„Ja, ich lebe… mit Krebs“

1. September 2015 | Erleben | 0 Kommentare

Ende Dezember 2003 hatte ich meine erste Operation wegen Darmkrebs. Wir kennen alle die Aussage „Da verlor ich den Boden unter den Füßen“, was ich auch so erlebte. Aber ich denke, das hätte nicht sein müssen! Ich stand im 6er Zimmer im Krankenhaus gerade in der Mitte des Raumes als der Herr Primar hereinkam, mich ansah und sagte: „Sie wissen eh, dass Sie Krebs haben“, sich umdrehte und den Raum verließ – ja, da verliert man den Boden unter den Füßen. Ich denke, wenn ein entsprechendes Arzt-Patient-Gespräch geführt worden wäre, hätte man diesen Schock verhindern können. Ich weiß auch, dass es viele Ärzte gibt, welche das anders machen und zu einem persönlichen Gespräch einladen. Umgekehrt war diese Situation der Auslöser des Gefühls „So nicht, jetzt erst recht“ und des Willens, gegen die Erkrankung anzukämpfen. Als Erstes habe ich mir mit den Ärzten eine Auszeit ausgehandelt, um mich zu besinnen und ausreichend zu informieren, sodass ich nicht sofort operiert wurde. Ich habe auch mit meinem praktischen Arzt gesprochen, der mir die ersten komplementären Methoden empfahl. Er verschrieb mir Selen für die Wundheilung und Vitamine, um auf die Operation gestärkt vorbereitet zu sein.

Im Krankenhaus Hietzing erlebte ich, wie hilfsbereit, phantasievoll und hingebungsvoll ich gepflegt wurde. Eine dieser voll Herzenswärme erhaltenen Hilfen war am Tag nach der Operation. Als ich am Abend so richtig wach wurde, standen zwei Schwestern mit einem Glas Sekt vor mir und wünschten mir ein „Prosit Neujahr“ – ich habe gestaunt, und nach einem kleinen Schluck bis am nächsten Morgen gut geschlafen. Als ich mit der verordneten Schonkost einmal nicht einverstanden war, half man mir, meine Lieblingsspeise Sushi zu besorgen – besonders die thailändische Schwester hat das verstanden – und Sushi ist sehr wohl ein leichtes, gesundes Essen. Das wichtigste dabei aber, davon bin ich überzeugt, ist der psychische Faktor, und der hat dann bei meiner Genesung entscheidend mitgeholfen. Auch dass ich ab dem zweiten Tag duschen wollte wurde phantasievoll unterstützt.

Nach Hause entlassen, half mir meine Familie und übernahm die Pflege, welche mir half, bald wieder mobil zu werden.

Eine besonders wertvolle Hilfe für mich war die Beratung durch eine Pflegekraft. Diese hat von vielen Patienten die Erfahrungen mitgenommen, wie eine Lebenssituation in der Praxis zu meistern ist: ob es das wasserdichte Pflaster war, welches mir ermöglichte, bequem zu duschen, ohne dass die Wundversorgung nass wurde, oder die Idee, eine Tasche mit Notversorgung für die Stomaprodukte mitzuführen, sowie viele kleine Tipps für den Umgang mit meinen körperlichen Behinderungen… Diese Informationen eröffneten mir wieder viele Freiheiten, an welche ich selbst nicht gedacht hatte.

Heute habe ich trotz modernster Stomaversorgung sehr wohl noch Probleme im Alltag. Wenn ich unterrichte oder mich in der Öffentlichkeit bewege und die Versorgung undicht wird, muss ich schnell reagieren, damit es keiner merkt. Ich habe immer Kleidung zum Wechseln und zusätzliche Stomaversorgung im Auto, falls ich übersehen habe, die Versorgung in der Tasche aufzufüllen. Ich bin also doppelt abgesichert. Gegen die Geräusche vom Stoma habe ich einen Schallschutzgürtel, welcher eine hohe Sicherheit gibt, nicht unangenehm aufzufallen. Und sollte doch einmal etwas passieren, habe ich mittlerweile die Kraft, denen etwas aufgefallen ist zu erklären, was mit mir los ist.

