„Neue Reformen und Personalschlüssel für die Pflege“ – Interview mit Norbert Hofer & Dagmar Belakowitsch (FPÖ)

13. September 2017 | Demenz, Pflegende Angehörige, Politik | 0 Kommentare

Wenn man eine Interviewzusage mit einem hochrangigen Politiker hat, erhält man als Redaktion meist nur eine halbe Stunde Zeit und das übliche Ambiente eines beruflichen Umfeldes. Bei unserem ersten Interview war alles anders. Ein Samstag Nachmittagausflug nach Pinkafeld…

Pflege Professionell: Die Bevölkerung wächst und wird immer älter. Parallel dazu wächst aber das Gesundheitssystem nicht mit – im Gegenteil, es werden eher Kapazitäten abgebaut oder nicht nachbesetzt. Wie möchte man diesem Auseinanderdriften entgegnen?

Dagmar Belakowitsch: Es muss eine bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung geben, -darauf sind alle organisatorischen, personellen und finanziellen Mittel in einer nachhaltigen Gesundheitspolitik zu konzentrieren. Das bedeutet nicht Abbau, sondern Ausbau, wo es notwendig ist. Gleichzeitig müssen aber Doppelgleisigkeiten im Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem in den Verwaltungsstrukturen abgebaut werden, um so Mittel für die Patientenversorgung vor Ort freizumachen!

Pflege Professionell: Viele Ärztinnen und Ärzte der Babyboomer- Generation werden in den kommenden Jahren in Pension gehen, es gibt aber immer weniger Jungärzte die nachrücken. Wie will man hier gegensteuern?

Dagmar Belakowitsch: Es muss ein neues, leistungsgerechtes Abgeltungssystem für die Ärzte durch die Sozialversicherung geben. Gleichzeitig muss man durch die Förderung der Ausbildung von Allgemeinmedizinern und Fachärzten und durch eine Förderung der Übernahme von Landarztpraxen dafür sorgen, dass das Hausarztsystem weiter erhalten bleibt und wo es notwendig ist ausgebaut wird. Dazu ist es auch notwendig, dass man das System „Ärzte sollen Ärzte anstellen dürfen“, endlich umsetzt !

Pflege Professionell: Ein wesentlicher Indikator für die Qualität von medizinischen Leistungen ist das Erreichen von Mindestmengen. Nach wie vor gehört Österreich zu jenen Ländern, in denen ausgewählte medizinische Leistungen nicht auf bestimmte Standorte konzentriert werden. Welche Pläne stehen diesbezüglich auf ihrer Agenda?

Dagmar Belakowitsch: An der obersten Stelle steht die Patientenversorgung mit medizinischen Leistungen nach dem letzten Stand der medizinischen Forschung. Dem hat sich eine Organisationsstruktur im Aufbau und im Ablauf anzupassen, – um den Patienten jene Gesundheitsversorgung zu bieten, die sie in ihrem individuellen Fall brauchen!

Pflege Professionell: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die geplanten Primärversorgungszentren gut mit dem Pflege- und Betreuungssystem zusammenarbeiten?

Dagmar Belakowitsch: Das jetzt  durch SPÖ und ÖVP durchgeboxte PHC-System ist in Wahrheit ein Rückschritt in DDR Zeiten. Statt und auszubauen, wird die Patientenversorgung Umweg der Sozialversicherungsträger verstaatlicht. Deshalb kann man hier auch keine Andockstelle für Pflege- und Betreuungssystem ansiedeln, da alles in einem anonymen Gebietskrankenkassen-Ambulatoriensystem ablaufen soll.

Pflege Professionell: Einerseits bekennt man sich zum öffentlichen Auftrag der Gesundheitsversorgung, andererseits will man privaten Investoren Tür und Tor öffnen. Wohin soll es tatsächlich gehen?

Dagmar Belakowitsch: Die FPÖ ist strikt gegen eine Privatisierung des öffentlichen Gesundheitssystems. Dies würde aus der jetzt bereits herrschenden Zweiklassenmedizin ein wahres Kastensystem etablieren, wo es nur mehr um die Renditen anonymer Investmentfonds geht, und nicht um die Patienten in Österreich. Rot und Schwarz wollen einen Ausverkauf der Premiumversorgungseinrichtungen an internationale Investoren und wollen die Basisversorgung in den Einheits-PHCs der Gebietskrankenkassen etablieren. Das ist der falsche Weg. Der richtige Weg ist gleiche Beiträge und gleiche Leistungen in einem einzigen Sozialversicherungssystem.

