Ein eigenes Sterbeverfügungsgesetz, das durch neue Bestimmungen im Strafgesetzbuch und im Suchtmittelgesetz flankiert wird, soll Suizidhilfe in engen Grenzen sowie unter strengen Auflagen erlauben. Der Entwurf ist ein respektabler Kompromiss. Er trägt einerseits dem Selbstbestimmungsrecht von Sterbewilligen und andererseits dem Anliegen Rechnung, vor Missbrauch zu schützen und die Grenzen zur Tötung auf Verlangen zu wahren Erfreulicherweise stellt er sicher, dass die Mitwirkung am Suizid auch zukünftig keine ärztliche Aufgabe ist und kein Geschäftsmodell werden soll. Das sollte sinngemäß aber auch die Gesundheits- und Krankenpflege gelten, die im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich erwähnt wird, weil sie beim geplanten Procedere für die Voraussetzungen einer straffreien Suizidhilfe keine eigenständige Rolle in den vorgesehenen Aufklärungsgesprächen spielt. Das Gesetz stellt aber sicher, dass Pflegefachkräfte mit sterbewilligen Personen vertrauensvoll und ergebnisoffen über ihren Sterbewunsch sprechen können, ohne sich der Gefahr eine Verwaltungsstrafe oder gar einer gerichtlichen Strafe auszusetzen.
Das Sterbeverfügungsgesetz nimmt sich das Patientenverfügungsgesetz zum Vorbild. Dieses kennt aber keine Reichweitenbeschränkung auf unheilbare, zum Tod führende Krankheiten oder schwere chronische Erkrankungen, die für den Sterbewilligen mit einem unerträglich empfundenen Leidensdruck verbunden sind. Ob diese Begrenzung verfassungsrechtlich halten wird, wird sich weisen. Von mancher Seite wird sogar gefordert, zusätzliche Hürden im Gesetz einzubauen. Es kommt nun sehr darauf an, das Gesetz nicht in der konkreten Umsetzung so zu hintertreiben, dass seine Inanspruchnahme für Sterbewillige weitgehend verunmöglicht wird und der nächste Gang vor den Verfassungsgerichtshof vorprogrammiert ist.
Unglücklich ist allerdings die Wortwahl „Sterbeverfügung“. Es geht ja gerade nicht um eine Vorausverfügung wie bei der Patientenverfügung, sondern um eine aktuelle Willenserklärung. Korrekterweise sollte man deshalb von einem Suizidwillenserklärungsgesetz sprechen, um den assistierten Suizid auch sachlich von Patientenverfügungen abzugrenzen, die mit Suizidhilfe oder gar Tötung auf Verlangen nichts zu tun haben. In der öffentlichen Berichterstattung kann das leicht durcheinandergehen, so zum Beispiel in einem Standard-Artikel vom 30.10.2021.
Die straffreie Suizidhilfe soll nur bei Volljährigen möglich sein. Jugendliche bleiben ausgenommen, was in der Literatur auch von Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie gut begründet wird.
Was als Krankheit im Sinne des geplanten Gesetzes gilt, steht nicht im Gesetz selbst, sondern nur in den Erläuterungen. Diese verweisen auf § 120 Z 1 ASVG. Demnach handelt es sich um einen „regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand […], der eine Krankenbehandlung notwendig macht. Krankheit ist als Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen und/oder objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen oder seelischen Veränderungen zu definieren“. Wie die Erläuterungen ausdrücklich feststellen, umfasst dieser Krankheitsbegriff auch Unfallfolgen. Er schließt offenkundig aber auch angeborene Behinderungen ein, sofern diese eine Krankenbehandlung erforderlich machen. Dass offenbar auch schwere psychische Erkrankungen ein Rechtfertigungsgrund für straffreie Suizidhilfe sein können, ist ein kritischer Punkt. Der Krankheitsbegriff reicht jedenfalls durchaus weit. Schon deshalb wäre es zu empfehlen, die Begriffsbestimmungen in § 3 des geplanten Gesetzes in dem genannten Sinne eine ausdrückliche Legaldefinition des Krankheitsbegriffs zu ergänzen.
Ärzte, von denen einer eine palliativmedizinische Kompetenz aufweisen muss, tragen bei der verpflichtenden Aufklärung ein hohes Maß an Verantwortung. Erfreulich ist, dass ausdrücklich die Aufklärung über Alternativen zum Suizid vorgeschrieben wird. Es wäre fatal, wenn die weitreichenden Möglichkeiten von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten künftig ungenutzt blieben. Auf ihnen und einer guten palliativmedizinischen Versorgung sollte das Gewicht im Umgang mit Sterbewünschen liegen.
