Wenn ich in der Frühe aufstehe, ist sie eine Selbstverständlichkeit. Schließlich führt der erste Gang des Tages zum Wasserkocher und zur Kaffeemühle in die Küche. Die Kaffeetasse steht für den Aufbruch in den Tag. Sie steht auch für Gemütlichkeit, Gemeinschaftlichkeit und Momente des Innehaltens in den Strömen des Alltags. Manche Menschen gehen so weit, dass sie einen Tag, der nicht mit einer Kaffeetasse und einem entsprechenden schmackhaften Kaffee beginnt, für vertan halten.
Natürlich spielen der Kaffee und die Kaffeetassen auch in pflegerischen Versorgungsfeldern eine große Rolle. Manchmal geht es einfach nur darum, wann Menschen, die gepflegt und begleitet werden, eigentlich die erste Tasse am Tag trinken dürfen. Damit alles seine Ordnung hat, bekommen viele seelisch erkrankte Menschen in psychiatrischen Einrichtungen beispielsweise erst um 8:00 Uhr mit dem Frühstück die erste Tasse. Wehe dem, der (aus welchen Gründen auch immer) bereits um 5:00 Uhr aus den Federn steigt, und herausforderndes Verhalten zeigt, weil er es seit Jahrzehnten gewohnt ist, eine Tasse zu trinken, sobald die Augen auf sind.
Wer dem Ende des Nachtdienstes entgegenfiebert, der kocht den Kolleginnen und Kollegen Kaffee. Dabei geht es meist nicht um den Wohlgeschmack des morgendlichen Kaffees. Ziel ist es, das warme Getränk zu sich nehmen zu können. Unter Beschäftigten hat das Trinken von Kaffee oft eher einen Suchtcharakter. Es scheint nicht zu interessieren, welche Bohne aufgegossen wird. Genauso wenig scheint von Belang zu sein, wie der Kaffee zubereitet wird. Ein Kaffee-Pad scheint genauso seinen Zweck zu erfüllen wie eine Billig-Bohne aus dem nahegelegenen Supermarkt.
Haben Sie einmal erlebt, wie angenehm es sein kann, nach einigen Tagen Nahrungskarenz aufgrund einer Operation wieder einmal einen Kaffee trinken zu können? Erinnern Sie sich, wie aufbauend der vermisste Genuss für den weiteren Genesungsweg gewesen zu scheint? Von einer Kaffeetasse, von einem wohlschmeckenden Kaffee scheint eine Magie auszugehen. Dies passt nicht dazu, dass das Trinken eines Kaffees einfach nicht mehr kultiviert wird. Das schnelle Trinken steht einem gediegenen Genießen entgegen.
In den pflegerischen Handlungsfeldern sprechen wir viel über unspezifische Wirkfaktoren der Arbeit auf dem Genesungsweg bei Krankheit und Gebrechlichkeit. Niemand würde widersprechen, dass das Gespräch zwischen Pflegenden und hilfsbedürftigen Menschen einen entscheidenden Beitrag leistet, dass Menschen sich gut fühlen. Gegenwärtig ist jeder pflegerische Versorgungskontext auf Effizienz angelegt. Da erscheint diejenige Pflegende, die sich einmal mit einer Kaffeetasse an den Bettrand setzt, als Faulpelz oder Romantikerin. Dies passt nicht in die pflegerische Gegenwart.
Die Corona-Pandemie ist nun auch dafür verantwortlich, dass die Kaffeetasse eher im Regal als auf dem Tisch steht. Die Hygiene-Vorschriften in Heimen und Kliniken verhindern es flächendeckend, dass Menschen miteinander an einem Tisch essen können. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die Patientinnen und Patienten werden angehalten, auf den Zimmern zu essen und zu trinken. Menschlichkeit wird zurückgedrängt, Hygiene rückt in den Vordergrund. So kommt es auch nicht dazu, dass sich Pflegende mit helfensbedürftigen Menschen an den Tisch setzen, das alltägliche Gespräch suchen und eigentlich das Pathologische vernachlässigen, um die Menschen an und für sich kennenzulernen.
Die Kaffeetasse ist und bleibt für mich am Morgen eine Selbstverständlichkeit. Dass sie in der Gesundheits- und Pflegeversorgung ein Auf und Ab erlebt, sollte nachdenklich machen. Sie ist halt doch mehr als ein Gefäß für ein Getränk. Sie steht irgendwie für die Menschlichkeit in einem launischen System.