In Österreich und in Deutschland finden derzeit berufspolitische Debatten über die Professionalisierung der Pflege statt. Der Pflegeberuf ist durch den Diskurs der Professionalisierung mit Entwicklungen konfrontiert, die eine Neuorientierung des Berufes vorsieht. Die traditionelle Pflege als Hilfsberuf und Semi- Profession, soll der Pflege als autonomer und professioneller Dienstleistungsberuf mit eigenen wissenschaftlichen Konzepten und Grundlagen weichen (Schaeffer, 2011).
Mehrere Autoren weisen darauf hin, dass die Autonomie ein wesentlicher Bestandteil innerhalb der beruflichen Entwicklung der Pflege ist, es jedoch aktuell noch immer zu Einschränkungen der Autonomie von Pflegefachkräften kommt (Cassier-Woidasky, 2013; Yeganeh et al., 2019; Schaeffer, 2011; Papathanassoglou, Karanikola, Kalafati, Giannakopoulou, Lemonidou, Albarran, 2012; Friesacher, 2012).
Ein erheblicher Mangel an Autonomie, kann sich jedoch negativ auf die Entscheidungsfindung auswirken. Dies trifft vor allem auf Intensivstationen zu, die von hoher Komplexität geprägt sind, in denen sich der Patientenzustand unerwartet und schnell ändern kann und daraus folgend für Entscheidungen wenig Zeit bleibt (Yeganeh et al. 2019).
In diesem Kontext weist Bucknall (2000) darauf hin, dass Pflegekräfte auf Intensivstationen alle 30 Sekunden eine Entscheidung über die Versorgung von Patienten treffen. Betrachtet man die Reichweite der Entscheidungen, so übernehmen Pflegefachkräfte auf Intensivstationen teilweise eigenverantwortlich Tätigkeiten, ohne vorherige Rücksprache mit dem ärztlichen Personal. Dies betrifft das selbständige entscheiden, ob und wann ein Blasenverweilkatheter gelegt werden sollte, eigenständige Laboruntersuchungen, die selbständige Regulierung von Insulingaben und die kurzzeitige Adaption von Katecholaminen oder der Sedierung (Isfort, Weidner & Gehlen, 2012).
Ziel
Der Fokus der Literaturarbeit liegt bei der Entscheidungsfindung von Intensivpflegekräften. Es soll geklärt werden, welche Bedeutung der klinische Entscheidungsprozess von Pflegekräften auf Intensivstationen hat. Damit einhergehend soll in diesem Kontext dargestellt werden, welche Faktoren den Entscheidungsprozess beeinflussen, insbesondere soll die Berufserfahrung und der Ausbildungsgrad von Intensivpflegekräften näher beleuchtet werden.
Fragestellung
Aus den genannten Ausführungen werden folgende Forschungsfragen abgeleitet:
- Welche Bedeutung hat der klinische Entscheidungsprozess von Pflegepersonen auf Intensivstation?
- Welche Faktoren beeinflussen den klinischen Entscheidungsprozess von Intensivpflegepersonen?
- Welche Rolle spielen der Ausbildungsgrad und die Berufserfahrung im Kontext der Entscheidungsfindung?
Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eine systematische Literaturrecherche gewählt. Zu Beginn wurde eine orientierende Literaturrecherche durchgeführt. Im Anschluss erfolgte die systematische Literaturrecherche, welche sich von Juni 2019 bis August 2019 erstreckte. Es wurden Ein- und Ausschlusskriterien (Tabelle 2) und Suchbegriffe (Tabelle 1) definiert. Dabei wurde in den Datenbanken CINAHL, PubMed und LIVIVO gesucht.
Nach Beenden der Literaturrecherche wurden insgesamt neun relevante Studien eingeschlossen (Tabelle 3). Anschließend erfolgte eine kritische Bewertung der Publikationen, wobei Studien mit qualitativen Design nach Empfehlungen von Behrens & Langer (2010) und schließlich mittels Gütekriterien nach Strübing, Hirschauer, Ayaß, Krähnke und Scheffer (2019) bewertet wurden. Quantitative Studien wurden hingegen mittels der Bewertungsmatrix nach Law et al. (1998) beurteilt.
