Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Pflege bedürftiger Menschen einer persönlichen Haltung bedarf, dann wäre das Buch „Komm doch mal in meine Welt“ ein solcher Beweis. Die niederländische Pflegefachfrau Cora van der Kooij ist mit dem mäeutischen Pflegemodell, dessen Vordenkerin sie gewesen ist, zu denjenigen Menschen gegangen, die oftmals in Vergessenheit geraten und wirklich nicht im Fokus der fachlichen Diskurse stehen. Sie ist zu alten Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen gegangen.
Dort hat das Mäeutik-Konzept quasi eine Nagelprobe erlebt. Und: Folgt man den Spuren des Buchs, so haben van der Kooij und das Mäeutik-Konzept die Nagelprobe erfolgreich bestanden. Ein entscheidendes Element des mäeutischen Konzepts ist die Erlebnisorientiertheit. Erlebnisorientiertheit bedeute, „zu versuchen, einen Blick in die Erlebenswelt des anderen zu werfen“ (S. 29). Es seien „Augenblicke echten Kontakts“ (S. 29).
Wer jemals mit Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gearbeitet hat, der ahnt, was in Augenblicken echten Kontakts erreicht worden ist. Dies setzt voraus, dass sich auch die pflegenden Menschen maximal eingebracht haben. So heißt es: „Authentizität bedeutet, dass die Fachkraft von innen heraus reagiert und ganz sie selbst ist“ (S. 38). So geht es in der mäeutischen Betreuung und Pflege auch um die „professionelle Nähe“ statt um die professionelle Distanz, wie es Fachkräfte in Pflege, Betreuung und Pädagogik immer wieder betonen. Es gehe auch darum, persönlich berührt zu sein, um auch immer mehr für die Menschen da zu sein.
In dem Buch geht es vor allem auch um die Transformation des mäeutischen Konzepts für alternde Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in einem speziellen Setting in Oberösterreich. Damit ist der Praktikerin und dem Praktiker auch sofort klar, dass ein Konzept nicht aus dem Elfenbeinturm verkündet wird und auf eine Umsetzung wartet. Immer wieder ist der Geist spürbar, der in Oberösterreich gesät wurde. Es geht um Aspekte wie „Bedürfnisse und Lebensgestaltung“, es geht um die „Erlebenswelt der Angehörigen“ und natürlich auch um „mäeutische methodische Instrumente“.
Vieles erscheint einfach, die Umsetzung bedeutet eine große Leistung. So wird betont, dass die soziale Verankerung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine große Bedeutung hat. Eine Voraussetzung für Lebensqualität sei das Gefühl, sozial verwurzelt zu sein. Es sei auf das Bedürfnis der Zugehörigkeit zurückzuführen sein. Menschen bräuchten soziale Anker, so heißt es.
Die Metaphorik, die immer wieder in dem Buch zu finden ist, gibt der Fachlichkeit eine zusätzliche Überzeugungskraft. Es ist ja nicht so, dass pflegerisches Handeln ausschließlich vernunftgemäß stattfindet. Der Metaphorik bedarf es, um einen ganz persönlichen Zugang zum Handlungsfeld zu finden. Im Zusammenhang mit der „erlebnisorientierten Professionalität“ heißt es mit dem Blick auf die alternden Menschen mit kognitiven Einschränkungen: „Sie suchen ein neues Gleichgewicht zwischen „Anreiz“ und „Unterstützung“ einerseits oder „Prothese“ andererseits“ (S. 149). Begleiter müssten intervenieren, „wenn sie sehen, dass sich ein Bewohner zu seinem Nachteil entwickelt“ (S. 149).
Das Buch „Komm doch mal in meine Welt“ ist ein Gewinn für viele professionell Pflegende. Dafür müssen sie nicht mit alternden Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen arbeiten.
Cora van der Kooij: „Komm doch mal in meine Welt“ – Mäeutische Betreuung und Pflege für alternde Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Hogrefe-Verlag, Bern 2020, ISBN 978-3-456-86012-1, 246 Seiten, 29.95 Euro.