Ist man in Gesundheits- und Heilberufen tätig, wird man unweigerlich mit PatientInnen konfrontiert, die mehr oder weniger unter Schmerzen leiden.
Schmerz ist ein Symptom, das jeden im Laufe seines Lebens irgendwann einmal betrifft. Wenn alles gut geht, ist ein akuter Schmerz bereits nach wenigen Tagen bis einigen Wochen wieder verheilt. Bleibt der Schmerz länger bestehen, wird die Situation für alle Betroffenen, aber auch für Angehörige, Freunde und KollegInnen zur Belastung.
Glaubt man den Statistiken, leiden ca. 1,5 Mio. ÖsterreicherInnen unter chronischen Schmerzen (www. schmerz-allianz.at, Zugriff 16.08.2015). Chronische Schmerzen verändern den Lebensalltag. Arbeitsunfähigkeit und dadurch ausgelöste finanzielle Probleme können das Schmerzempfinden verstärken. Alltags-Aktivitäten und soziale Kontakte werden möglicherweise eingeschränkt, die Betroffenen ziehen sich unter Umständen immer mehr zurück. Schmerz ist eine einsame Erfahrung (vgl. Hoffmann/Franke, 2003, S. 151).
Die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes IASP (International Association for the Study of Pain) definiert Schmerz als ein „unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, […]“. Schmerz ist somit ein Gefühl. Man fühlt, daß etwas nicht in Ordnung ist. Bei akuten Schmerzen ist die Ursache zumeist klar, bei chronischen Schmerzen ist es oft nicht einfach, herauszufinden, was tatsächlich die quälenden Gefühle auslöst.
Da Schmerz als ein Gefühlserlebnis beschrieben wird, ist es erforderlich, neben den biologischen Veränderungen (z.B. Bandscheibenvorfall, Arthrosen, etc.) auch die psychosozialen Faktoren mitzuberücksichtigen. Hierbei geht es vor allem darum, anzusprechen, welche Gefühle neben dem Schmerz noch empfunden werden.
Schmerz ist ein Gefühl, das mindestens ein oder mehrere weitere Gefühle auslöst, das bedeutet, spürt man einen Schmerz, kann zusätzlich Angst oder Ärger, Wut, Trauer, Unwohlsein ausgelöst werden. Diese Reaktion wird auch als die affektiv-motivationale Ebene genannt (vgl. Magerl/Treede, 2011, S. 30).
Oft wird Schmerz daher auf der Gefühlsebene ausgedrückt, Aussagen wie „es ist alles so mühsam“, „der Schmerz lähmt mich“ werden bei näherer Befragung immer wieder von Betroffenen getätigt. Schmerz, der auf der Gefühlsebene beschrieben wird, muß auf der Gefühlsebene behandelt werden.
Wird Schmerz als „mühsam“ oder „lähmend“ gefühlt, kann möglicherweise ein Medikament kaum Linderung verschaffen.
Es empfiehlt sich, hier nachzufragen, was genau als mühsam oder lähmend empfunden wird. Beispielsweise kann eine Bewegungseinschränkung nach einer Operation als lähmend empfunden werden, diese wird jedoch über das Schmerzempfinden ausgedrückt und als starker Schmerz angegeben. Wird ein Medikament verabreicht, bleibt die Bewegungseinschränkung mit dem lähmenden Gefühl trotzdem bestehen und es werden unter Umständen weiterhin starke Schmerzen angegeben. Wird jedoch die Bewegungseinschränkung gemeinsam mit dem Betroffenen besprochen und auf die individuellen Empfindungen, also das lähmende Gefühl, eingegangen, kann vielleicht eine gewisse Akzeptanz für die Situation geschaffen werden und die Situation erträglicher für die Betroffenen werden.
Aussagen, wie „es tut so weh“ und „nichts hilft“ oder „jetzt tun´s doch endlich was“ können ein Gefühl der Hilflosigkeit bis hin zum betretenen Schweigen bei den betreuenden Personen auslösen. Was soll man denn tun? Wie soll man denn als behandelnde und/oder betreuende Person reagieren, vor allem dann, wenn schon andere getan haben und nichts geholfen hat. Eine Vielzahl an medikamentösen und nicht medikamentösen Maßnahmen zur Schmerzlinderung stehen zur Verfügung, diese jedoch bei jemandem einzusetzen, der die Aussage trifft „nichts hilft“, wird schwierig.
Eine Möglichkeit, doch noch eine geeignete Maßnahme zu finden, bietet hier die motivierende Gesprächsführung.
Die motivierende Gesprächsführung ist eine Methode, die Betroffenen zu motivieren, durch Verhaltensänderungen aktiv am Genesungsverlauf teilzunehmen und etwaige Behandlungen durchzuführen und durchzuhalten (vgl. Rollnick/Miller, 2012, S. 22).
Voraussetzung für die motivierende Gesprächsführung ist die Wahrung der PatientInnen-Autonomie, das bedeutet, die persönliche Motivation und die Ziele der Betroffenen werden besprochen. Auf dieser Basis entsteht eine therapeutische Partnerschaft mit zwei gleichen Partnern, die gemeinsam Entscheidungen treffen (vgl. Rollnick/Miller, 2012, S. 23).