Theoretischer Rahmen
In der Literatur gibt eine Vielzahl an Definition zur Entscheidungsfindung und zum Entscheidungsprozess (Ritter & Witte, 2019). Grundvoraussetzung ist jedoch die Wahlmöglichkeit zwischen zwei oder mehreren Alternativen (Huczynski & Buchanan, 2013; Schrems, 2016). Besteht nicht die Möglichkeit zwischen Alternativen auszuwählen, so benötigt es auch keiner Entscheidung (Schrems, 2016).
So vielfältig die Definitionen für den Entscheidungsprozess sind, so unterschiedlich sind die theoretischen Perspektiven. Nach Huczynski & Buchanan (2013) basiert der traditionelle Ansatz zum Verständnis individueller Entscheidungsfindung auf der klassischen Entscheidungstheorie und dem rationalen Modell der Entscheidungsfindung.
Das rationale Modell der Entscheidungsfindung
Die klassische Entscheidungstheorie stammte Ursprünglich aus der Volkswirtschaft und geht davon aus, dass Menschen, die Entscheidungen treffen, objektiv sind, über vollständige Informationen verfügen und alle möglichen Alternativen und Konsequenzen kennen und diese berücksichtigen, bevor sie die optimale Entscheidung treffen (Huczynski & Buchanan, 2013).
Das rationale Modell der Entscheidungsfindung beruht auf einer rationalen Denkweise und zeigt auf, wie Entscheidungen getroffen werden sollten. Die Rationalität wird mit wissenschaftlichem Denken und dem Positivismus in Verbindung gebracht. Weiters werden Entscheidungskriterien für das Darlegen von Beweisen verwendet und mit logischen Argumenten und Argumentationen gleichgesetzt. Eines der Merkmale rationaler Entscheidungsträger ist, dass Probleme gänzlich definiert werden und eine Vielzahl an alternativen Vorgehensweisen gesucht werden. Alternativen werden gleichzeitig bewertet, dabei wird die Alternative, die am erfolgversprechendsten ist, ausgewählt und implementiert (Huczynski & Buchanan, 2013).
Das Treffen von Entscheidungen findet jedoch häufig unter ungünstigen Bedingungen statt. Einerseits können fehlende Zeitressourcen, unzureichende Informationen oder limitierte kognitive Fähigkeiten des Entscheidungsträgers nicht zur „besten“ Alternative der Entscheidung verhelfen (Huczynski & Buchanan, 2013).
Im Kontext der Pflege wird die Entscheidungsfindung als komplexer Prozess beschrieben. Wissen und Erfahrung werden, neben objektive und subjektive Daten eingesetzt, um eine effektive Entscheidung zu treffen. Die Erfahrung und die Fähigkeit der Pflegekraft, schnell verändernden Situationen zu bewältigen, werden als wesentliche Kriterien für die Qualität der Entscheidung gesehen (Schrems, 2016).
Die gegenwärtige Forschung von Psychologen hat gezeigt, dass Entscheidungen auch auf Grundlage von heuristischen Modellen und damit einhergehend mittels impliziten Wissens getroffen werden (Huczynski & Buchanan, 2013).
Deskriptive Modelle
Modelle, die beeinflussende Faktoren auf die Entscheidungsfindung berücksichtigen und damit einhergehend die Individualität der Person miteinbeziehen, werden als deskriptiven bzw. erklärenden Modelle bezeichnet (Huczynski & Buchanan, 2013).
Diese Modelle haben zum Ziel, darzustellen, wie Individuen tatsächlich Entscheidungen treffen. Hierbei ist man sich bewusst, dass Entscheidungen von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Beispiele dafür wären die Persönlichkeit des Einzelnen, die Beziehung zur Gruppe, das Machtverhältnis in Organisationen, der Druck des äußeren Umfeldes, strategische Überlegungen der Organisation oder die Verfügbarkeit von Informationen. Das Ziel dieses Modells ist zu untersuchen, welche Faktoren am relevantesten sind und wie sie zueinander in Beziehung stehen (Huczynski & Buchanan, 2013).
