Bei einem ersten Blick auf das Buch „Liebe – Wie sie gelingt“ könnte man meinen, Wilhelm Schmid habe Ratgeber-Literatur geschrieben. Dem Philosophen Schmid liegt es sicher fern, bei einem Genre dieser Art einsortiert zu werden. Einmal mehr gibt Schmid den Zeitgenoss_innen die Gelegenheit, tiefgründig über ein alltägliches Phänomen nachzudenken. So wie er es vorschlägt, hat es keine gedankliche Schwere. Nein, Schmid zeigt eine Lebendigkeit und Frische, mit denen es große Freude macht, den eigenen Gedanken nachzugehen.
Es macht wenig Sinn, das Buch „Liebe – Wie sie gelingt“ in einem Lebensabschnitt zu lesen, während sich die Schmetterlinge im Bauch austoben. Seine Anregungen brauchen die Zeitgenoss_innen, wenn eine Liebes-und Lebensbeziehung Alltäglichkeit erfahren (haben). Schmid gesteht zu, dass Liebe etwas sei, „dessen Wahrheit wir nie so recht kennen“ (S. 8). Dabei nähern sich die Leser_innen mit der Lektüre dieser Wahrheit jedoch an.
Dabei bedient sich Schmid einer Farbenlehre. Bestimmte Phasen einer Liebes-und Lebensbeziehung kennzeichnet er mit Farben. Im Kapitel „Liebe machen“ schreibt er über „rosarote Stunden der erotischen Begegnung“. Blaue Stunden des Austauschs von Gedanken beschreibt er im Kapitel „Liebe denken“. Die „Liebe im Alltag“ findet nach Schmid in grauen, lindgrünen und anderen Stunden statt.
Sympathisch ist es, dass sich Schmid jegliche Moralisierung vermeidet. In bewährter Manier wägt er Überlegungen ab, lässt den Zeitgenoss_innen den Raum, eigene Schlüsse zu ziehen. Dies geschieht auch, als er über die „Treue in der Liebe“ nachdenkt. In diesem Zusammenhang schreibt er, die kulturellen könnten mehr noch als die individuellen Vorstellungen von Treue auseinandergehen. Treue zum Anderen werde am ehesten möglich, „wenn sie von der Treue zum eigenen Ich getragen wird“ (S. 65).
Mit seinen Überlegungen zur Treue begibt sich Schmid in eine Nische, die in der Gegenwart ausgefüllt werden muss. Es ist keine Tugendhaftigkeit, mit der er den Zeitgenoss_innen ins Gewissen redet. Es ist ein kontinuierliches Anstoßen eines Sinnierens über eine Lebenspraxis, die immer wieder in Erinnerung gerufen werden sollte. Dass Treue zum Anderen eine Treue zu sich bedingt, erscheint zwar logisch im besten Sinn. Dass diese Ausgewogenheit gegeben ist, erschließt sich im Alltag oft nicht.
Was während der Lektüre immer wieder bewusst wird, ist die Notwendigkeit einer emotionalen und geistigen Ausgeglichenheit, die Zeitgenoss_innen erleben müssen. Im Wechselspiel dieser Anteile findet der Einzelne wohl zu einem Wohlbefinden und einen Ausgewogensein für sich selbst, um Liebe leben zu können. Für Schmid besteht Liebe nicht nur aus Gefühlen, „Liebe ist auch eine Entscheidung“ (S. 75). Unverzichtbar sei „der bewusste Verzicht auf Möglichkeiten, um nicht immerzu nur an verpassten Chancen zu leiden, die suggerieren, dass alles andere als das, was wirklich ist, besser, interessanter, spannender wäre“ (S. 75).
In der Rolle des Ratgebers fühlt sich der Philosoph Schmid sicher nicht wohl. Aber sicher in der Rolle, seinen Zeitgenoss_innen Spiel-und Gestaltungsräume für den Alltag zu eröffnen. Das Buch „Liebe – Wie sie gelingt“ schafft sie. Treten Sie ruhig ein …
Wilhelm Schmid: Liebe – Wie sie gelingt, Insel-Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-458-68151-9, 90 Seiten, 9 Euro.