Ist es möglich, sich dem Phänomen des Orgasmus philosophisch zu nähern? Oder ist es der Versuch eines einfallsreichen Geisteswissenschaftlers, diese existentielle Erfahrung des Lebens humorvoll und augenzwinkernd zu „verhöhnen“? Ein Augenreiben ist die mindeste Regung gewesen, die bei der Lektüre der „Philosophie des Orgasmus“ zu zeigen ist. Es ist ein aufschlussreiches Buch, das eine lebendige Erfahrung eines menschlichen Lebens kulturwissenschaftlich und auch anders in den Blick nimmt. Während beim Buchhändler noch das Staunen im Vordergrund steht, so steht nach mehr als 200 Seiten das Staunen über die eine oder andere Erkenntnis im Vordergrund.
Mahnkopf sucht nach den Verortungen des Orgasmus im Alltag. So spürt er die Verortung im Leben, in der Kunst und natürlich in der Philosophie auf. In einem philosophischen Kauderwelsch verliert sich Mahnkopf nicht. Er bemüht sich um eine Systematik, wie er es selbst schreibt. Es sei kein Traktat und keine wissenschaftliche Abhandlung, vielmehr nähere er sich einem der schönsten Augenblicke des Alltags phänomenologisch. Der sexuelle Höhepunkt biete auf vielen Gebieten reichlich Stoff zum Nachdenken.
Und Mahnkopf konkretisiert, wie bodenständig die Erfahrung des Orgasmus für den einzelnen Menschen ist: „Aber selbst wenn wir einmal alles über den Orgasmus wissen sollten, uns die Rationalität (und so auch die Banalität) der evolutionären Vorgeschichte bewusst gemacht … haben sollten, wird unser Erleben, das Staunen, die Wirkung davon noch in keiner Weise berührt sein. Der Zauber wird bleiben. Das Staunen wird bleiben.“
Es kommen immer wieder Gedanken, mit denen sich diese Grundlegung verdeutlichen lässt. So ist Mahnkopf überzeugt, dass die sinnlichen Seiten – Motorik, Physiologie, der Tanz der Hormone, Gehirnaktivitäten, Anatomie – sich wissenschaftlich erforschen ließen. Etwas anderes sei es jedoch, „wie der Orgasmus erlebt und welche Bedeutung ihm zugesprochen wird“.
So taucht der Leser, die Leserin von Seite zu Seite geistig in den Orgasmus ein. Was thematisch eigentlich zu einem alltäglichen Voyeurismus einlädt, dies wird filigran bedacht. So lässt es den Leser, die Leserin nicht schütteln, als Mahnkopf die Masturbation „eine Form kreatürlicher Kreativität“ beschreibt. Masturbation sei „ein kleines Kunstwerk am eigenen Selbst“. Mahnkopf zeigt auf, dass Musik und Sexualität viel gemeinsam haben. Musik sei ausgesprochen sinnlich und werde ähnlich erotisch und verführerisch empfunden.
Damit die Leserin, der Leser die „Philosophie des Orgasmus“ nicht im Sinne eines Monologs liest, thematisiert Mahnkopf auch die Interaktion und die Kommunikation. Mahnkopf bezeichnet das sexuelle Beisammensein als Kommunikation. Onanie sei Kommunikation „mit sich als dem anderen seiner und ihrer selbst“. Das sexuelle Zusammensein sei Erkenntnis, Kennen, Kennenlernen, Erkundung, Entdeckung, Enthüllung, Entblößung, Nacktmachen im doppelten Sinne“.
Das Sympathische an der „Philosophie des Orgasmus“ ist, dass Philosophie verstehbar dargestellt wird und sich vor allem am Leben der Menschen entlangarbeitet. Das Bemühen, andere alltägliche Phänomene auf vergleichbare Weise anzuarbeiten, sollte unbedingt gezeigt werden.
Claus-Steffen Mahnkopf: Philosophie des Orgasmus, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-518-46934-7, 246 Seiten, 12 Euro.