Peter Abart
Manche Ideen sind so einfach, dass sich jemand an die Umsetzung wagt. Schaut man sich die Nesteldecken und Demenzpuppen an, die Peter Abart vertreibt, dann glaubt man dies. Der diplomierte Psychiatrie-Pfleger gehört zu den pragmatischen Praktikern in seiner Zunft. Mit dem Unternehmen „37 Grad“ sucht er nach Wegen, wie beispielsweise dementiell veränderte Menschen mit der ihnen eigenen Unruhe zurechtkommen. Bei einem Becher Tee hat er die Ruhe gefunden, um mit Christoph Müller zu sprechen.
Christoph Müller Mit den Nesteldecken, die Sie erfunden haben, haben unruhige Menschen die Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Die Betroffenen können Bänder flechten und Klettverschlüsse auf-und zuziehen. Wie sind Sie auf diese offenbar einfache Idee gekommen?
Peter Abart Aus der Pflege kommend beliefere ich seit Jahren Gesundheitseinrichtungen mit CE-zertifizierten Wärme- und Kältekissen als abwisch- und desinfizierbare Alternative zu Wärmflasche und Cool-Pack. Durch die permanente Zusammenarbeit mit Krankenhäusern bin ich gerne bereit, auf Bedarfsmeldungen zu reagieren. Genau eine solche hat mich zur Entwicklung der Nesteldecke bewogen. Aus einem Krankenhaus ist die Anfrage gekommen, ein Hilfsmittel zu entwickeln, damit Intensiv- und Unruhepatienten nicht immer an medizinischen Geräten, wie Subclavia, Harnkatheter, Venflon oder EKG-Elektroden ziehen. Aus meiner beruflichen Erfahrung auf Demenzstationen weiß ich, dass speziell desorientierte Personen gerne nach Greifbarem suchen und damit zu nesteln beginnen. Die Idee für eine Decke mit speziellen Accessoires, um Unruhephasen gezielt zu minimieren, war somit geboren und diese musste nur noch krankenhaustauglich bezüglich der hygienischen Anforderungen umgesetzt werden.
Christoph Müller Was glauben Sie, macht den Reiz der Nestelpolster und Nesteldecken aus?
Peter Abart Viele Entdeckungsmöglichkeiten, die aus der Vergangenheit bekannt sind und Erfolge zulassen, wie Bänder zum Zöpfen, Schrauben zum Drehen, Reiß- und Klettverschlüsse, verborgene Taschen, Knöpfe und Ringe, ermöglichen ein stundenlanges Beschäftigen. Alltägliche Bewegungsabläufe können mit diesem Hilfsmittel unkompliziert geübt und wieder erlernt werden. Bei gelben und roten Bändern können die Hände nur kurz widerstehen. Die unterschiedlichen Stoffe machen diese Decke zu einem sensorisch-taktilen Highlight. An Männer haben wir extra gedacht, indem wir eine Schraube auf der Decke angebracht haben. Männer haben gerne etwas „Technisches“, Frauen lieber etwas zum „Zöpfen“ – für jeden ist etwas dabei!
Christoph Müller Sie erzählen immer wieder davon, dass sich dementiell veränderte Menschen auf die Suche nach Dingen machen, die sie spüren können. Woher kommt dieser Drang bei den verwirrten Menschen?
Peter Abart Ältere und Verwirrte versuchen, sich an etwas festzuhalten. Es gibt ihnen Sicherheit, kann Ängste minimieren und so Unruhe lindern. Bekannte Bewegungsabläufe und Beschäftigung mit vertrauten Gegenständen rufen Erinnerungen ins Gedächtnis und können so für Beruhigung und Stressabbau sorgen. Die Suche nach Orientierung ist bei Frauen und Männern unterschiedlich. Diese Besonderheit wurde bei den diversen Elementen bedacht. Mittels dieser speziellen Decke wird der Drang nach Spür- und Greifbarem gestillt, auch für die Feinmotorik ist vieles mit dabei.
Christoph Müller Wenn Sie der Überzeugung sind, dass die Biographie des Menschen wichtig bei der Anwendung der Nestelpolster und Nesteldecken ist, dann verdeutlichen Sie doch einmal konkret, wie dies ausschaut.
Peter Abart Als „Böhm Schüler“ habe ich die prägenden Worte „Man muss zuerst die Seele bewegen, bevor man die Füße bewegt“ nie vergessen. Daher habe ich dies an meinen Decken mit einer Plastikhülle bedacht, worin Erinnerungen und Informationen mittels eines Bildes oder eines Spruches als positive Impulssetzung verwendet werden können. Ein Foto aus der Vergangenheit oder ein Bild eines Märchens kann durchaus zu anregenden Gesprächen führen. Banale Informationen, wie „Wasser heute gratis“, kann dementiell veränderte Personen dazu bringen, ein Glas Wasser zu trinken. Mit dieser Hülle können viele Ideen verfolgt werden. Auch Duftstoffe können darin versteckt werden.