Pflege Professionell: Personal ist eine der wichtigsten und wertvollsten Ressourcen im Gesundheitswesen. Gegenwärtig stellt es sich so dar, dass es keine einheitliche  Bemessung des Personalbedarfs gibt. Jedes Bundesland kalkuliert nach anderen Grundlagen und es stehen keine transparenten, objektivierten und vergleichbaren Berechnungsmodelle zur Verfügung. Was planen Sie diesbezüglich?

Dagmar Belakowitsch: Durch ein einheitliches Sozialversicherungssystem mit gleichen Beiträgen und gleichen Leistungen könnte man dieses Problem lösen und Sonderlösungen an jedem Standort, mit jedem Sozialversicherungsträger usw. abstellen. Dies wäre transparent und damit auch kosteneffizienter für alle Beteiligten!

Pflege Professionell: An der Schnittstelle zwischen dem Gesundheits- und Sozialsystem gibt es sehr viel Reibung und auch Reibungsverluste. Ein Beispiel dafür ist der „Drehtüreffekt“ bei Menschen mit hohem Pflegebedarf. Welche Konzepte verfolgen Sie, um ein gutes Miteinander und eine koordinierte Vorgehensweise vor allem zwischen dem Akutspital und der Langzeitpflege herzustellen?

Dagmar Belakowitsch: Auch hier kann nur ein Systemwechsel eine Änderung schaffen, – indem man sektoral eine Betreuungsstruktur aufbaut, wo bei klarer Kostenverantwortlichkeit das Gesundheitssystem die medizinische Versorgung und das Pflegesystem die Langzeitpflege übernimmt. Dafür müssen Strukturen durchforstet, das Vertragssystem mit den Sozialversicherungsträgern neu aufgesetzt und klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden. Mit freiwerdenden Mitteln aus dem Gesundheitssystem,- Stichwort Akutbetten, – könnte man wesentliche Teile der Pflege ökonomisch mittel- und langfristig finanziell abdecken.

Pflege Professionell: Welches sind ihre Schwerpunkte in der Kinder und Jugendgesundheit?

Dagmar Belakowitsch: Die Abschaffung des Selbstbehaltes für Kinder und Jugendliche in der Gesundheitsversorgung, der von der FPÖ seit Jahren gefordert wurde, war ein erster Schritt. Jetzt muss es auch hier darum gehen, jene Versorgungsstrukturen zu Schaffen, die für die Erhaltung der Kinder- und Jugendgesundheit praxistauglich sind. D.h. auch hier eine Stärkung des Facharztsystems bei Kinderärzten und eine entsprechende flächendeckende Versorgung vor Ort. Gleichzeitig auch zusätzliche Mittel in der medizinischen Forschung, um hier in Österreich auf dem letzten Stand zu sein.

Pflege Professionell: Österreich verfügt über eine bundesweit verhandelte und sehr gute Demenz-Strategie. Es fehlen die Mittel, diese umzusetzen. Wie werden sie das lösen?

Dagmar Belakowitsch: Durch Strukturreformen müssen die Mittel für diesen wichtigen Bereich in der Gesundheitsversorgung freigemacht werden.

Pflege Professionell: Das österreichische Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt und gleichzeitig ein extrem ungerechtes. Sogar Studien belegen, dass zusatzversicherte PatientInnen bei OP-Terminen vorgezogen werden. Wie kann diese extreme Versorgungsschere in den nächsten Jahren beseitigt werden?

Dagmar Belakowitsch: Die Zweiklassenmedizin bei der Versorgung, ob bei OPs oder bei CT/MRT gehört abgeschafft. Durch klare Vertragsstrukturen der Sozialversicherung mit einer leistungsorientierten Honorierung der medizinischen Dienstleistungen in allen Bereichen sollte dies behoben werden. Vorgezogene OP-Termine dürfen ausschließlich nach medizinisch Gründen erfolgen.

Pflege Professionell: Warum ist die Pflegekarenz noch nicht über einen Rechtsanspruch abgesichert?