Nach Huczynski & Buchanan (2013) stützen sich Personen, die Entscheidungen treffen auf „judgement shorcuts“ (Huczynski & Buchanan, 2013, 697), sogenannte Beurteilungskurzbefehle oder Heuristiken, um den Entscheidungsprozess zu beschleunigen (Huczynski & Buchanan, 2013).
Heuristiken im Entscheidungsprozess
Das Wort Heuristik geht auf das griechische Wort „eurisco“ zurück und bedeutete „ich denke“. Modelle, die sich auf Heuristik stützen entfernen sich wieder einen Schritt weiter weg vom rationalen Modell. Heuristische Entscheidungen werden zwar schneller und einfacher getroffen, jedoch ist der Entscheidungsträger selbst Vorurteilen ausgesetzt, die sich der menschlichen Intuition annähern. Verzerrungen bei dieser Art der Entscheidungsfindung können beispielsweise das Suchen nach Informationen sein, die das vorgefasste Überzeugen stützen oder leicht verfügbar sind, oder das Glauben an bestimmte Ergebnisse, weil andere dasselbe glauben. Darüber hinaus ist das Stützen von Urteilen auf Basis vertrauter Situationen eine weitere Verzerrung dieser Art der Entscheidungsfindung (Huczynski & Buchanan, 2013).
Im Kontext der Pflege sind vertraute Situationen aus der Vergangenheit bedeutsam, da Pflegepersonen auf Grund dieser Erfahrungen die Relevanz von Informationen beurteilen können (Ritter & Witte, 2019).
Erfahrungsbegriff
Nach Ritter & Witte (2019) stützen sich Heuristiken häufig auf Erfahrungen, charakteristische Merkmale von Patienten und dem Kontext, in dem Interaktionen stattfinden. Benner (2012) bezieht sich auf Heidegger (1962) und Gadamer (1975), die Erfahrung definieren als „Verfeinerung vorgefasster Vorstellungen, die durch die Realität nicht bestätigt werden“ (Benner, 2012, S. 51). Um eine Situation wahrzunehmen, ist die Einstellung von Personen, sowie dessen Vorwissen höchst relevant. Wobei das Vorwissen in der Pflegepraxis häufig auf Theorien, Gesetzmäßigkeiten und auf vorhergehende Erfahrungen beruht (Benner et al. 2012). So werden nach Benner et al. (2012) nur Geschehen, die das Vorwissen von Personen verfeinern, erweitern oder vertiefen, dem Erfahrungsbegriff gerecht.
Wenn Pflegende Erfahrungen sammeln, entwickeln sie dabei klinisches Wissen (Benner et al. 2012). Dieses klinische Wissen ist nach Benner et al. (2012) eine „Mischung aus naiven Praxiswissen und theoretischem Basiswissen“ (Benner et al., 2012, S. 51).
Kritisches Denken
Ein weiterer Aspekt, der im Kontext des Entscheidungsprozesses in der Literatur diskutiert wird, ist das Kritische Denken. So weisen mehrere Autoren darauf hin, dass beim Treffen von Entscheidungen komplexer Tätigkeiten, das kritische Denken eine zentrale Rolle einnimmt (Miller & Babcock, 2000; Shoulders, Follett & Eason, 2014, Ludin, 2018). Auf Grund der Komplexität der Patientenversorgung im Bereich der Intensivpflege, müssen Pflegekräfte in der Lage sein, Veränderungen des Patientenzustandes frühzeitig zu erkennen und dementsprechend zu handeln (Shoulders et al. 2014).
Innerhalb der Literatur existieren unzählige Definitionen zum kritischen Denken (Shoulders et al. 2014; Miller & Babcock, 2000). Nach Chaffee (1994) ist kritisches Denken „ein aktiver, zielgerichteter und strukturierter kognitiver Prozess, der dazu dient, das eigene Denken und das der anderen sorgfältig zu untersuchen und so zur Klärung und Verbesserung der Verständigung beizutragen“ (Chaffee 1994, zitiert nach Miller & Bebcock, 2000, S.32).
