Jahrhundertchance Pflegeberufereformgesetz

11. Juli 2016 | Demenz, Politik | 0 Kommentare

Deutschland steht vor einer wegweisenden Neuausrichtung der Ausbildung der Pflegeberufe. Aktuell berät der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG). In der gemeinsamen Anhörung des Familien- und Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags überwogen die positiven Aspekte.

Dem Gesetzentwurf für eine generalistische Pflegeausbildung mit Schwerpunktsetzung geht eine fast zehn Jahre lange ausführliche Diskussion voraus, bei der zahlreiche Argumente des Für und Wider eines solchen Schritts abgeklopft wurden. Vor diesem Hintergrund ist die Kritik am Gesetzentwurf schwer nachvollziehbar.

Ein solches Handeln ist zudem im hohen Maße fahrlässig. Damit würde das Aus für eine neue, moderne Form der Pflegeausbildung riskiert, die wir angesichts der demografischen Entwicklungen und der damit einhergehenden Herausforderungen an den Pflegeberuf mehr denn je benötigen. Im Übrigen steht im Rahmen des weiteren Verfahrens noch genügend Zeit zur Verfügung, um sich über wichtige Fragen sachlich auszutauschen.

Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem Reformvorhaben um die einzige Zusage handelt, die die Koalitionsparteien in dieser Wahlperiode an die Profession Pflege gegeben hat. Es gibt keine sinnvolle Alternative zur generalistischen Ausbildung.

Deutscher Pflegerat sagt „Ja“ zur generalistischen Ausbildung

Der Deutsche Pflegerat steht zu seiner Forderung nach einer generalistischen Ausbildung mit Schwerpunktsetzung. Diese muss den hohen Anforderungen an den pflegerischen Beruf gerecht werden. Dabei gilt die Generalistik für die Profession Pflege. Verwundert ist man daher schon, dass sich auch andere Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen, wie zum Beispiel auf der Ärzteseite, in die Diskussion einmischen und dem Pflegeberufereformgesetz kritisch gegenüberstehen. Andersherum würde dies wohl zu einem Sturm der Entrüstung führen. Diese Fremdbestimmung über die professionell Pflegenden muss ein Ende haben.

In der generalistischen Pflegeausbildung mit der Zusammenführung der drei Pflegefachberufe „Altenpflege“, „Gesundheits- und Krankenpflege“ und „Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ sehen wir einen Meilenstein, mit dessen Hilfe die berufliche Entwicklung der Pflegeberufe in Deutschland sowie das Selbstverständnis der professionell Pflegenden gefördert wird. Beides sind Positionen, die seit langem aus der Pflege selbst kommen. Insbesondere das Letztere wird in der Diskussion häufig übersehen.

Wir brauchen eine zukunftsfeste Reform

Angesichts der Herausforderungen, die an die Pflege gestellt werden, können wir nicht alles beim Alten lassen. Viele der Generalistik zugeschriebene Folgen hätten wir im Übrigen auch, wenn wir die dringend erforderliche Reform der Ausbildung ohne Generalistik machen würden. Wir brauchen jetzt eine zukunftsfeste Reform, die nicht durch zu viele Kompromisse verwässert wird.

Die Frage, warum es eine neue Pflegeausbildung braucht, muss mit Blick auf die geänderten Rahmenbedingungen der Pflegeberufe beantwortet werden. So nimmt die Anzahl der Pflegebedürftigen, die eine medizinisch orientierte Versorgung benötigen, in der ambulanten und stationären Altenpflege gravierend zu. Gleichzeitig werden immer mehr alte und hochbetagte Patientinnen und Patienten mit mehreren Erkrankungen und zunehmenden Alterserkrankungen, wie beispielsweise Demenz, in Krankenhäusern versorgt. Hier wird die neue Pflegeausbildung zu einer der wichtigsten Antworten auf die Herausforderungen des demografischen und epidemiologischen Wandels.

Das macht jedoch veränderte Kompetenzprofile erforderlich, die ausgebildet werden müssen. Pflege muss künftig auf Kompetenzen aufbauen, die übergreifend gelten. Sie muss sich zeitgleich mit dem Pflegebedürftig sein und dem Kranksein auseinandersetzen. Die dabei an die Pflege gestellten Aufgaben müssen unmittelbar beim hilfebedürftigen Menschen geleistet werden können.

Neue Ausbildung rückt Kompetenzen in den Mittelpunkt

Die Neuregelung der Pflegeberufe ist dringend geboten und wird von vielen professionell Pflegenden zu Recht gefordert. Bislang hat sich die Pflegeausbildung an den zu versorgenden Altersgruppen – Kinder, Erwachsene, alte Menschen – und an den Institutionen der Versorgung – Krankenhaus, Altenheim – orientiert. Mithilfe der generalistischen Pflegeausbildung wird es erstmals gelingen, die erforderlichen pflegerischen Kompetenzen für pflegebedürftige und kranke Menschen jeden Alters in den Mittelpunkt zu stellen.

Es geht um die Qualifizierung in der Profession Pflege. Die Stärken und Besonderheiten der drei bisherigen Pflegefachberufe werden zu einem neuen Pflegeberuf mit einem einheitlichen Berufsabschluss zusammengefasst. Das ist etwas anderes und mehr als die Aneinanderreihung von Pflegetätigkeiten.

