Berufsgruppen, Punkte sind, über die man sich nicht mehr unterhalten möchte. Vor allem die engstirnigen Traditionen, die in vielen Fällen nicht mehr zeitgemäß sind oder sogar von der Wissenschaft als „kontraproduktiv“ bezeichnet wurden, wolle man endlich vom Tisch haben. „Wir haben das hier immer schon so gemacht.“ ist ein Satz, den wirklich keiner mehr hören kann (und dies seit Jahrzehnten) und in Wirklichkeit nur Ausdruck von zukunftsresistenten Kolleg:innen ist.

Mission: Unter dieser Kategorie erarbeiteten die Teilnehmer:innen die Punkte, die man im JETZT ändern kann. Auch hier gab es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen den drei Berufskategorien. „Der Blick nach vorne“, der auf der einen Seite positiv sein soll, auf der anderen Seite aber auch realistisch die Fakten (Ressourcenmangel, etc.) beleuchtet. Man will Sachen klar und sachlich aussprechen können. Berufshaltung und gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, um den Beruf so darzustellen, wie er wirklich ist, standen auf den Tafeln als oberstes Gebot. Professionell, evidenzbasiert, empathisch, drei Punkte die einander ergänzen und nicht gegenseitig ausschließen. Dies ist vor allem in den medialen Diskussionen immer ein KO-Kriterium. Viele präsentieren sich so, als ob Empathie das Wichtigste ist und man auf den Rest verzichten kann. Die „Gegenfraktion“ hingegen versucht alles rein wissenschaftlich zu erklären und lässt allzu oft die notwendige Herzlichkeit außer Acht. In der Mitte steht die Professionalität, die aus beiden Ecken ihre Essenz zieht. Genau diese Professionalität wäre die perfekte Berufshaltung, die auch gegenüber Politik und Gesellschaft eine entsprechende Stärke aufzeigt, die es gemeinsam zu präsentieren gilt.

Vision: Natürlich gab es auch ein „Wünsch dir was“ auszudiskutieren. Themen waren hierbei Fachkarrieren, Erweiterungen der Kernkompetenzen, eine bessere Vernetzung in der eigenen Berufsgruppe, eine Berufskammer und eine Berufsolidarität in allen Bereichen. „Pflege soll über Pflege entscheiden“

Natürlich wollte Pflege Professionell nicht andauernd auf den alten Fakten und Themen herum kauen. Die demographische Entwicklung, der Personalnotstand, aber auch der internationale Vergleich ist längst kein neues Thema mehr und eigentlich kann man die Daten auch nicht mehr hören. Auf den meisten Symposien werden diese Zahlen weiterhin präsentiert als ob dies neue Erkenntnisse oder der heilige Gral sind. Darum gab es im Vorfeld zum Thema Langzeitpflege, Hauskrankenpflege und Ausbildung entsprechende Umfragen.

In einer ersten Umfrage wurde in Österreich die Frage an frische Absolvent:innen des Studiums „Gesundheits- und Krankenpflege“ geschickt, ob sie nun in die Akutpflege, Langzeitpflege oder Hauskrankenpflege gegangen sind. Sollte die Langzeitpflege oder die Hauskrankenpflege im Moment nicht in Frage kommen, würde die Begründung interessieren. Rund 600 Studierende meldeten bei dieser Umfrage zurück.

Pflege Professionell – Langzeitpflege

Von den ca. 600 Studierenden gaben 13% an in die Langzeitpflege zu gehen, 18% konnten sich ein Jobwechsel in die Langzeitpflege zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen und 69% der Befragten fanden diesen Bereich auch für die Zukunft absolut uninteressant.

Hauptsächliche Gründe waren die Kategorie „Eintönigkeit“ (meist mit dem Zusatz „Man ist zu wenig mit dem/der Patient:in beschäftigt und zu viel mit Dokumentation), „Medizinische Kompetenzen die verloren gehen“, „Alleinige Verantwortung im Nachtdienst“ und der „Ressourcenmangel“ (Nicht im Bezug auf Personal!). „Schlechte Bezahlung“ und „Fehlendes Personal“ waren erst an den hinteren Stellen der Befragung.