Dagmar Belakowitsch: Weil SPÖ und ÖVP dies verhindern!

Pflege Professionell: Durch die unbezahlte Pflege- und Betreuungsleistung pflegender Angehöriger und Zugehöriger werden jährlich Leistungen im Wert von 3 Milliarden Euro erbracht, die damit nicht als Ausgaben bei der öffentlichen Hand anfallen. Ohne ihre Leistung, die nicht mit einer Freiwilligenarbeit zu verwechseln ist, würde die informelle Pflege und Betreuung nicht gesichert sein. Welche finanzielle Unterstützung neben der Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung oder der Ersatzpflege der Betroffenen kann geschaffen werden, um ihre oft entstehende prekäre Lebenssituation abzuwenden? Ist die Schaffung eines eigenen, regelmäßigen Betreuungsgeldes mit Rechtsanspruch ein Ansatz den Sie unterstützen?

Norbert Hofer: Dringend notwendig sind die Valorisierung des Pflegegeldes, das mittlerweile 35 Prozent seines Wertes verloren hat, und die Rücknahme der Zugangsbeschränkungen bei den Pflegestufen 1 und 2. Dies würde sowohl Pflegebedürftige als auchMenschen mit Behinderungen entlasten und damit die häusliche Pflege sicherstellen. Gleichzeitig ist die von der FPÖ durchgesetzte Abschaffung des Pflegegregress ein Fortschritt zu Gunsten der Betroffenen.

Pflege Professionell: Bei der Begutachtung zur Einstufung des Pflegegeldes haben pflegende Angehörige und Zugehörige keinen Parteienstatus. Trotz der Aufforderung, eine Art Tagebuch zu schreiben, werden sie in den meisten Fällen der Begutachtung vor Ort nicht einbezogen oder haben keine Einspruchsmöglichkeit, wenn die betroffenen Pflegebedürftigen nicht in der Lage sind, ihre tatsächliche Situation zu schildern oder zu begründen. Pflegende Angehörige und Zugehörige sind die ExpertInnen vor Ort. Wie können sie im Begutachtungsverfahren eine rechtsgültige Position als Partei erlangen? Womit rechtfertigen Sie gegebenenfalls die Ablehnung der rechtsgültigen Parteistellung?

Norbert Hofer: Eine Anhörungspflicht in diesen Fällen wäre ein sinnvoller Schritt, hier auch tatsächlich neben den rein medizinischen Begutachtungen auch ein Gesamtbild der tatsächlichen Situation in der Betreuungsintensität zu zeichnen, deshalb sollte den Angehörigen eine Parteienstellung gegeben werden.

Pflege Professionell: Das Thema „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ ist sowohl in Unternehmen als auch in der Politik ein Diskussionsthema. In Österreich wird der Großteil der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen zuhause gepflegt und betreut. Meistens wird diese Aufgabe von den Frauen erbracht. Welche Unterstützungsmöglichkeiten können Sie den pflegenden Angehörigen (vor allem Frauen) bieten?

Norbert Hofer: Neben einem verbesserten Status bei der Pflegekarenz – Stichwort Rechtsanspruch – sollte auch eine entsprechende Zusatzförderung angedacht werden, – zusätzliche Sozialversicherungszeiten etwa bzw. auch sonst eine Anerkennung dieser Leistungen.

Pflege Professionell: Was planen sie darüber hinaus zur besseren Unterstützung der pflegenden Angehörigen?

Norbert Hofer: Als ersten Schritt ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenz und die entsprechenden finanziellen und sozialrechtlichen Begleitmaßnahmen, um die Inanspruchnahme auch tatsächlich zu gewährleisten.

Pflege Professionell: Die Finanzierung des Pflegesystems ist bis 2021 gesichert. Dennoch fehlt eine strukturelle Lösung für den Finanzierungsbedarf. Wie sehen dazu ihre Vorschläge aus?

Norbert Hofer: Wir brauchen eine echte Strukturreform im Gesundheits- und Pflegebereich, um Synergien zu bündeln und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. Dafür ist es notwendig, die Vorschläge des Rechnungshofes umzusetzen, wodurch jährlich 4,75 Milliarden Euro freigemacht und zur Finanzierung der Langzeitpflege verwendet werden können. Denn auch die ungezügelte Zuwanderung der letzten Jahre hat unser Sozialsystem schwer belastet.

