Plötzlich bin ich alt – und trotzdem Hoffnung

13. März 2017 | Altern, Erleben | 0 Kommentare

Altwerden ist ein Lebensgesetz und steht im Spannungsfeld von Werden und Vergehen. Es trifft jeden Menschen der länger als 60 Jahre lebt. Es ist dies eine Erfahrung, die Ordensschwestern meist später machen als Frauen generell.  Dafür gibt es zwei ganz einfache Gründe.

Zum ersten werden die Schwestern oftmals nicht mit der Realität der Pensionierung konfrontiert oder dann höchstens als Übergang in eine neue Tätigkeit, die häufig noch ebenso fordernd ist wie die Aufgabe davor. Zum zweiten haben die jetzt über 70-Jährigen eine Noviziatsschulung erlebt in denen Sätze galten wie: „im Kloster gibt es kein Kanapee“ oder „für eine Schwester gibt es keine Ferien“. Es sind dies Aussagen, die zwar längst überholt sind, die aber unbewusst in den Schwestern dieser Generation weiterwirken und die ihnen das Loslassen schwermachen.

Vor einigen Tagen bin ich mit einem kurzen Traumbild erwacht: «Aus einem Nebenraum höre ich eine Schwester eindringlich beten, Gott möge ihr doch mehr Ruhezeiten geben, sie sei jetzt über 70 und brauche dies so sehr.  Da denke ich laut vor mich hin: das wird Gott dir nicht geben, dafür musst du schon selber sorgen».  Wenn ich über diesen Traum nachdenke, wird mir sehr bewusst, dass ich in der Stimme aus dem anderen Raum auch mich selber beten höre.

So gehöre ich nun selbst zu dieser grossen Schar der Ordensschwestern, die «plötzlich alt geworden sind». Die Auseinandersetzung damit wurde auch für mich unausweichlich. Zuerst einmal wie es sich gehört, «im Dienst an den Anderen», zunehmend aber auch als Erkennende, denn die Kräfte lassen nach und das Loslassen auch von geliebten Tätigkeiten wird zwingend.

In der neueren Gerontologie-Literatur habe ich in der Suche nach dem Thema Hoffnung eine sehr realistische Aussage* gefunden. Hoffnung wird dort beschrieben als «Hoffnung mit Trauerflor». Ich meine, es ist dies eine Hoffnung, die gerade im Verlust und im bewussten Einverstandensein weiss, dass durch die Trauer hindurch etwas Neues werden will, eine Lebensmöglichkeit die den Hoffenden vom Nichthoffenden trennt. Hoffnung als tragende Kraft und Aufgehobensein in dieser Kraft braucht Zeiten der Stille, damit die Bilanz des Bestehenden und das Ja zum Werdenden zugelassen werden können. Darin wächst die Erfahrung, dass in der sich anmeldenden Vergänglichkeit kein Widerspruch zur Hoffnung, liegt als vielmehr die Chance einer neuen Lebenswirklichkeit. Der alternde Mensch weiss: die Zeit ist nicht mehr unermesslich; der Hoffende aber erfährt gerade darin die Kostbarkeit der Tage die noch kommen mögen – ein Lebenszeitraum der auch im Orden der bewussten Gestaltung bedarf.

Hier wird die Hoffnung zur aktiven Zukunftsgestaltung, zu einem Ja in dem nicht nur die Versöhnung, sondern auch eine tiefere Gottesbeziehung einen neuen Stellenwert bekommen. Beide gehören zur geistlichen Lebensaufgabe des Menschen und zur Erfüllung eines gelingenden Lebens, Sie sind zwar nicht ans Älterwerden gebunden, aber das Älterwerden macht sie möglicher. Und notwendiger. So wächst in der bewussteren Hinwendung zur persönlichen Berufung eine neue Ausdrücklichkeit die nicht vom Menschen, sondern von Gott her gesetzt wird. So kann auch der beschwerlicher gewordene Alltag zu einem Hoffnungszeichen werden, dem zwar der Trauerflor des „Nicht-mehr“ anhaftet, das aber gerade darin zu einem neuen Aufbruch mahnt in dem das Sein und Dürfen mehr Raum bekommen.

So wird die Hoffnung zu einem Beweg-Grund im Leben des älterwerdenden und altgewordenen Menschen, denn wer hofft entwickelt einen neuen Blick für das Leben, das sich end-lich erfüllen will.

Diese Gedanken zum Altwerden und Alt sein   habe ich vor 10 Jahren aufgeschrieben, unterdessen (man kann es ja nachlesen) stehe ich im 84. Lebensjahr, aber es bleibt die Erfahrung und der Auftrag, das Leben immer wieder neu zu lernen. Hatte ich vor 10 Jahren den alten Kalenderspruch «Altwerden ist eine Kunst» noch leichthin vertreten, erfahre ich es heute eher so: Altwerden ist keine Kunst, es kommt von selber. Aber das Umgehen damit, jeden Tag und dies mit stets neuen Überraschungen, die man auch Beschwerden nennen könnte, das ist nicht nur eine Kunst, sondern hohe Schule der kleinen, geduldigen, oft auch schmerzhaften Schritte.

Trotzdem gefällt mir das Wort von Bruder Agostino del Pietro zur Persönlichkeit unseres Ordensgründers Theodosios Florentini immer noch: «Leidenschaftlich in der Gegenwart leben und die Zukunft voller Hoffnung umarmen»

*Paul Balte, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

Autor:in

  • Liliane Juchli

    Schwester Liliane Juchli ist eine der grossen Pflege-Pionierinnen im deutschsprachigen Raum. Sie hat zusammen mit vielen anderen Pflegekräften die Basis für die Professionalisierung der Pflege gelegt. Bekannt wurde der Name Juchli durch das erste umfassende Fachbuch des Pflegeberufes im deutschsprachigen Raum, welches vom Thieme Verlag im Jahr 1971 das erste Mal herausgegeben wurde. Das Fachbuch wurde in acht Auflagen durch Sr. Liliane Juchli ständig weiterentwickelt und ist bis ins Jahr 1998 unter dem Namen «Juchli» erschienen. Heute trägt es den Namen «Thiemes Pflege». Die Leistung von Sr. Liliane Juchli kann aber nicht nur auf das Krankenpflegebuch reduziert werden. Sr. Liliane Juchli hat viele andere Bibliografien veröffentlicht, ist seit mehr als 40 Jahren eine Vortragsreisende und Dozentin und nimmt auch heute noch Stellung zu gesellschaftlichen und berufspolitischen Fragen. Durch ihren unermüdlichen Einsatz für die Würde des Menschen und für eine ganzheitliche Sicht der Pflege ist sie zu einem Vorbild für Generationen von Pflegenden geworden.