Professionell Pflegende stehen immer wieder vor vielen komplexen Aufgaben. Die Gratwanderung zwischen einer kompetenten Lösung anstehender Probleme und einer Überforderung fällt im beruflichen Alltag schwer. Ein Instrument, das den professionell Tätigen helfen kann, ist die kollegiale Beratung. Die Pflege-Dozentin Marion Roddewig sieht in der kollegialen Beratung einen Weg, „Handlungs-und Problemlösekompetenz zu entwickeln und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress zu erhöhen“ (S. 9). Nicht nur dies, kollegiale Beratung könne auch bei der Begleitung von Veränderungsprozessen oder der Bewältigung neuer Aufgaben eine wertvolle Unterstützung sein.
In pflegerischen oder interprofessionellen Teams zu arbeiten bedeutet für viele professionell Tätige schon an sich einen unglaublichen Stress. Verletzlichkeiten Einzelner stehen genauso im Fokus wie das Streben Einzelner, Prozesse oder Situationen zu dominieren. Deshalb macht es Sinn, wie Roddewigs Buch auch zeigt, kollegiale Beratung nicht nur als Methode wertzuschätzen. Aus der humanistischen Psychologie kommend geht es gleichzeitig um gelebte Haltungen. So unterstreicht Roddewig die Wichtigkeit von Akzeptanz, Kongruenz und Empathie.
Beispiel Kongruenz – Roddewig definiert sie als „Einklang der eigenen Emotionen, dem Bewusstsein dieser Emotionen und der daraus resultierenden Kommunikation“ (S. 22). Als sie diesen Begriff der Echtheit in den Diskurs einbringt, geht Roddewig leider nicht in die Tiefe. Sonst könnte deutlich werden, dass gerade in einer kollegialen Beratung dies spürbar werde. Sich in einem solchen Setting eine Maske aufzuziehen, lohnt nicht. Genauso wenig macht es Sinn, nur aus Gründen der Anpassung Kompromisse bei einem Team-Geschehen einzugehen.
Diejenigen professionell Pflegenden, die die kollegiale Beratung in einer Einrichtung einführen wollen, haben mit Roddewigs Grundlagenbuch eine Hilfe. Sehr systematisch arbeitet sie den Implementierungsprozess durch. Als implementierende Verantwortliche oder implementierendes Team kann es wie eine Checkliste genutzt werden.
Dabei lässt Roddewig keine Kreativität vermissen. Die methodischen Zugänge erscheinen praktikabel. So wird bei der Methode „Rollenhut“ die eigene Rolle als Pflegender im Versorgungsbereich klar. Bekanntlich sind Rollen charakteristische Verhaltensweisen, die stark an die jeweilige Situation gebunden sind (S. 122). Im pflegerischen Alltag werden die Rollen unbewusst wahrgenommen. Die Methode „Rollenhut“ versetzt den professionell Pflegenden in die Lage, sich der Rollen bewusst zu werden. So können anschaulich auch Interrollenkonflikte deutlich werden, die im beruflichen Alltag gerne übergangen werden.
Roddewig betont, dass kollegiale Beratung grundsätzlich kein therapeutisches Geschehen sei (S. 25) sowie kein Allheilmittel für jedes Problem oder jede Lebenslage (S. 23). Es ist wichtig, um die Begrenzungen der kollegialen Beratung zu wissen. Denn dann können die Chancen dieser Methode noch signifikanter genutzt werden.
Der Wert des Roddewig-Buchs liegt in der Niederschwelligkeit. Die klare Struktur und die gute Verständlichkeit sind für diejenigen Kolleginnen und Kollegen eine Unterstützung, um die Skepsis und die Verunsicherung der kollegialen Beratung gegenüber für die Umsetzung in den Hintergrund zu drängen.
Marion Roddewig: Kollegiale Beratung für Gesundheitsberufe – Ein Anleitungsprogramm, Mabuse Verlag, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-86321-402-9, 166 Seiten, 29.95 Euro.