Christoph Müller Viele Menschen sind bei unterschiedlichen Hilfsmitteln skeptisch bezüglich hygienischer Umstände. Werden die Hilfsprodukte, die Sie vertreiben, diesem Anspruch gerecht?
Peter Abart Bei unseren Hilfsmitteln ist das oberste Gebot, dass diese im klinischen Alltag angewendet werden dürfen. Hier habe ich mir selbst eine sehr hohe Latte gelegt. Denn ich weiß, dass die Hygiene sehr wichtig ist. Unsere Produkte eignen sich entweder desinfiziert oder bei mindestens 60 Grad Celsius desinfizierend gewaschen zu werden. Wir werden somit den hohen hygienischen Anforderungen im Krankenhaus gerecht. Aber auch bei der Verarbeitung und der Auswahl der Textilien haben wir einen sehr hohen Qualitätsanspruch. Alles muss entsprechende Zertifikate besitzen, um gerade speziell diesem Patientengut gerecht zu werden. Hier möchte ich unbedingt anmerken, dass das „selber Basteln“ von Hilfsmitteln teilweise gefährlich werden kann.
Christoph Müller In Ihrem Portfolio finden sich auch Demenzpuppen. Was leisten diese kleinen stummen Helfer?
Peter Abart Diese stummen Helfer haben zwischenzeitlich wahrlich einen großen Platz in meinem Angebot der Pflegehilfsmittel eingenommen. Unsere Demenzpuppen sind Seelentröster. Es gibt viele Rückmeldungen aus Einrichtungen, was diese Helfer alles bewirken. Stationsflüchtige verbleiben plötzlich auf der Station, da ja das „Kind“ nicht alleine gelassen werden kann. Ein verlorenes „Kind“ (Kriegszeit) ist plötzlich wieder da, das nächtliche Suchen in fremden Zimmern gibt es nicht mehr und viele weitere Erfahrungsberichte könnte ich hier erzählen. Die Akzeptanz der Angehörigen für diese Produkte ist sehr groß.
Wir haben nun sogar eine eigene Kollektion entworfen, welche zusätzlich noch auf die eigene Identität und Nationalität Rücksicht nimmt. Unsere heutigen „Alten“ kennen die Tracht, daher haben wir ein Trachtenpärchen entwickelt und darauf bin ich sehr stolz.
Christoph Müller Was unterscheidet die Demenzpuppen von den Handpuppen, die in der Betreuung von alten und kranken Menschen schaupielerisch bespielt werden können?
Peter Abart Ich finde Handpuppen eine großartige Idee und bin davon begeistert. Sie haben wirklich eine tolle Wirkung. Der große Unterschied will wohl darin liegen, dass es sich leider nicht überall einer geeigneten Person finden lässt, die diese Art der Betreuung/Pflege machen möchte.
Unsere Puppe wirkt von selbst, sie hat eine extra breite Sitzposition, damit diese auch wunderbar in der Hüfte wie ein „echtes Kind“ getragen werden kann. Der Gesichtsausdruck wurde einem dreijährigen Kind nachempfunden, da wir aus Erfahrungen wissen, dass hier die Berührungsängste nicht so groß sind wie bei einem Säugling. Die Augen der Puppe wurden so konzipiert, dass einen die Puppe fast aus jeder Position ansieht. Die Puppe wird teilweise als Sprachrohr verwendet, um Emotionen mitzuteilen. Man kann über die Puppe in Interaktion mit sehr zurückgezogenen Bewohnern treten.
Christoph Müller Soweit ich weiß, sind Sie neben dem Vertrieb von Nesselpolstern und Demenzpuppen noch vor Ort in der psychosozialen Pflege tätig. Gibt es weitere Ideen aus der täglichen Praxis heraus, mit denen Sie künftig Betroffenen auf Intensivstationen und Demenz-Wohnbereichen den Alltag erleichtern wollen?
Peter Abart Die neuen Stars auf den Demenzstationen sind unsere Roboter-Tiere. Oftmals ist es durch das eigene Alter oder die eigene Behinderung nicht mehr möglich, sich um ein Haustier zu kümmern und mit unseren Roboter-Katzen und unserem Roboter-Hund kann man einen „bekannten“ Wegbegleiter unkompliziert und kostengünstig zur Verfügung stellen. Pflegen, kämmen, lieb haben, Zuneigung schenken, stundenlanges Streicheln – das alles kann man mit diesen „Tier-Imitaten“ älteren und betagten Menschen bieten. Als weitere Innovation steht unsere abwisch- und desinfizierbare Gewichtsdecke für den Einsatz im Krankenhaus und in Altersheimen derzeit vor der Markteinführung. Die ersten Prototypen wurden bereits gebaut, getestet und für gut befunden. Auch schwirrt mir die Idee eines „Vibrations-Pads“ für eine Mikrostimulation für diesen Betroffenenkreis im Kopf herum. Wenn nur der Tag mehr als 24 Stunden hätte …
Christoph Müller Herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.