Pflege Professionell: Was werden Sie beitragen, damit man in Österreich je nach Bundesland nicht unterschiedlich hohe Kostenbeträge für ein und dieselbe Leistung entrichten muss?

Norbert Hofer: Die Implementierung einheitlicher Personalschlüssel und Qualitätsstandards mit Kontrollen wurde bei den letzten 15a-Verhandlungen verabsäumt, das ist dringend nachzuholen. Auch eine leitungsgerechte Bezahlung der Pflegekräfte muss umgesetzt werden. Zudem muss es eine völlig andere Gestaltungsmöglichkeit bei den Tarifschlüsseln mit den Pflegeheimen geben, wo derzeit nicht dietatsächlichen Kosten oder die Normkosten abgerechnet werden und es unterschiedliche Zuwendungen gibt.

Pflege Professionell: Im letzten Finanzausgleich ist es gelungen, bis zum Jahre 2021 eine jährliche Finanzierung von € 18 Mio. für Hospiz und Palliative Care bereitzustellen. Das ist ein großer Erfolg. Gleichzeitig kommt das Geld aus drei verschiedenen Quellen, nämlich der Sozialversicherung, dem Pflegefonds und aus Landesmitteln. Was werden Sie tun, dass die Mittel bei den Menschen auch rasch ankommen? Welche Lösung schlagen sie vor, damit nicht Anbieter von Leistungen vor Ort mit den drei verschiedenen Geldgebern nach drei verschiedenen Vorschriften abrechnen müssen?

Norbert Hofer: Die Finanzierung auf diesem bescheidenen Basisniveau wurde von SPÖ und ÖVP jahrelang verschleppt. Transparente und klar strukturierte Anspruchsgrundlagen müssen hier vor Ort im Sinne der Betroffenen geschaffen werden. Gleichzeitig muss – wie bereits oben ausgeführt – die Finanzierung aus einer Hand kommen.

Pflege Professionell: In Städten werden mehr Menschen in Institutionen versorgt als auf dem Land. Dies ist vor allem auf räumliche Unterschiede der Infrastruktur und der angebotenen Pflegeleistungen zurückzuführen. Die Bundesländer erhalten über den Pflegefonds für Pflegeleistungen finanzielle Unterstützung, setzen diese aber nicht immer ein. Würden Sie die Bundesländer auffordern, mehr in Pflegeleistungen zu investieren?

Norbert Hofer: Klare Aufgaben – und Ablaufstrukturen in einem runderneuerten Gesundheits und Pflegesystem müssen diese unsachlichen Differenzierungen – Stichwort Stadt-Landgefälle – beheben. Dies ist durch ein System gleiche Leistung- gleiche Kosten zu garantieren.

Pflege Professionell: Der Bericht der Volksanwaltschaft hat so einige Wellen geschlagen. Handelt es sich ihrer Meinung hierbei um Einzelfälle und wie wollen Sie diese Situationen ändern?

Norbert Hofer: Einzelfälle sind immer das Ergebnis von Systemfehlern bzw. zumindest von Systemschwächen. Nur einheitliche Qualitäts- und Betreuungsstandards können hier eine Abhilfe schaffen, die dann auch an die tatsächlichen Finanzierungsströme gekoppelt sind.

Pflege Professionell: Beschäftigte in den österreichischen Alten- und Pflegeheimen klagen, dass die Arbeit immer dichter wird und ständig neue Aufgaben dazu kommen. Letztlich bleibt immer weniger Zeit für die Auseinandersetzung mit den BewohnerInnen und die Gestaltungsmöglichkeiten der TrägerInnen sind begrenzt. Faktum ist, dass die Pflege „mehr Zeit“ benötigt. Welche Lösungsansätze haben Sie hierfür?

Norbert Hofer: Ein bundesweit einheitlicher Personalschlüssel, der Teil der Qualitätsstandards ist, kann hier Abhilfe schaffen. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel in Wien doppelt so viel Personal pro Patient zur Verfügung steht, wie beispielsweise in Niederösterreich oder im Burgenland.

