Pflegende Angehörige sind die größte Gruppe derjenigen, die sich um pflegebedürftige, behinderte und gebrechliche Menschen sorgen. Ihre Arbeit und deren Präsens (vor allem im häuslichen Umfeld) wird ständig beschworen. Dabei gibt es nur begrenzt gesicherte Daten über diese Gruppe. Gabriele Wilz und Klaus Pfeiffer haben es mit einer gut strukturierten und überzeugenden Übersichtsarbeit geschafft, Fakten über pflegende Angehörige zusammenzutragen. Vor allem ist es Wilz und Pfeiffer gelungen, die alltäglichen Herausforderungen für pflegende Angehörige auf den Punkt zu bringen. So haben Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Möglichkeit, geordneter und zielgerichteter Menschen zu begleiten, die pflegende Angehörige sind.
Pflegende Angehörige und Psychotherapie – dies zusammen zu denken, fällt schwer. Denn in einer Zeit maximaler Belastungen holen sich die wenigsten therapeutische Begleitung an die Seite. Dabei sind es beispielsweise die belastenden Emotionen, mit denen pflegende Angehörige konfrontiert sind. Nicht intendierte Impulse und Emotionen wie Wut, Frustration und aggressive Handlungen tauchten auf. Dies führt aus Sicht der Wissenschaftler Wilz und Pfeiffer zu einem problematischen Teufelskreis aus Selbstvorwürfen, verstärktem Belastungserleben, Erschöpfung sowie Depressivität und Ängsten.
Sachlich konstatieren Wilz und Pfeiffer, dass pflegende Angehörige im Vergleich zu Nicht-Pflegenden „stärkere stressbedingte und depressive Symptome, eine niedrigere Selbstwirksamkeitserwartung, ein geringeres Wohlbefinden sowie eine schlechtere Immunfunktion aufwiesen. So sei das Risiko für pflegende Angehörige größer, seelisch zu erkranken. Viele werden denken, dass dies nicht verwundert. Die erarbeiteten Fakten und Daten von Wilz und Pfeiffer werden psychotherapeutisch Tätigen eine hilfreiche Unterstützung sein, dies zu objektivieren, was pflegende Angehörige in einer Begleitungssituation subjektiv formulieren.
Überzeugend wirkt, dass Wilz und Pfeiffer beispielweise auch die Rollenneudefinition bei Ehepartnern unter die Lupe nehmen. Sie geben zu bedenken: „Je stärker das neue Rollenverhalten als diskrepant zum Selbstbild und der Identität als Beziehungspartner wahrgenommen wird, umso ausgeprägter sind das Belastungserleben und die Versuche, diese Ambivalenz zu mindern“ (S. 17).
Mit dem Buch von Wilz und Pfeiffer haben Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einen unterstützenden roten Faden, um pflegende Angehörige helfen zu können. Sie bekommen Orientierung zur therapeutischen Grundhaltung sowie zu der einen oder anderen spezifischen Intervention. Wilz und Pfeiffer legen Wert auf den Umgang mit belastenden Emotionen. Dass Wilz und Pfeiffer von Normalisieren und Entkatastrophisieren schreiben, dies ist sicher als ein Qualitätsmerkmal der wissenschaftlichen Abhandlungen zu sehen. Einen vergleichbaren Eindruck erweckt das Buch, als aggressive Handlungen in Pflegesituationen zur Sprache kommen.
Mit häufigen Alterssyndromen thematisieren Wilz und Pfeiffer den Pflege-und Betreuungsalltag. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, stellen unter anderem fest, dass Sexualität von pflegebedürftigen Angehörigen mit pflegebedürftigen Partnern bislang kaum untersucht ist. Sie fassen zusammen: „Für manche Paare stellt die Sexualität … eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten dar, miteinander in befriedigender Weise in Verbindung zu bleiben“ (S. 86).
Wilz und Pfeiffer haben mit dem Buch eines geleistet. Wo Ausweglosigkeit im Vordergrund zu stehen scheint, dort eröffnen sie trotz allem viele Perspektiven.
Gabriele Wilz / Klaus Pfeiffer: Pflegende Angehörige, Hogrefe Verlag, Göttingen 2019, ISBN 978-3-8017-2735-2, 107 Seiten, 19.95 Euro.