Kultursensibilität am Lebensende

4. April 2020 | Palliativ, Rezensionen | 0 Kommentare

Mit der zunehmenden Zahl von Migrantinnen und Migranten steht die Gesellschaft vor der einen oder anderen Herausforderung. Eine dieser Aufgaben ist die Kultursensibilität am Lebensende. Schließlich wird in den unterschiedlichen Kulturen auch ganz anders gestorben und getrauert. Das Buch „Kultursensibilität am Lebensende“ versucht diesen Momenten nachzuspüren. Dabei ist es eine beeindruckende Spurensuche, die die Autorinnen und Autoren versuchen. Entscheidend ist beispielsweise, dass Kerstin Hein von „kulturellen Begegnungen“ schreibt. Es zeigt, dass sich die Autorinnen und Autoren einem offenen Konzept, einem offenen Prozess stellen.

Die Philosophin Barbara Schellhammer schreibt über die Begegnung mit dem Fremden als Grenzerfahrung. Sie unterstreicht, die Fremdheitsfähigkeit einer Person erwachse aus einer Beschäftigung mit sich selbst in Formen der Selbstsorge und Selbstkultivierung. Dabei spiele die Auseinandersetzung mit Erfahrungen des Unheimlichen in sich selbst, die bewusste Begegnung mit dem Fremden im Selbst eine besondere Rolle. So bedeute das Begleiten des Sterbens der Fremden eine Begegnung mit dem eigenen Sterben.

Was Schellhammer dem zeitgenössischen Menschen, insbesondere dem pflegenden Menschen abverlangt, ist schon eine Leistung, die es zu erbringen gilt. Damit steht sie mit den anderen Autorinnen und Autoren in einer gemeinsamen Reihe. Die systemische Beraterin Katalin Korodi ist überzeugt, dass es eine Bewusstheit darüber brauche, „dass ein dynamischer Austausch von kulturellen Prägungen auch im Kontext der Migrationsgesellschaft stattfindet“ (S. 51).

Von Seite zu Seite bekommt man den Eindruck, dass sich in der psychosozialen Versorgung ein Paradigmenwechsel vollzieht. Während es viele Jahre eher darum ging, im Zusammenhang mit dem Sterben und dem Trauern migrationserfahrener Menschen zu funktionieren, bloß nicht das Falsche zu tun, so geht es gegenwärtig wohl um die wechselseitige Offenheit und vielleicht sogar um ein gemeinsames Lernen voneinander.

Die kultursensible Kommunikation steht genauso im Fokus wie um Behandlungsentscheidungen aus ganz unterschiedlichen religiösen Perspektiven. Es geht um die transkulturelle Kompetenz in der Palliativpflege und um die Bedürfnisse von Migrantinnen am Lebensende an sich.

Barbara Abdallah-Steinkopff schreibt über das „interkulturelle Pendeln“. Dabei geht es unter anderem um die gemeinsame Suche nach Lösungen für die Klärung und Überwindung der Hindernisse. Dabei geht es für Abdallah-Steinkopff auch um das Nicht-Wissen in der Beratung. Dieses Nicht-Wissen hat sicher seine Bedeutung bei der transkulturellen Anamnese. Dieser transkulturellen Anamnese müsse eine verstehende Grundhaltung vorausgehen. Sie sei individuums-und aushandlungsorientiert auf Gemeinsamkeiten fokussiert. Sie sei ein geeignetes Hilfsmittel, um mehr über die individuellen Bedürfnisse von Menschen unterschiedlicher Kulturen zu lernen.

Der Nutzen des Buchs „Kultursensibilität am Lebensende“ zeigt sich vor allem aufgrund der Grundsätzlichkeit der Beiträge. Sie liefern eine Vorlage, an der es im konkreten Versorgungssetting, in dem man tätig ist, möglich ist, die eigenen Konzepte und das eigene Handeln zu überdenken.

Maria Wasner / Josef Raischl (Hrsg.): Kultursensibilität am Lebensende – Identität-Kommunikation-Begleitung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-034639-0, 288 Seiten, 39 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at