Diese Methode unterscheidet sich von herkömmlichen PatientInnengesprächen, bei denen die Betroffenen oft hören, wie sie sich verhalten sollen, damit es ihnen unter Umständen besser geht. Ein in der Praxis häufiges Beispiel ist, daß PatientInnen mit Rückenschmerzen hören, sie sollen doch mehr Sport betreiben, dann wird schon wieder alles gut. Schon beim Hören dieser Information kann das Gefühl aufkommen, nicht verstanden worden zu sein. Wie soll sich ein schmerzgeplagter Mensch denn bewegen, wenn er Schmerzen hat, ist die häufige Reaktion auf solche, vermeintlich gut gemeinten Ratschläge. Dieses Gespräch dreht sich im Kreis und heraus kommt dabei … nichts. Außer, daß die Betroffenen die behandelnden/betreuuenden Personen auswechseln, sie gehen von einem Arzt zum anderen, von einem Krankenhaus ins andere, von einer Ambulanz in die andere.
Grundprinzipien der motivierenden Gesprächsführung
Die Grundprinzipien werden als RULE bezeichnet. RULE steht für R wie resist, U wie understand, L wie listen und E wie empower.
R wie Resist, bedeutet, dem Reflex zu widerstehen, die Betroffenen in ihrer Meinung zu korrigieren. Es wird nicht gelingen, einen Erwachsenen von einer anderen Meinung zu überzeugen, vielmehr wird er sich diesen Versuchen widersetzen. Nehmen wir wieder das Beispiel mit den Rückenschmerzen: Würde man versuchen, den Betroffenen zu erklä- ren, daß mehr Bewegung die Rückenschmerzen lindert, wird dagegen argumentiert, man würde sich doch gern mehr bewegen, wenn man nicht solche Schmerzen hätte. Sätze, die mit „Sie sollten, …“ oder „es wäre gut, wenn Sie …..“ werden daher nicht sehr erfolgreich sein. Vielmehr gilt es, die Betroffenen selbst zu motivieren, die Argumente für mehr Bewegung vorzubringen. Beispiel: „Ich merke, wenn ich länger gehe, werden die Rückenschmerzen besser“.
U wie Understand meint, zu verstehen, was die Betroffenen motiviert. Welche Motivation geht von den Betroffenen aus, um die Schmerzsituation zu verändern? Hier ist es zunächst wichtig, das Ziel zu formulieren. Welches Ziel haben Betroffene? Schmerzfreiheit wird oftmals nicht als Ziel genannt. Vielmehr sind es andere Zielformulierungen, wie mehr Beweglichkeit oder diverse Aktivitäten wieder durchführen zu können. Gemeinsam werden dann Strategien erarbeitet, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
L wie Listen bedeutet, hinhören, was die Betroffenen sagen. Bei schmerzgeplagten Menschen heißt das, genau zu differenzieren, wie Schmerz geäu- ßert wird, auf der biologischen Ebene, z.B. „Mein Schmerz fühlt sich brennend, ziehend, pochend an“ oder auf der emotionalen Ebene, z.B. „Mein Schmerz lähmt mich, es ist alles so mühsam“. Auf letztere Aussage mit der Verabreichung eines Schmerzmittels zu reagieren, wird vielleicht zu einer frustranen Situation führen, da der lähmende Schmerz möglicherweise weiterhin bestehen bleibt.
E wie empower bedeutet, die Betroffenen aktiv in die Behandlung einzubinden. Schmerzgeplagte Menschen werden befähigt, aktiv zur Genesung beizutragen (vgl. Rollnick/Miller, 2011, S. 24ff).
Die motivierende Gesprächsführung kann auch in vielen anderen Situationen im Pflege-Alltag angewandt werden, z.B. wenn es um gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Prävention von Hypertonie, Diabetes, Bewegungsmangel oder gesunde Ernährung geht.
Derzeit ist ein Gesprächsleitfaden auf Grundlage der motivierenden Gesprächsführung für chronische SchmerzpatientInnen in Erarbeitung. Ziel ist es, in scheinbar ausweglosen Schmerzsituationen in einer ersten Reaktion die richtigen Worte zu finden, um einerseits als betreuende Person nicht dem Gefühl der Hilfslosigkeit ausgesetzt zu werden und andererseits, um den Betroffenen das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, das man sie mit ihrem Schmerz wahrgenommen hat und gemeinsam Maßnahmen ergreift, um eine Schmerzlinderung herbeizuführen.
Literatur:
Hoffmann, S.O./Franke, T.W. (2003): Der lange Weg in die Schmerzkrankheit: Faktoren der Chronifizierung: In: Egle, U./Hoffmann, S.O. et al. (Hrsg.): Handbuch Chronischer Schmerz. Grundlagen, Pathogenese, Klinik und Therapie aus bio-psycho-sozialer Sicht. Schattauer GmbH. Stuttgart. S. 150- 161.
Magerl, W./Treede, R.-D. (2011): Physiologie von Nozizeption und Schmerz. In: Kröner-Herwig, B. et al. (Hrsg.): Schmerzpsychotherapie, Springer-Verlag. Berlin. S. 29-74.
Rollnick, S./Miller, W. et al. (2012): Motivierende Gesprächsführung in den Heilberufen. Core-Skills für Helfer. G.P. Probst Verlag GmbH, Lichtenau/ Westf.
Autorin: Svetlana Geyrhofer, BSc
Titel: Motivierende Gesprächsführung mit Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten
Ausgabe: Pflege Professionell 01/2015
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