Zentrale Aspekte des kritischen Denkens sind dabei die Informationssammlung, die Interpretation, das Analysieren und Evaluieren der gesammelten Informationen, um schließlich unter Anwendung theoretischer Grundlagen, Problemlösungen zu generieren. Kritisches Denken wird demnach als Werkzeug beschrieben, dass das eigene Denken reflektiert und schließlich zur Beurteilung des Denkens beiträgt. Individuelle Verzerrungen oder Fehler können nach Schrems (2016) demnach frühzeitig erkannt werden (Schrems, 2016).
Ergebnisse
Der Prozess der klinischen Entscheidungsfindung im Rahmen intensivpflegerischen Handelns wird innerhalb der gesichteten Literatur als mehrdimensionaler Prozess beschrieben, der durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird (Papathanassoglou, et al. 2012, Aitken et al. 2009, Brinsvor et al, 2014, Ludin, 2018; Gerber et al. 2015). Es konnten mehrere Faktoren identifiziert werden, die Einfluss auf die Entscheidungsfindung von Intensivpflegekräfte hatten. Hierbei ist anzumerken, dass die Faktoren nicht isoliert betrachtet werden können. Vielmehr stehen sie untereinander in Verbindung, wobei manche Faktoren stärker in Wechselwirkung zueinanderstehen und andere eine weniger starke Bindung zeigen, wie in Abbildung 1 ersichtlich wird.
Erkennen ähnlicher Situationen und Intuition
Das Erkennen ähnlicher Situationen wurde als eine Entscheidungsstrategie genannt. Dabei griffen Intensivpflegekräfte auf bereits vergangene, bewusst erlebte Erfahrungen zurück und verglichen diese mit dem aktuellen Problem. Die Vorgehensweise der Intuition wurde als ein sicheres Gefühl beschrieben, das den Intensivpflegefachkräften plötzlich präsent, jedoch nicht in Worte zu fassen war. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass sowohl die Intuition, als auch das Erkennen ähnlicher Situationen, auf Grundlage von Erfahrung beruhte (Gerber et al. 2015; Ramezani-Bradr et al. 2009; Miller & Hill, 2018).
Die Intuition wurde vornehmlich verwendet, wenn Pflegefachkräfte vor komplexen und schwierigen Situationen standen oder nur unzureichende Informationen über Patienten vorlagen (Ramezani-Bradr et al. 2009). Miller & Hill (2018) zeigten auf, dass ein schwacher, positiver, jedoch signifikanter Zusammenhang zwischen der Berufserfahrung und der Verwendung der Intuition bestand. Folglich fand mit zunehmender Berufserfahrung, auch die Intuition im pflegerischen Handeln vermehrt Anwendung (Miller&Hill, 2018).
Hypothesentestung
Das Testen von Hypothesen wurde in mehreren Studien beobachtet (Gerber et al.2015, Aitken et al. 2009; Ramezani-Bradr et al. 2009). Dabei wurde diese vornehmlich durchgeführt, wenn mehrere Optionen zur Auswahl standen, bzw. lösten mehrdeutige Situationen das Generieren von Hypothesen aus (Ramezani-Bradr et al. 2009; Gerber, 2015). So erkannten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Probleme ihrer Patienten und Patientinnen, anhand der Symptome und Anzeichen. Dieser Prozess wird als Hypothesengenerierung bezeichnet. Um schließlich das Hauptproblem zu identifizieren und folglich geeignete Maßnahmen zu treffen, wurden durch weitere Informationssammlung (Gerber et al. 2015; Ramezani-Bradr, 2009) oder/und durch das Prüfen der Reaktionen des Patienten, auf zuvor durchgeführte Interventionen, Hypothesen, die nicht zutreffen, ausgeschlossen (Ramezani-Badr et al. 2009). Das Testen von Hypothesen durch die Implementierung einer Intervention wurde von den Teilnehmern als sehr risikoreich eingestuft, sodass diese vor der Intervention das Risiko berücksichtigten und im Falle eines hohen Risikos, Interventionen nicht durchführten (Ramezani-Bradr et al. 2009).