Mit der neuen Pflegeausbildung mit Schwerpunktsetzung wird endlich gesetzlich anerkannt, dass Pflege einen ureigensten Bereich hat, der als sogenannte vorbehaltene Aufgaben definiert wird. Das umfasst die Erhebung des Pflegebedarfs, die Planung der pflegerischen Versorgung sowie die Überprüfung der Pflegequalität. Dadurch wird die Qualität der Pflege gesteigert. Eine weitere Antwort auf die steigenden Anforderungen ist die hochschulische Ausbildung als zweiter Zugang zum Beruf. Damit werden neue Bewerbergruppen angesprochen.

Sind höhere Kosten gerechtfertigt?

Aktuell entsteht der Eindruck, dass die Kritiker der neuen, modernen Pflegeausbildung eine Höherqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht unbedingt wollen. Sie verweisen dabei auf zu hohe Kosten. Der Deutsche Pflegerat ist sich sicher, dass die Kostenträger und die Öffentlichkeit absolutes Verständnis dafür haben, dass eine bestmögliche pflegerische Versorgung, die die Patientensicherheit gewährleistet, auch mit mehr Geld verbunden ist.

Wir brauchen eine gemeinsame Pflegeausbildung mit Schwerpunktsetzung, auch wenn diese mit höheren Kosten verbunden ist. Diese sichert die Qualität der pflegerischen Versorgung. Die Kosten dürfen dabei kein Bremsklotz für die in dieser Legislaturperiode wichtigste Reform für die Profession der Pflegenden sein.

Wie steht es um die Kinderkrankenpflege?

Einige Kritiker erwarten Nachteile für die Kinderkrankenpflege. Sie befürchten, dass für diese nicht genügend Zeit für die Berufsausbildung bleibe. Hier wird es im Rahmen der neuen Pflegeausbildung insbesondere auf die geplante Schwerpunktsetzung ankommen. Die im Rahmen der Pflegeausbildung geplante Vertiefungsrichtung muss ein deutliches Profil erhalten. Für die Akzeptanz des Gesetzes ist das sehr wichtig.

Eine Reform – auch für die Steigerung der Attraktivität

Die Reform der Pflegeausbildung ist eine gute Nachricht für alle professionell Pflegenden. Ihre Arbeit wird dadurch aufgewertet. Die neue Ausbildung wird zu besseren Karrierechancen und zu einer besseren Bezahlung, insbesondere in der Altenpflege führen. Durch die reformierte Ausbildung haben die zukünftigen Pflegefachpersonen zudem mehr Möglichkeiten für einen Wechsel innerhalb des Berufsfeldes. Das steigert die Attraktivität des Berufsbildes Pflege, auch hier insbesondere das der Altenpflege, und fördert den längeren Verbleib im Pflegeberuf.

Entgegen anderweitiger Befürchtungen werden die Auszubildenden der neuen Pflegeausbildung nicht fernbleiben. Im Gegenteil, die neue, moderne Pflegeausbildung wird zu einem wesentlichen Baustein der Sicherung der pflegerischen Versorgung in Deutschland. Sie schafft ein neues, modernes Berufsbild.

Dies alles sind wichtige Bausteine dafür, dass sich aufgrund der neuen Pflegeausbildung mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden werden. Mit in der Pflicht sind dabei natürlich auch die Kostenträger und die Arbeitgeber. Sie müssen dafür sorgen, dass die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass es dadurch zu einer bestmöglichen Unterstützung der neuen Pflegeausbildung mit Schwerpunktsetzung kommt.

Eckpunkte bringen Licht ins Dunkle

Licht ins Dunkle gebracht haben auch die Eckpunkte einer Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum Gesetzentwurf des Pflegeberufereformgesetzes. Der Deutsche Pflegerat begrüßt die umfangreiche Vorlage der Eckpunkte. Diese wurden seitens des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesfamilienministeriums wie versprochen geliefert. Sie bieten eine Grundlage für die weiteren Gespräche. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sollen sie weiter verfeinert werden.

Mit den Eckpunkten ist man den richtigen Schritt weg von der bisherigen Grundsatzdiskussion und hin zur wichtigen inhaltlichen Diskussion gegangen. Diese muss nach wie vor im Mittelpunkt stehen. Damit ist jedoch auch klar, dass die neue Pflegeausbildung nicht mehr infrage zu stellen ist. Jetzt geht es um die weitere präzise Ausgestaltung des Reformvorhabens. Diese muss in den Händen der Profession Pflege liegen.

Im Kern geht es bei der neuen, modernen Pflegeausbildung mit Schwerpunktsetzung vor allem auch um die Patientensicherheit, welche ein enorm hohes Gut ist. Der Deutsche Pflegerat wird daher sehr genau darauf achten, dass im weiteren Gesetzesverlauf die Stärken und Besonderheiten der drei bisherigen Pflegefachberufe erhalten bleiben.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingt. Über 40 Modellversuche haben letztlich bewiesen: Die neue Pflegeausbildung funktioniert.

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