Kommunikation mit Menschen mit Demenz

3. Januar 2022 | Demenz, Rezensionen | 0 Kommentare

„Wagnis und Bereicherung zugleich“

Verlieren Menschen ihre kognitive Leistungsfähigkeit, so wird die Bewältigung des Alltags schwieriger – für die Betroffenen und die Menschen um sie herum. Gerade im Zusammenhang mit Interaktion und Kommunikation wird entdeckt, was über das sprachliche Vermögen hinaus zwischen Menschen geschieht. Das Buch „Kommunikation mit Menschen mit Demenz“ zeigt, wie wichtig die nonverbale Kommunikation in solchen Situationen ist. Schützendorf ist es als Herausgeber gelungen, vor allem praxisorientierte Autorinnen und Autoren zum Schreiben zu ermutigen.

In dem Beitrag „Eine Verständigung wird unmöglich“ setzt sich Schützendorf selbst mit den Begriffen Verständigung und Verstand auseinander. Besonders gefällt, dass ihm dies narrativ gelingt. Leserinnen und Leser müssen sich nicht durch einen schwerfälligen Begriffsdschungel kämpfen. Die alltagsnahen Erzählungen Schützendorfs nehmen sie unmittelbar in erlebtes Geschehen mit. Auffallend ist, dass Schützendorf mit positiven und wertschätzenden Begriffen arbeitet. So schreibt er: „Die Menschen mit Demenz sind wie Rosen. Sie haben wunderbare Blüten, die einen erfreuen und verzaubern, aber sie haben eben auch Dornen, mit denen sie stechen und verletzen können“ (S. 72). Indem die Artikel mit Strukturelementen wie Reflexionsfragen abgeschlossen werden, haben Praktikerinnen und Praktiker sowie Angehörige die Möglichkeit, das Gelesene in den eigenen Pflege-und Begleitungsalltag zu transferieren.

Mit großem Interesse ist der Beitrag „Die Neurologie der Kommunikation“ aus der Feder des Mediziners Ingo Kilimann zu lesen. Er stellt in einem Text auch fest: „Das Sprechen geht nicht mehr einfach von der Zunge“. Die Angehörige Sophie Rosentreter schreibt über die „Validation und andere Schlüssel zum Herzen“. Die Krankenschwester und Sozialpädagogin Petra Endres fragt: „Wie schmecken Blumen?“.

Den Gerontologen Andreas Kruse hat Schützendorf zu einem Interview geladen. Dabei geht es darum, sich in die Mimik von Menschen einzulesen. Es kommen besonders wichtige Gedanken zur Sprache. So stellt Kruse fest: „Die verbale Kommunikation vollzieht sich häufig in Sprachbildern, die wir nicht unmittelbar übersetzen können: hier ist die Einfühlung in den Erlebensstrom … sowie in biografisch bedeutsame Erlebnisse und Begegnungen, also Inseln des Selbst, von großer Bedeutung“ (S. 48). In dem Gespräch zwischen Kruse und Schützendorf fällt auch der Begriff der Resonanz, der im Zusammenhang mit dementiellen Veränderungen bei Menschen sicher noch zu selten rezipiert wird. Kruse ermutigt, sich auf die Reise durch Emotionen und Affekte einzulassen. Dies sei Wagnis und Bereicherung zugleich. Auf dieser Reise würden die Beteiligten auch „Zeuge eines Humors, der in der Tat sehr zur Entkrampfung beiträgt“ (S. 49).

Während der Lektüre beschleicht vor allem die Praktikerinnen und Praktiker das Gefühl, dass im Kontext von Pflege und Begleitung dementiell veränderter Menschen die Kommunikation, insbesondere die nonverbale Kommunikation zu selten in den Fokus von Forschung und Diskurs genommen wird. Alltag wird allzu sehr gelebt. Dabei zeigen Best-Practice-Modelle, dass vieles möglich ist. Die Journalistin Christine Schön zeigt, wie mit Klängen und Radiosendungen Beziehung mit dementiell veränderten Menschen aufgenommen werden kann. Klänge und Geräusche seien gut geeignet, direkt zu den Emotionen von Menschen zu kommen. Schön betont, dass gemeinsames Radiohören eine ganz vertraute Erfahrung aus der Kindheit und Jugend von heute alten Menschen sei. Konkret: „Menschen mit Demenz haben uns viel zu sagen. Klänge und Radiosendungen können ein guter Auslöser sein, um Erinnerungen und Gefühle zu wecken und dann den Menschen zuzuhören“ (S. 143). Dann wird es auch einfacher, mit kognitiven Leistungseinbußen umzugehen.

 

Erich Schützendorf (Hrsg.): Kommunikation mit Menschen mit Demenz – Worte, Gesten und Blicke, die berühren, Verlag medhochzwei, Heidelberg 2021, ISBN 978-3-86216-601-5, 170 Seiten, 24.99 Euro.

Autor

  • Christoph Mueller

    Christoph Müller, psychiatrisch Pflegender, Fachautor, Mitglied Team "Pflege Professionell", Redakteur "Psychiatrische Pflege" (Hogrefe-Verlag) cmueller@pflege-professionell.at