Gleichzeitig mit dem geplanten Sterbeverfügungsgesetz hat die Regierung den flächendeckenden Ausbau der Palliativversorgung an und ein eigenes Hospiz- und Palliativfondgesetz vorgelegt, das ebenfalls bis Jahresende 2021 vom Parlament beschlossen werden soll. Die Absicht ist erfreulich. Abgesehen von ungeklärten Finanzierungsfragen ist allerdings von einem gesetzlich garantierten Recht auf Palliativversorgung, das seit langem gefordert wird, nicht die Rede.
Offen bleibt, was das neue Gesetz für Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft bedeutet, die sich der Hospizarbeit und der Suizidprävention verpflichtet fühlen. § 2 des Gesetzes stellt einerseits klar, das niemand verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten, eine ärztliche Aufklärung durchzuführen oder an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken. Andererseits darf niemand darf wegen einer Hilfeleistung, einer ärztlichen Aufklärung oder der Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung benachteiligt werden, aber auch nicht wegen der Weigerung, derartiges zu tun oder daran mitzuwirken.
Juristisch ist klar, dass das Wort „niemand“ sowohl natürliche als auch juristische Personen umfasst. Folgerichtig steht in den Erläuterungen zum Gesetz zu lesen, eine Einrichtung könne nicht dazu gezwungen werden, Suizidhilfe bereitzustellen oder in ihren Leistungskatalog aufzunehmen. Es wäre gut, das auch ausdrücklich ins Gesetz zu schreiben. Es sollte auch sichergestellt werden, dass Einrichtungen, die keine Suizidhilfe leisten, auch im Zusammenhang mit Leistungsaustauschverträgen sowie Förderverträgen und dergleichen mit Sozialversicherungsträgern, Bund, Ländern und Gemeinden/Gemeindeverbänden keine Nachteile erleiden dürfen.
Einem Heimbewohner den assistierten Suizid mit Hilfe Dritter zu untersagen, wird jedoch rechtlich kaum möglich sein, und ob man den eigenen Mitarbeitern unter Verweis auf die ethische oder religiöse Grundorientierung der Einrichtung – Stichwort Tendenzschutz – per Dienstrecht die Mitwirkung am Suizid untersagen darf, ist arbeitsrechtlich ein kritischer Punkt. Was, wenn zu, Beispiel eine Pflegeperson außerhalb ihrer Dienstzeit bereit ist, für eine Heimbewohnerin, zu der ein enges Vertrauensverhältnis besteht, das tödliche Präparat aus der Apotheke zu holen und auch bei seiner Einnahme durch die sterbewillige Person anwesend zu sein? Und was soll geschehen, wenn die Selbsttötung mit Pentobartital oder einem vergleichbarer Präparat nicht in der gewünschten Weise gelingt? Auch wenn Diakonie und Caritas ihre Haltung bekräftigen, der Suizid dürfe kein Normalfall werden, müssen sie rechtlich gangbare Wege finden, der neuen Gesetzeslage Rechnung zu tragen.
Das Bemühen des Gesetzgebers, den assistierten Suizid nicht zum Normalfall werden zu lassen, verdient Respekt. Dennoch: Im Ergebnis wird der assistierte Suizid in Zukunft wohl ein Stück neue Normalität. Auf längere Sicht könnte es sogar zu einem Paradigmenwechsel kommen. Das neue Gesetz behandelt das Recht, zur Selbsttötung die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, als Abwehrrecht – d. h. der Staat darf Sterbewillige nicht daran hindern, sofern die geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Daraus könnte irgendwann aber ein Anspruchsrecht werden. In diesem Fall wäre der Staat zur Hilfeleistung verpflichtet, wenn ein Suizidwilliger in seinem Lebensumfeld keine Personen oder Einrichtungen findet, die im Sinne des Gesetzes zur Mitwirkung bereit sind. Ein solcher Paradigmenwechsel bereitet mir offen gestanden Sorgen.
Menschen, die physisch nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu töten, könnten sich benachteiligt fühlen. Auch von solchen Grenzfällen abgesehen, ist die Forderung nach Legalisierung der Tötung auf Verlangen mit dem neuen Gesetz keineswegs vom Tisch, wie erste Reaktionen etwa vom Verein „Letzte Hilfe – Verein für selbstbestimmtes Sterben“ zeigen. So ist die Sterbehilfedebatte in Österreich mit dem neuen Gesetz ganz gewiss nicht zu Ende.