In Österreich hat man im Studium ein bis zwei Praktika in der Langzeitpflege. Hier wird sich, wie bei allen anderen Praktika, ein Urteil über die Arbeit in diesem Bereich gebildet. Hat man in dieser Zeit schlechte Erfahrungen mit Kolleg:innen oder der Arbeit selbst gemacht, wird im Kopf ein generelles „In die Langzeitpflege gehe ich sicher nicht“ gespeichert, obwohl es woanders vielleicht besser sein könnte. Um hier ein wenig nach zu evaluieren, befragten wir die Personen erneut, wie denn das Praktikum in der Langzeitpflege generell war. Auf einer Skala von 5 (am besten) und 1 (sehr schlecht) bewerteten die Studierenden die Praktika. Überraschenderweise waren die Noten für diese Zeit primär auf einer Skalenniveauhöhe von 3-5. Viele Praktikumsstellen erreichten eine vier. Auf die Frage, wie oft die Auszubildenden Feedback zu ihrer Arbeit erhalten haben, gab es unterschiedliche Angaben. Feedback zählt zu den wichtigsten Lernschleifen, die man nicht nur als Auszubildender benötigt, sondern auch als fertige Pflegekraft, aber auch als Führungskraft, als Basis für eine Weiterentwicklung notwendig hat. 2% der Studierenden erhielt in den 4 Wochen überhaupt keine Rückmeldung, 14% gerade mal alle 2 Wochen, 31% nur beim Zwischengespräch und beim Endgespräch, 18% einmal in der Woche und 35% bekamen mehrmals wöchentlich eine Rückmeldung. Im Großen und Ganzen kann man hierzu sagen, dass ungefähr die Hälfte aller Ausbildungseinrichtungen im Langzeitpflegebereich eine gute Feedbackkultur haben (unter Berücksichtigung des Personalmangels).

Es liegt also primär an den Bürotätigkeiten und den Nachtdiensten die alleine zu absolvieren sind. Des Weiteren ist die Frage offen, ob es wirklich an den fehlenden medizinischen Inhalten liegt oder ob man hier nicht erweitert mit guten Pflegekonzepten arbeiten könnte, um auch für die fertig ausgebildete Pflegekraft einen entsprechenden kognitiven Anspruch zu gewährleisten. Patient:innen rein auf „warm, satt und sauber“ zu pflegen, stellt für absolut niemanden eine Herausforderung dar. Dabei gäbe es national und international so einzigartige Ideen, wie Bewohner:innen und Pflegepersonen ihre gemeinsame Zeit top bereichern könnten. Dies ist mit Sicherheit ein weiterer Grund, warum es die meisten Absolvent:innen eher in die Akutpflege treibt.

Pflege Professionell – Hauskrankenpflege

Vergleicht man dies mit den Befragungsangaben im Bereich Hauskrankenpflege, kommt man auf ein ähnliches Ergebnis.

Von den ca. 600 Studierenden gaben 14% an, in die Hauskrankenpflege zu gehen, 27% konnten sich ein Jobwechsel in die Langzeitpflege zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen und 59% der Befragten fanden diesen Bereich auch für die Zukunft absolut uninteressant.

Gründe warum man nicht in die Hauskrankenpflege möchte: „Verpflichtende Teildienste“, „Man ist alleine unterwegs und die direkte Teamarbeit fehlt“ und die „Dienstzeit ist unattraktiv“  waren die meist genannten Punkte, warum dieser Bereich für neue Pflegefachkräfte uninteressant ist. „Zeitdruck beim Klienten“ und „Zu viel Zeit im Auto“ waren ebenso häufig genannte Punkte. Das Gehalt spielte wieder nur auf den hinteren Reihen eine Rolle. Es sind also wieder die Rahmenbedingungen, die diesen Bereich so uninteressant machen. Den Punkt „Direkte Teamarbeit fehlt“ kann man bei neuen Pflegenden auch so interpretieren, dass ein Sicherheitsnetz, welches zum Beispiel im Krankenhaus vorhanden ist, hier für die Personen fehlt und man sich fachlich noch unsicher ist.