Pflege Professionell: In anderen europäischen Ländern übernimmt die akademisierte Pflege zunehmend Tätigkeiten von der Medizin. Auch im niedergelassenen Bereich. Dies hat sowohl qualitative als auch wirtschaftliche Vorteile. Welches Konzept legen Sie diesbezüglich vor?

Norbert Hofer: Das Pflegepersonal muss abgestuft im Gesamtbetreuungssystem implementiert bleiben, – medizinische Kernaufgaben müssen weiterhin den Ärzten vorbehalten bleiben.

Pflege Professionell: In den letzten Wochen wurden sehr medienwirksam Miss-Stände in Pflegeeinrichtungen aufgezeigt. Mit welcher Strategie wollen Sie solchen Mängeln in Zukunft begegnen?

Norbert Hofer: Eine schonungslose Aufklärung und auf der Grundlage der Verantwortlichkeiten müssen Konsequenzen gezogen werden. Gleichzeitig muss das System im Hinblick auf eine umfassende Sanierung der erhobenen Mängel, organisatorisch und personell neu aufgestellt werden.

LeserInnenfrage: Wie werden Sie ganz allgemein mit den steigenden Kosten im Gesundheitswesen umgehen? Kommt für Sie eine Limitierung von Gesundheitsleistungen in Frage ( z.B. ab einem gewissen Alter keine Knie- Op).

Norbert Hofer: Es darf in der sozialen Krankenversorgung zu keinen Leistungsverschlechterungen oder Limitierungen für die Patienten kommen. Das öffentliche Gesundheitswesen muss im Gegenteil dafür Sorge tragen, dass jeder Patient jene umfassende Gesundheitsversorgung bekommt die er braucht. Dennoch sollen die Ressourcen ökonomisch eingesetzt und verwaltet werden. Doppelgleisigkeiten und Mehrfachuntersuchungen ohne medizinisch-therapeutischen Nutzen müssen abgestellt werden. Das Geld im System muss für den Patienten zur Verfügung stehen. Wir fordern seit Jahren die Bündelung der Kompetenzen und der Finanzströme („Finanzierung aus einer Hand“), um eben die vorhandenen Mittel auch bestmöglich zu verwenden.

LeserInnenfrage: Finden Sie es notwendig, dass Pharma- Studien von Medikamenten von unabhängigen Forschern geprüft werden?

Norbert Hofer: Ja. Medikamente, die an Patienten verabreicht werden, sollten umfassend wissenschaftlich, d.h. unabhängig, evaluiert werden, um hier im Sinne der Medikamentensicherheit das höchste Niveau zu erreichen und jede Gefährdung zu verhindern. Um ökonomische Interessen auszuschließen, sind unabhängige Experten notwendig.

LeserInnenfrage: Kommt für Sie eine Kompetenzerweiterung ähnlich wie in den nordischen Ländern in Frage?

Norbert Hofer: Es muss eine klare Kompetenzzuordnung und Verantwortlichkeit innerhalb des medizinischen Personals geben, das dem jeweiligen Ausbildungsgrad entspricht. Nur erlernte Fähigkeiten sollen auch durchgeführt werden, da es auch um Haftungsfragen geht. Wichtig sind in diesem Zusammenhang aber die Möglichkeiten der Weiterbildung. Nur ein Miteinander aller Gesundheitsberufe bringt optimale Ergebnisse für die Patienten. Ärztliche Aufgaben an das Pflegepersonal abzugeben, nur weil das für manche Gesundheitsökonomen auf den ersten Blick „billiger“ erscheint, ist jedenfalls der falsche Weg.

LeserInnenfrage: Die Ausbildung in der Pflegefachassistenz ist zeitlich sehr eng. Die Verantwortung ähnlich wie die der Diplomierte. Was ist ihre Meinung zu dieser Ausbildung?

