Schwerpunktheft zur kollegialen Nachsorge
Es erstaunt schon, dass psychische und physische Aggressionserfahrungen im beruflichen Kontext im Schatten sind. Als Extrembelastungen sind sie der Tabuisierung näher als der konstruktiven Auseinandersetzung. Mit dem Schwerpunkt „Kollegiale Nachsorge“ sorgt die Zeitschrift „Trauma“ nun dafür, dass der Fokus auf ein vernachlässigtes Thema gelegt wird. Die Psychotherapeuten Thomas Weber und Wolfgang Heiler haben einen Kreis praxisorientierter und erfahrener Kolleg_innen um sich geschart, die sich die Unterstützung betroffener psychosozial Tätiger zur Aufgabe gemacht haben.
Weber und Heiler verstehen die kollegiale Nachsorge bei berufsbedingten Übergriffen als wichtigen Mosaikstein, „um eine spätere Krankheitsentwicklung zu verhindern bzw. zu helfen, die Folgen zumindest abzufedern“ (S. 2). Durch das Prinzip der Augenhöhe solle Betroffenen der Zugang zu einer Hilfestruktur erleichtert werden.
Wenn Pflegende oder Justizangestellte traumatisierende Erfahrungen im beruflichen Kontext gemacht haben, so ist dies nicht bloß eine individuelle Herausforderung. Menschen im sozialen Umfeld sind in gleicher Weise aufgefordert wie die multiprofessionellen Teams, die diese Erlebnisse mittragen müssen. In den Beiträgen des Themen-Schwerpunkts „Kollegiale Nachsorge“ wird deutlich, dass den Autor_innen dies bewusst ist. So bringen Manfred Möllers und Wolfgang Heiler in dem Aufsatz „Kollegiale Nachsorge bei psychischen Extrembelastungen“ eine besondere Schwierigkeit auf den Punkt: „Sowohl die geschädigten MitarbeiterInnen als auch Vorgesetzte und Betriebs-und Heimleitungen finden sich in dem Dilemma, einen Behandlungsauftrag für den / die TäterIn zu haben“ (S. 16).
Dem Schwerpunkt Heft „Kollegiale Nachsorge“ gelingt es, eine andere Perspektive auf berufsbedingte Übergriffe einzunehmen. Während in den unterschiedlichen Hilfe-Kontexten oft die Emotionen die Atmosphäre beherrschen, so herrscht Sachlichkeit bei dem Diskurs im Themen-Heft. Die Beiträge bieten die Möglichkeit, aus einer sicheren Distanz auf entscheidende Fragen zu schauen. Dies hilft unmittelbar Betroffenen bei der individuellen Bearbeitung. Aber auch Führungspersonen können abseits der lebhaften Wogen mit dem nötigen Abstand auf Übergrifferfahrungen und die kollegiale Nachsorge schauen.
Gerd Reimann et al. unterstreichen, wie wichtig die Unterstützung durch Peer-Einsätze nach traumatischen Ereignissen ist. Peers schafften die Basis, „die Verarbeitung von traumatischen Ereignissen erfolgreich zu bewältigen“ (S. 88). Erfahrungen zeigten eine zunehmende Annahme der Peer-Unterstützung, während es beim Aufsuchen psychotherapeutischer oder psychiatrischer Hilfe Hemmschwellen gebe. In der Akutphase seien Peers wichtig, da sie „über Kenntnisse und Erfahrungen des beruflichen Kontextes verfügen und dadurch positive Identifikation sowie Akzeptanz des Hilfeangebotes gefördert werden“ (S.87), unterstreichen Reimann et al.
Das Schwerpunkt-Heft „Kollegiale Nachsorge“ bringt Themen zur Sprache, die unter anderem in Veröffentlichungen zu Aggressionsmanagement und Deeskalationstrainings eher vernachlässigt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Diskussionen über die Übergrifferlebnisse psychosozial Tätiger und deren Bewältigung eine Fortsetzung erleben. Ein unverzichtbarer Beitrag zu einem weiteren konstruktiven Diskurs.
Thomas Weber & Wolfgang Heiler (Hrsg.): Kollegiale Nachsorge, Trauma – Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen (18. Jahrgang, Heft 4), Asanger Verlag, Kröning 2020, 112 Seiten, 19 Euro.
Heft 4-2020 (asanger.de)