Kompetenzen älterer Menschen

21. März 2020 | Rezensionen | 0 Kommentare

Das Buch „Kompetenzen älterer Menschen“ ist ein Startpunkt für eine neue Schriftenreihe. Diese Buchreihe soll das Pflegeverständnis, das Altersbild und die darauf aufbauende qualitätsorientierte Entwicklung der pflegerischen Versorgung reflektieren sowie durch inhaltliche und methodische Anregungen erweitern. Das Ziel klingt vielversprechend. Die Kontextualisierung dessen in den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff lässt allerdings kritisch werden. Schließlich müssen die pflegerischen Praktikerinnen und Praktiker mit Um-und Zuständen kämpfen, die den beeindruckenden inhaltlichen Vorlagen (wie sie auch von Susette Schumann kommen) vollständig entgegenstehen.

Nichtsdestotrotz macht Mut, was die Krankenschwester und Gesundheitsmanagerin Schumann mit diesem Buch wagt. Sie gibt beispielsweise dem Pflegeprozess einen größeren Rahmen, ermutigt, sich den einzelnen Menschen und seine Notlagen anzuschauen. Schumann fordert auf, den Einzelfall zu verstehen. Sie schreibt über das hermeneutische Verstehen, die dazu führe, „sich mit hilfe der Beobachtungen der subjektiven Perspektive von älteren Menschen zu nähern“ (S. 15). Schumann ist natürlich Recht zu geben, wenn sie davon schreibt, die Komplexität einer spezifischen Lebenssituation zu erkunden.

Der Gebrauch solcher Begriffe zeigt, dass Schumann mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff dem funktionalen Verständnis eines Pflegeprozesses den Rücken kehrt. Trotzdem wünscht man dem Ansatz Schumanns, dass sich ihre Vorstellungen durchsetzen. Schließlich schreibt sie vom „Verständnis der Oberflächen-und Tiefenstruktur der von professionellen Personen gesammelten Informationen“ (S. 21).

Nachdem sie mit dem Zugang zum hermeneutischen Verständnis den Auftakt macht, setzt sich Schumann tiefgründig mit den Ressourcen und Kompetenzen auseinander. Sie definiert Ressource als eine natürliche Quelle, die etwas versorgen solle und für einen bestimmten Zweck nötig sei. Auch bei dieser Formulierung wird nachvollziehbar, dass Schumann die Funktionalität der bisherigen Pflegebegriffe hinter sich lassen will.

Wenn es um die Förderung von Kompetenzen älterer Menschen geht, so bringt Schumann das „Zürcher Ressourcenmodell“ in die Diskussion ein. Dieser sehr lebenspraktische Zugang zum Alltag von Menschen bietet sich an, um auch ältere Menschen zu motivieren und ihnen Quellen zu Fähigkeiten zu erschließen, die ihnen aufgrund von Pflegebedürftigkeit verschlossen sind. Schumann nennt es die „Suche nach den persönlich bedeutsamen Kompetenzen“. Da zeigt sich, dass sie sich mit den Überlegungen an den individuellen Möglichkeiten orientieren will.

Schumann zeigt mit dem Buch über den Tellerrand der Versorgung vor Ort, aber vor allem auch über die Grenzen gesellschaftlicher Regularien. Dies gipfelt darin, dass sie die Pflegeinterventionen als Ergebnis eines gemeinsamen Aushandelns sehen will. Sie nutzt Begriffe wie dialogische Kommunikation und setzt damit sicher ein Zeichen.

Die Tatsache, dass das Buch „Kompetenzen älterer Menschen“ ein Startpunkt für neue inhaltliche Sitzungen ist, gibt mir die Hoffnung, dass sich in der pflegerischen Versorgung noch etwas bewegen wird.

Susette Schumann: Kompetenzen älterer Menschen – Lehrbuch zur praktischen Umsetzung des umfassenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs (Band 1), Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-035952-9, 77 Seiten, 19 Euro.

Autor:in

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at