Norbert Hofer: Wir haben diese Ausbildungsreform sehr kritisch gesehen. Eine verkürzte Ausbildung, die zu den selben Ergebnissen führen soll, kann nicht funktionieren. Die Ausbildungsqualität setzt die neuen Pflegefachassistenten auch unter einen enormen Druck. Dass die Pflegefachassistenten sehr engagiert arbeiten, steht außer Zweifel, das darf aber nicht über den Druck, der auf deren Schultern lastet, hinwegtäuschen. Der Spardruck der Krankenanstalten führt dazu, Personalkosten niedrig zu halten. Diesen Druck werden vor allem die Pflegefachassistenten spüren, da akademisch ausgebildete Pflegekräfte aus Kostengründen kaum eingestellt werden. Ich habe daher die verkürzte Ausbildung immer kritisiert, die Diplomausbildung war ausgezeichnet, einzig die Durchlässigkeit im System hätte man verbessern müssen.

LeserInnenfrage: Österreich hat im Vergleich zu anderen Ländern viele Spitalsbetten. Was werden Sie tun, um die Primärversorgung voranzutreiben?

Norbert Hofer: In Österreich gibt es nahezu doppelt so viele Akutbetten wie im EU-Durchschnitt. Diese sind aber sehr oft mit Pflegepatienten belegt, die keinen entsprechenden Platz in einem Pflegeheim haben. Das österreichische Gesundheitssystem ist ein gutes, aber sehr spitalslastig. Das hat mehrere Gründe. Zumeist finden die Patienten keinen geeigneten Facharzt und gehen daher lieber gleich in ein Krankenhaus. Dort sind die Behandlungskosten aber ungleich höher. Daher ist eine Stärkung der niedergelassenen Ärzte dringend notwendig. Daneben braucht es aber auch Möglichkeiten für andere Gesundheitsberufe, die auf selbständiger Basis ihre Leistungen anbieten zu können. So haben wir im Burgenland im Zuge der Regierungsverhandlungen ein Versuchsmodell für Wundmanager ausverhandelt. Richtig behandelte Wunden bei einer ausgebildeten Fachkraft können jahrelanges Leiden mit Folgekomplikationen vermeiden und kommen „günstiger“. Solche Wege braucht es in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung. Die von der Regierung beschlossenen PHC (Primary Health Care Center) sind wenig geeignet, um eine Primärversorgung im Sinne der Patienten zu leisten. Denn diese führen zu einer Verstaatlichung des Gesundheitssystems, wenn sich keine Ärzte als Betreiber finden und die Sozialversicherungen diese Zentren betreiben, ähnlich wie die schon vorhandenen Kassenambulatorien.

LeserInnenfrage: Wie wollen Sie alle Stakeholder im Gesundheitswesen einbinden, um eine effektive und effiziente Versorgung der Menschen zu gewährleisten?

Norbert Hofer: Die im Zuge der letzten Gesundheitsreform 2012 gegründete Zielsteuerungskommission sollte genau den Zweck erfüllen, die relevanten Spieler der Gesundheitspolitik an einen Tisch zu bringen. Die Mitglieder dieser Kommission, die sich aus Vertretern von Bund, Ländern und Sozialversicherung zusammensetzen, beschließen derzeit – vorbei am österreichischen Parlament – alle Reformen. Selbst die Gesundheitssprecher sind nicht Mitglied dieser Kommission. Ich möchte aber alle wesentlichen Vertreter aus Ministerium, Parlament, den Landtagen und den Berufsgruppen an einen Tisch bringen, um einen wirklich tragfähigen und guten Kompromiss für eine echte Strukturreform im Gesundheits und Pflegebereich zu erzielen. Nur wenn man wirklich alle einbindet, wird das Ergebnis letztlich auch von allen mitgetragen.

LeserInnenfrage: Welche Modelle haben Sie um den arbeitenden Menschen eine entsprechende Work-Life-Balance zu bieten?

Norbert Hofer: Das ist ein Bereich, den jeder Mensch höchstpersönlich regeln muss. Klar ist, dass es sinnvolle Höchstarbeitszeitgrenzen geben muss. Und den Unternehmern muss durch eine Entbürokratisierungsoffensive und Steuersenkungen genauso wieder Luft zum Atmen gegeben werden. Da gibt es oft keinen Raum für eine vernünftige Work-Life-Balance.

LeserInnenfrage: Von wem lassen Sie sich über das Gesundheitswesen beraten?

Norbert Hofer: Unser freiheitliches Kompetenzteam umfasst Vertreter der Berufsgruppen im Gesundheitswesen, ebenso wie Personen an Schlüsselstellen der zuständigen Ministerien, der Krankenkassen und des Hauptverbandes.