Der Prozess der Hypothesengenerierung wurde jedoch auch noch von weiteren Kriterien beeinflusst. Die Abschätzung des Nutzens oder Risikos für den Patienten und die organisatorische Notwendigkeit waren nach Ramezani- Bradr et al. (2009) die wichtigsten Kriterien für Intensivpflegekräfte, ob eine Entscheidung getroffen wurde oder nicht. Die organisatorische Notwendigkeit beschrieb den Vorgang des Abschätzens, ob eine notwendige Maßnahme und Intervention dem Tätigkeitsbereich der Intensivpflege entsprach (Ramezani- Bradr et al. 2009). Entscheidungen, die auf Basis dem Kriterium „Nutzen-Risiko“ getroffen wurden, waren meist außerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Intensivpflegekräfte angesiedelt. Eine Fehlentscheidung hätte in diesem Kontext eine massive Gefährdung des Patienten und damit einhergehend eine mögliche strafrechtliche Verfolgung des handelnden Personals zur Folge gehabt (Ramezani- Bradr et al. 2009). Weiters assoziierte die Auswahl von mehreren Möglichkeiten, sowie das Sammeln von Informationen mit dem kritischen Denken (Ludin, 2018).
Die aus den Studien identifizierten, beeinflussenden Faktoren waren die Berufserfahrung, Zusammenarbeit unter Berücksichtigung organisatorischer Aspekte, Kritisches Denken, Patientenzustand und schließlich Forschungsberichte als Entscheidungskriterium.
Berufserfahrung
Ein relevanter Faktor, welcher sich auf die Entscheidungsfindung von Pflegekräfte auf Intensivstation auswirkte war die Berufserfahrung (Gerber et al. 2015; Ramezani- Bradr et al. 2009; Brinsvor et al. 2014; Miller & Hill, 2018; Ludin, 2018). In Anbetracht der Relevanz von beruflicher Erfahrung ist festzuhalten, dass theoretisches Wissen und berufliche Erfahrung in ihrer Bedeutsamkeit gleichgestellt waren, oder aber, Wissen, welches auf praktisches Handeln und Erfahrung beruhte, eine führende Rolle einnahm (Brinsvor et al. 2014). Unabhängig davon, von welchem Krankenhaus die Teilnehmer stammten, wurde die berufliche Erfahrung als ein wesentlicher Bestandteil der Wissensquelle von Intensivpflegekräfte genannt (Bringsvor et al. 2014, Ramezani- Bradr et al. 2009, Miller& Hill, 2018).
Einige Teilnehmer von Bringsvor et al. (2014) betrachteten ihr Erfahrungswissen als individuelles, persönliches und kontextspezifisches Wissen, welches aus einem bestimmten Kontext heraus entstand, mit einer bestimmten Patientengruppe verbunden war und als klinischer Blick und als implizites Wissen beschrieben wurde (Bringsvor et al. 2014).
Zusammenarbeit unter Berücksichtigung organisatorischer Aspekte
Mehrere Autoren wiesen darauf hin, dass Kollegen und Kolleginnen eine wichtige Wissensquelle im Entscheidungsprozess darstellen (Bringsvor et al. 2014; Ramezani- Bradr et al. 2009; Gerber et al. 2015). Darunter zählten Fachkollegen und Fachkolleginnen aus der Pflege genauso wie ärztliches Personal. Ärztliches Personal und Kollegen und Kolleginnen aus dem Pflegebereich wurden hauptsächlich bei komplexen und schwierigen Situationen konsultiert, wobei anzumerken ist, dass diese stark von organisatorischen Aspekten geprägt war (Bringsvor et al. 2014; Ramezani-Bradr et al. 2009).