Auch in diesem Bereich gibt es (mindestens) ein verpflichtendes Praktikum für die Studierenden. Die Bewertungen der Praktikumsqualität war in vielen Regionen auf einer Bewertung von 4 oder 5. Die Personen sind also nicht vom Bereich aus fachlicher Sicht abgeschreckt, sondern haben Respekt vor diesem Bereich bzw. sehen die Arbeitsbedingungen als uninteressant an. Es haben zwar schon viele Unternehmen an diesen Teildiensten gearbeitet, dies ist aber immer noch nicht die Norm, sondern eher regionale Einzelfälle. Auch hier haben nur 2% der Befragten angegeben, dass sie keinerlei Feedback erhalten haben, 16% erhielten nur sporadisch ein Feedback, 28% nur beim Zwischen- und Endgespräch, 11% einmal in der Woche und 43% mehrmals wöchentlich. Die Feedbackkultur ist in der Hauskrankenpflege also noch besser als in anderen Bereichen. Abschließend kann man sagen, dass hier von den Rückmeldungen auch die meiste Wertschätzung gegenüber Auszubildenden entgegengebracht wurde.

Die andere Seite der Medaille

Liest man in der Gegenüberstellung aber alle Praktikumsberichte gesamt, lernt man auch die Schattenseite der Ausbildung näher kennen. Gerade Studierende erleben seit einiger Zeit ein erhöhtes aggressives Vorgehen einzelner Pflegepersonen gegenüber dem Nachwuchs. Man wird jeden Ausbildungstag mit Sätzen wie „Du willst doch nicht pflegen, tu nicht so als ob es dich interessiert.“, „Menschen die Studieren wollen nicht mit Menschen arbeiten.“ oder mit „Wir wollen dich hier nicht.“ konfrontiert. Dies geht sogar soweit, dass rund 25% Studierende einer niederösterreichischen Fachhochschule angaben, im Jahr 2022 in der Spüle ihre Pause machen mussten, weil der Gemeinschaftsraum (Sozialraum) nur für „Altdiplomierte“ ist und man seinen Platz kennen muss. Da kann die restliche Station noch so bemüht sein, sich mit dem neuen Nachwuchs zu beschäftigen, zerstört mitunter eine einzige Person diese Bemühungen und eventuell sogar den Ruf des Arbeitsbereiches. Dies trifft natürlich nicht nur die Studierenden, auch Pflegefachassistenzschüler:innen berichten von solchen Erlebnissen. Der Ton in der Pflege wird rauher (als er schon früher war). Um diesen Artikelbereich mit einem Bericht abzuschließen: „In meinem ersten Praktikum erlebte ich das Sterben von sieben Menschen. Ich musste als erste Handlung die Toten waschen. Als ich fragte, ob ich mit jemanden über das Thema reden kann oder ob es eine Supervision gibt, bekam ich als Antwort: „Wenn du das nicht aushältst, dann hast du hier und in der Pflege nichts zu suchen.““ Was macht das mit einer Pflegekraft, wenn man so verhärtete unempathische Menschen erlebt und vor allem, was macht es dann mit einem Auszubildenden? Burnoutgefährdet durch traumatische Erlebnisse, noch bevor man die Ausbildung verlässt, nicht anhand einer Situation, sondern durch eine Pflegekraft, die in Wirklichkeit absolut keine Empathie zeigt. Leider mittlerweile kein Einzelfall.

Das Fazit

Was nehmen wir also alle aus diesen Tagen und Berichten mit? Es gibt viel Potenzial in allen Bereichen, viel Energie die es zu kanalisieren gilt. Wir wissen als Berufsgruppe was wir wollen und was nicht, können dies auch problemlos zum Ausdruck bringen, wenn man uns lässt. Dies zeichnet gerade eine absolut professionelle und empathische Berufsgruppe aus und diejenigen, die nicht diesen Weg gehen, sollten den Beruf umgehend verlassen, da sie sich selbst und ihrer Umgebung nichts Gutes tun.

Wir freuen uns als Veranstalter über die nachfolgenden Workshops und haben schon bei den ersten drei tolle Pflegefachpersonen kennengelernt, die auf jeden Fall eines bewiesen haben: Pflege ist professionell, empathisch, evidenzbasiert und ROCKT! #imcnurse #pflegerockt #pprofessionell

 

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)