LeserInnenfrage: Warum gibt es in Österreich das Berufsbild der School Nurse nicht. Obgleich scheinbar immer mehr Kinder übergewichtig sind, sich nicht sinnvoll ernähren und bewegen. Sind Sie der Meinung, dass Schulärzte die Situation unter Kontrolle haben?

Norbert Hofer: Die historische Entwicklung in Österreich ist eine andere. Ob man es Schularzt oder School Nurse betitelt, – wichtig ist, dass es auf allen Seiten die notwendige Sensibilität für dieses Thema gibt. Die Probleme vieler Kinder und Jugendlicher haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Neben Übergewicht sind es vor allem psychische Probleme, Mobbing und Suchtproblematiken, die stark im Vormarsch sind. Die Belastungen für Schulärzte sind ungleich höher, als noch vor zwanzig Jahren. Wichtig für die Gesundheit unserer Kinder ist aber eine gute Zusammenarbeit zwischen Elternhaus, Kindergarten und Schule. Eine langjährige freiheitliche Forderung ist die Ausdehnung des Mutter-Kind-Passes bis ins Jugendalter, aber auch eine Ausdehnung der Untersuchungen. Die Idee einer „Nurse“, vor allem für sogenannte Brennpunktschulen, ist nicht neu, bisher aber an Kompetenzstreitigkeiten gescheitert.

LeserInnenfrage: Wie ist Ihre Meinung zu Gesundheitserziehung und Schulungen von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern?

Norbert Hofer: Gesundheitserziehung fängt im Elternhaus an. Wir wissen, dass gerade Menschen mit niedrigem Bildungsniveau die Möglichkeiten im Gesundheitssystem nicht wahrnehmen. Daran würde vermutlich auch eine Verpflichtung wenig ändern. Gerade in diesen Familien kann nur über finanzielle Zuwendungen bzw. Entzug derselben eine Verhaltensänderung erreicht werden. Eine Gesundheitserziehung in den Bildungseinrichtungen sollte aber dennoch verstärkt werden und zu einem integrativen Bestandteil werden.

LeserInnenfrage: Warum gibt es für die Pflege so viele Kollektivverträge und Gehaltsschemen? Wäre eine einheitliche Bezahlung nicht sinnvoller?

Norbert Hofer: Ja, selbstverständlich wäre ein einheitliches Entlohnungssystem sinnvoller. Gerade im Pflegebereich zeigen sich die Nachteile eines falsch organisierten Föderalismus. Neun Landesgesetze, öffentliche Träger, private Träger, siebzehn Krankenkassen, Hauptverband usw. machen das System undurchschaubar und ungerecht. Initiativen, die ich gesetzt habe, um ein einheitliche Gehaltsschemata einerseits und auch einheitliche Qualitätsstandards andererseits durchzusetzen, wurden jedoch von den Regierungsparteien abgelehnt.

LeserInnenfrage: Warum entscheidet die GKK welche Produkte in den Wundkoffer kommen, obwohl nicht mal die eigenen Ambulanzen an der Gkk mit gewissen Wundspühllösungen oder Verbandsstoffen arbeiten, da es Studien gibt Beispiel Prontosan, das zu basisch ist um Keime abzutöten?!!

Norbert Hofer: Die Selbstverwaltung der Krankenkassen entscheidet, welche Artikel in den sogenannten Wundkoffer kommen. Da viele Kassen verschuldet sind und einen enormen Spardruck fühlen, stehen hierbei leider ökonomische Überlegungen im Vordergrund.

LeserInnenfrage: Warum wird von Seiten der Politik nicht mehr Förderung in die Prävention und Wissensvermittlung von Gesundheits- und Krankheitswissen gesteckt, um Überforderung auf diesem Sektor zu minimieren?!

Norbert Hofer: Investitionen in die Prävention zeigen den großen Benefit erst nach vielen Jahren. Da aber die Regierungen der letzten Jahre in kurzen Gesetzgebungsperioden denken, sind Investitionen entsprechend gering. Diesen Bereich müssen wir in Zukunft mehr in den Fokus rücken, denn jeder hier eingesetzte Euro ist gut investiert, führt zu mehr Lebensqualität und ist günstiger als „Reparaturmedizin“.

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)