Der Entscheidungsprozess von Intensivpflegekräften wurde durch gesetzliche Bestimmungen und Richtlinien eingegrenzt (Bringsvor et al. 2014; Ramezani-Bradr et al. 2009), sodass Pflegekräfte nur dann Maßnahmen ergreifen würden, wenn diese mit ihrem Tätigkeitsbereich konform gingen (Nutzen/Risiko;Organisatorische Notwendigkeit), da sie sonst vom ärztlichen Personal gerügt oder strafrechtlich verfolgt werden konnten. Dieser Umstand verhärtete sich, wenn zwischen ärztliches Personal und Pflegekräfte eine autoritäre Beziehung herrschte (Ramezani-Bradr et al. 2009).
Papathanassoglou et al (2012) zeigten auf, dass zwischen der beruflichen Autonomie und der Zusammenarbeit zwischen ärztlichen Personal und Intensivpflegekräfte ein mittlerer positiver, jedoch höchst signifikanter Zusammenhang bestand und dass moralische Belastungswerte mit der Zusammenarbeit negativ und höchst signifikant assoziierten (Papathanassoglou et al. 2012). Demzufolge verbesserte sich mit der beruflichen Autonomie, auch die Zusammenarbeit zwischen ärztliches Personal und Intensivpflegekräfte und folglich reduzierte sich die moralischen Belastungswerte der Intensivpflegekräfte.
Zusammenfassend wird festgehalten, dass weniger die Rolle der Intensivpflegeperson die Art und Weise der Beziehung zwischen ärztliches Personal und Pflegepersonal bestimmt. Vielmehr sind es Attribute des Pflegepersonals, die den Inhalt der Beziehung zwischen den Professionen und damit einhergehend den Entscheidungsspielraum handelnder Pflegekräfte bestimmen (Ramezani-Bradr et al. 2009; Bringsvor et al. 2014).
Kritisches Denken
Ludin (2018) beschäftigte sich in ihrer Studie mit der Frage, wie sich das kritische Denken von Intensivpflegekräfte auf die Entscheidungsfindung auswirkt. Ludin (2018) kam in ihrer Studie zum Ergebnis, dass zwischen den kritischen Denkvermögen und der klinischen Entscheidungsfindung, ein starker positiver und höchst signifikanter Zusammenhang besteht (r= 0,637; p=0,001) (Ludin, 2018).
In Bezug auf das Bildungsniveau der Teilnehmer aus den Arbeiten von Yurdanur (2016) und Ludin (2018) geht hervor, dass das Bildungsniveau das kritische Denken beeinflusste. So erreichten Teilnehmer mit Absolvierung einer Intensivausbildung eine höhere Punkteanzahl, unter Verwendung des Messinstruments California Critical Thinking Disposition Inventory (CCTDI)- türkische Version, als Teilnehmer ohne Spezialausbildung (Yurdanur, 2016).
Patientenzustand
Pflegefachkräfte orientierten sich in erster Linie an den physiologischen Status des Patenten, insbesondere auf hämodynamische und neurologische Veränderungen. Die Veränderung der Hämodynamik und des neurologischen Status wurden verwendet, um zu beurteilen, ob die Ursache für die Veränderung, Schmerzen oder andere Umstände waren. Obwohl ein Instrument zur Beurteilung von Schmerzen bei Patienten vorlag, orientierten sich teilnehmende Intensivpflegefachkräfte an physiologische Parameter und weniger an Schmerzskalen (Gerber et al. 2015).
Forschungsberichte als Entscheidungskriterium
In zwei der 9 gesichteten Studien aus der systematischen Literaturrecherche gaben Teilnehmer an, dass ergänzende Informationsquellen zur Entscheidungsfindung hinzugezogen wurden (Bringsvor et al. 2014; Ramezani-Bradr et al. 2009). Die Teilnehmer gaben an, dass sie am häufigsten auf wissenschaftliche Literatur zurückgriffen (Bringsvor et al. 2014; RamezaniBradr et al. 2009), wobei Interventionen, die auf Forschung basierten, höher priorisiert wurden (Bringsvor et al. 2014). Auf Forschung basiertes Wissen wurde jedoch auch in Frage gestellt. So äußerten die Teilnehmer in der Studie von Bringsvor et al. (2014), dass nicht alles aus der Forschung automatisch übernommen werden sollte und es einer Überprüfung der Gültigkeit der Forschungsmethoden und ihren Anwendungsbereichen bedarf. Zusammenfassend konstatierten die Teilnehmer, dass forschungsbasiertes Wissen heute wichtiger ist als vor 10 Jahre. Forschungsbefunde wurden demnach hauptsächlich in der Freizeit gelesen, da am Arbeitsplatz Zeitressourcen fehlten (Bringsvor et al. 2014).