Eine wichtige komplementäre Therapie wurde mir dann auch im Krankenhaus angeboten: Die Gesprächstherapie mit einer Psychologin. Dabei
bemerkte ich, wie sehr meine Vorgeschichte ein Auslöser der Erkrankung gewesen war. Drei Jahre lang ging ich daraufhin zu Gesprächen, wo ich zu Erkenntnissen geführt wurde, welche mir heute sehr helfen, mit der Erkrankung positiv umzugehen. Als ich wieder soweit gesund war, dass ich trotz der körperlichen Behinderungen meinen Alltag meistern konnte, wollte ich etwas zurückgeben für das, was ich von Ärzten, Pflegepersonal oder Rettungskräften erhalten hatte. Ich habe im Hospiz St. Martin die Ausbildung für die Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung absolviert und im Rosenheim in Tulln, im Hospiz, Patienten und Angehörige begleitet. Dort erlebte ich auch den Alltag der Pflegekräfte. Oft hat mir ein Patient oder Angehöriger anvertraut, besondere Wünsche zu haben, aber nicht zu glauben, dass diese verwirklicht werden könnten. Ich habe vermittelt und erlebt, wie sich die Pflegekräfte trotz allbekannter Zeitnot gerne die Zeit nahmen, um für den Patienten die optimale Lösung zu finden. Manchmal war es notwendig bis zur Geschäftsleitung zu gehen, um solche Wünsche zu realisieren. Einmal wurde mir ein Transporter zur Verfügung gestellt, um einer jungen, 90% gelähmten Patientin und ihrem Mann einen Ausflug an die Donaulände zu ermöglichen – die glücklichen Blicke werde ich nie vergessen. Ein anderes Mal wurde erlaubt, dass der Sohn eines im Sterben liegenden Landwirtes dessen großen Stolz, eine Motorsäge, mit in das Hospiz
bringen durfte – am Tag vor dem Ableben hat sich der Landwirt beim Pflegepersonal und mir extra schriftlich bedankt. Oft waren es aber auch nur Kleinigkeiten, welche durch die Pflegekräfte ermöglicht und dann ganz selbstverständlich als Alltag empfunden wurden.

Heute lebe ich „mit“ Krebs, indem ich bewusster auf die Ernährung achte und Belastungen nach Möglichkeit meide. Doch wenn wieder einmal auch nur ein Wimmerl erscheint ist der erste Gedanke „Jetzt ist er wieder da“. Auch wenn es mal im vernarbten Bauchraum zwickt oder ein besonders kraftloser Tag war, kommen solche Gedanken – so einschneidend war das Erlebnis der Erkrankung. Mein Lied „Ja, ich lebe…“ ist genau der Ausdruck dieser Gefühle und unterstreicht die Bilder, welche ich zum Thema „Krebs“ gemalt habe. Sie finden alles auf meiner Homepage, wo ich für Krebspatienten, Angehörige und medizinische Fachkräfte viele wertvolle Informationen veröffentliche. Es ist sicher ein Teil der Bewältigung meiner Erkrankung, dass ich heute helfe, anderen Betroffenen mein Wissen zur Verfügung zu stellen. Außerdem ist es mir wichtig, immer auf dem neuesten Stand zu sein, um nicht wieder zu erkranken oder schlimmstenfalls genau zu wissen, wie ich dann reagieren kann.

Die Pflege ist auch in meinem kürzlich erschienen Buch ein wichtiger Abschnitt. Ich schreibe über die Krebserkrankung allgemein: wie die Therapien verlaufen, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt oder in Zukunft geben könnte. Es wird gezeigt, wo Patienten Hilfe und Unterstützung bekommen oder welche komplementären Therapiemöglichkeiten vorhanden sind. Zu den einzelnen Themen schreibe ich meine persönlichen Erfahrungen auf oder diejenigen von Patienten, welche ich begleitet habe. Die Ernährung ist ein wichtiges Thema und nicht zuletzt die Vorsorge, Gesundenuntersuchung und Nachsorge. Das Buch ist eine Mischung aus Sachbuch und persönlichen Bemerkungen. Es ist für Betroffene, Angehörige und medizinisches Fachpersonal gedacht sowie auch für alle grundsätzlich an diesem Thema Interessierten. Sie finden das Buch auf team learning.at, meiner Seite krebsinfo.at sowie im Buchhandel und in den einschlägigen Plattformen wie Amazon, BoD, Thalia als Print und als iBook oder eBook für alle mobilen Geräte. Weiterbildung und Unterhaltung finden ja immer mehr auf Smartphones und Tablets statt, und so können Sie jederzeit und an jedem Ort das Buch „Ja, ich lebe… mit Krebs“ lesen!

Die Pflege des Körpers und der Seele ist der Schlüssel zur Genesung. – Josef Miligui

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