Assoziation des Ausbildungslevels und der Berufserfahrung im klinischen Entscheidungsprozess
Die Ergebnisse aus den Studien der systematischen Literaturrecherche zeigten, dass das Bildungsniveau das kritische Denken der Teilnehmer beeinflusst (Ludin, 2018; Yurdanur, 2016). Darüber hinaus konnte ein schwach positiver, jedoch signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsniveau und dem Wissen von Intensivpflegekräfte identifiziert werden (r=0,225; P=0,004). Ein direkter Einfluss des Bildungsniveaus auf die klinische Entscheidungsfindung konnte jedoch nicht bestätigt werden (Ludin, 2018).
Papathanassoglou et al. (2012) zeigte auf, dass die Berufserfahrung mit dem Wissen (r=0,168; p=0,04) und der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (r=0,164; p=0,04) schwach positiv, jedoch signifikanter assoziierte. Weiters wuchs mit zunehmender Berufserfahrung, auch die Selbsteinschätzung des Kompetenzlevels von Intensivpflegekräfte (=0.562, p =0.001) (Miller & Hill, 2018).
In Bezug auf das Treffen von Entscheidungen, wurde die Berufserfahrung von mehreren Autoren als ein bedeutsamer Faktor identifiziert (Bringsvor et al. 2014, Ramezani- Bradr et al. 2009, Miller& Hill, 2018; Gerber et al. 2015). Schließlich kam Ludin (2018) in ihrer Studie zum Ergebnis, dass die Berufserfahrung der Probanden einen signifikanten Einfluss auf die klinische Entscheidungsfindung von Intensivpflegekräfte hatte (Ludin, 2018).
Bedeutung der klinischen Entscheidungsfindung von Intensivpflegekräfte
Die Bedeutsamkeit der klinischen Entscheidungsfindung von Pflegekräfte auf Intensivstation wird durch die Studien von Yeganeh et al. (2019) und Papathanassoglou et al. (2012) hervorgehoben. Die Betrachtungsweise des Entscheidungsprozesses baut dabei auf dem Recht auf, bei Entscheidungen bezüglich der Patientenversorgung teilzunehmen, sowie die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und selbst verantwortlich zu sein für die Entwicklung der Wissensbasis (Papathanassoglou et al. 2012).
Die Wissensbasis assoziierte positiv und signifikant mit der Zusammenarbeit und mit der Arbeitszufriedenheit (Papathanassoglou et al. 2012). Demnach verbesserte sich mit dem Zuwachs an Wissen bei Pflegekräften, auch die Zusammenarbeit und die Arbeitszufriedenheit. Papathanassoglou et al. (2012) kamen zum Ergebnis, dass ein starker bis sehr starken und höchst signifikanten Zusammenhang zwischen der Wissensbasis und der Wertebasis und der Wissensbasis mit der Aktionsbasis bestand. Daraus lässt sich schließen, dass mit der Zunahme an Wissen, die Entwicklung und Ausbildung von Werten innerhalb des Arbeitsprozesses stieg und bei wachsendem Wissen sich auch die Unabhängigkeit bei pflegerischen Handlungen verbesserte. Weiters wurde eine starke positive und signifikante Beziehung zwischen der Aktionsbasis und der Wertebasis dargestellt (Papathanassoglou et al. 2012). Demzufolge handelten Probanden, je unabhängiger sie in ihrer Handlungsbasis waren, vermehrt nach ihren eigenen Wertvorstellungen.
Zusammenfassung
Der klinische Entscheidungsprozess von Pflegekräften auf Intensivstation wurde maßgeblich durch die Berufserfahrung, der Zusammenarbeit unter Berücksichtigung organisatorischer Aspekte, durch kritisches Denken, durch den Patientenzustand und durch Forschungsberichte beeinflusst. Darüber hinaus konnten das Erkennen ähnlicher Situationen, das Testen von Hypothesen und die Intuition als Entscheidungsstrategien identifiziert werden. Der Entscheidungsprozess wurde signifikant von der Berufserfahrung beeinflusst. Ein direkter Einfluss des Ausbildungsgrades auf die Entscheidungsfindung konnte nicht bestätigt werden. Die Basis für die Bedeutung des klinischen Entscheidungsprozesses beruht auf dem Recht, bei Entscheidungen, bezüglich der Patientenversorgung, teilzunehmen, sowie in der Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln und Eigenverantwortung für die Entwicklung der Wissensbasis zu übernehmen. Mit Zunahme des Wissens, stieg die Unabhängigkeit im Rahmen pflegerischen Handelns und die Ausbildung von Werten. Mit einer Ausweitung pflegerischer Unabhängigkeit nahm das Handeln nach eigenen Wertvorstellungen zu. Darüber hinaus konnte aus den Ergebnissen ein positiver, höchst signifikanter Zusammenhang zwischen der Wissensbasis und der Zusammenarbeit, sowie der Wissensbasis und der Arbeitszufriedenheit bestätigt werden.
Limitationen
Die Ergebnisse der hier vorliegenden Bachelorarbeit unterliegen einiger Limitationen. Zum einen wurden nur Publikationen in englischer und deutscher Sprache ausgewählt. Möglicherweise hätten Publikationen in andere Sprache, zu anderen Ergebnissen geführt. Zum anderen wurde die systematischen Literaturrecherche in nur drei Datenbanken durchgeführt. Es ist nicht auszuschließen, dass durch die Verwendung mehrerer Datenbanken, möglicherweise auch mehr Ergebnisse generiert werden hätten können. Schließlich ist die Qualität der quantitativen Studien anzuführen. Eine Randomisierung blieb bei allen quantitativen Studien aus, darüber hinaus wurden, obwohl zum Teil Poweranalysen durchgeführt wurden, nur kleine Stichprobengrößen verwendet. Hier besteht möglicherweise eine Beeinträchtigung der Ergebnisse.
Schlussfolgerung
Obwohl in der hier vorliegenden Arbeit kein direkter Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und der Entscheidungsfindung bestätigt werden konnte, ist es aus der Sicht der Autorin essentiell, den Pfad der Wissensbasis zu stärken. Die Entwicklung der Autonomie pflegerischer Handlungen würde dabei unterstützt und folglich das Handeln der Pflege, ausgerichtet nach ihren Wertvorstellungen, gefördert werden. In diesem Kontext ist es in Zukunft auf berufspolitischer Ebene, als auch auf organisatorischer und individueller Ebene unabdingbar, sowohl die Akademisierung des Pflegeberufs, als auch die Spezialausbildung in der Intensivpflege weiter zu forcieren.
Durch die Neupositionierung der Pflege können unweigerlich Unruhen und Machtprozesse zwischen unterschiedlichen Gesundheitsprofessionen entstehen, da Professionsgrenzen und deren Zuständigkeit ungewollt oder gewollt in Frage gestellt werden (Schaeffer, 2011). Daraus folgend wird festgehalten, dass in Zukunft die Zusammenarbeit ein bedeutsamer Faktor ist, wenn es um die Autonomie und der klinischen Entscheidungsfindung im Rahmen intensivpflegerischen Handelns geht.
Um ein tieferes Verständnis zu bekommen, wie Pflegekräfte auf Intensivstationen Entscheidungen treffen bedarf es weiterer Forschung. Vor allem besteht Forschungsbedarf zur klinischen Entscheidungsfindung von Intensivpflegekräfte in einem natürlichen Setting. Darüber hinaus ist weiterer Forschungsbedarf vorhanden, wenn es um den Einfluss der Zusammenarbeit auf die Entscheidungsfindung geht. Dazu sind vor allem Untersuchungen mit interpretativem Ansatz erforderlich, um tiefgreifende Bedeutungen und Beziehungen abzubilden.
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