IPEG: Was ist los im Gesundheitssystem? – eine kritische Betrachtung 

12. Juni 2021 | Politik | 0 Kommentare

Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, da wurde Gesundheitspersonal beklatscht und die Idee des Corona-Tausenders ging durch die Medien. Die Politik und die Gesellschaft waren einer Meinung – „Health Heros“ wurden geboren. 

Ein paar Monate später zeichnet sich ein ernüchterndes Bild. Die aktuelle GuK-C19-Studie von Gferer und Gferer liefert alarmierende Zahlen. 45% der Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im Akutbereich dachten während der dritten Welle an einen Berufsausstieg. An dieser quantitativen Umfrage nahmen 2.470 Gesundheits- und Krankenpfleger*innen österreichweit teil. Alle Teilnehmer*innen waren in der direkten Patient*innenversorgung tätig. 86% der Teilnehmenden gaben an, dass sich, die auch schon vor der Pandemie, angespannte Situation in den Krankenhäusern, massiv verschlechtert hat. 85% fühlen sich psychisch mittelmäßig bis sehr stark belastet. Besonders erschreckend ist, dass 77% von Aggression und Gewalt seitens Patient*innen betroffen waren. Zur Veranschaulichung: Das entspricht über 47.000 Gesundheits- und Krankenpfleger*innen in Österreich. Bei 60% der Vorkommnisse handelt es sich um Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen. 17% davon sind sogar von körperlicher Gewalt, wie Schläge, Tritte, etc. betroffen. 5% planen ihren Berufswechsel. Für Österreich bedeutet das, dass aktuell knapp über 3.000 Gesundheits- und Krankenpfleger*innen sicher aus diesem Beruf aussteigen werden. Dies in einer ohnehin mehr als angespannten Lage. Ein herzlicher Dank gilt dem Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), der diese Studie maßgeblich unterstützt hat. 

Was macht die Politik? 500 Euro Corona-Bonus für Ärzte und Pflegekräfte, eine Kampagne „Pfleger*in mit Herz“ und eine Task Force – im Sinne einer rein verbalen Aufwertung des klassischen Bergriffs einer Arbeitsgruppe. 

Seitens der Gewerkschaften und diverser Berufsverbände kommt zurecht ein massiver Aufschrei. Bereits vor der Pandemie war die Situation im Gesundheitswesen in fast allen Bereichen eine ähnliche: Einsparungen, Kompetenz-Wirrwarr, Überlastung, geringe Wertschätzung.  

Der 500 Euro Corona-Bonus wird von vielen Beschäftigen im Gesundheitswesen als blanker Hohn empfunden, wenn im Vergleich dazu hunderte tausend Euro in die Beendigung hoch dotierter Posten der Republik fließen. Hebammen betreuen auch während der Pandemie werdende Mütter, im Wissen höchster Infektionsgefahr ausgesetzt sein zu können. Reinigungspersonal, das so essentiell wichtig für die Belange der Infektionsprävention ist. Ordinationspersonal, Rettungsdienst, Medizinisch-Technische Radiologieassistent*innen und viele, viele mehr. Im Rettungsdienst hat die Politik zum Beispiel verpflichtende Antigentests über den Arbeitsgeber überhaupt erst nach den ersten erfolgten Impfungen des Rettungspersonals vorgeschrieben. Darauf wurde schlicht und einfach vergessen. 

Eine tiefgreifende Reform bleibt in weiter Ferne. Ebenso ausreichend Zeit für die ordentliche Aufarbeitung der Belastungen und Erfahrungen durch die  Pandemie. „Isolierbetten und schnell geschaffene Sonderstationen werden zurückgebaut und einen Tag darauf ist wieder Normalprogramm bei dreifacher Auslastung“, Michael Urschitz (DGKP in der Intensivpflege). Die entstandenen Rückstände müssen aufgearbeitet werden. 

Dabei ist die Frage auch eine gesellschaftspolitische: „Was ist uns unsere Gesundheitsversorgung wert?“ Die sofortige, beste und individuelle Versorgung und Betreuung zu Dumping-Preisen, wird langfristig nicht zu halten sein. Funktioniert eine effiziente Systemumstellung oder werden wir Ansprüche nach unten schrauben müssen? Derzeit läuft alles in Richtung maximaler Aufteilung der Aufgaben und Kompetenzen. Arbeitsprozesse werden scheinbar möglichst gewinnbringend gesplittet. Was das für die Patient*in bedeutet? Auf alle Fälle stehen sie mit ihren Bedürfnissen nicht im Mittelpunkt, sondern Arbeitsabläufe und die Organisationsstruktur. Der Vergleich zu der „Automobilindustrie von damals“ drängt sich auf. Dort wurde bereits erkannt, dass diese Entwicklung zu Abstumpfung, Entwertung von Arbeitskräften, etc. führt. Durch die Humanisierung in der Autoindustrie konnten die Arbeitsbedingungen gleichzeitig mit der Motivation der Mitarbeiter deutlich gesteigert werden. Könnten nicht auch die „Pflege“ von dieser Erfahrung profitieren? Könnte nicht auch Pflege “humaner” werden für jene, die in diesen Bereichen arbeiten?  Wie soll jemand menschlich pflegen, wenn er selbst unter inhumanden Bedingungen arbeiten muss? 

Die WHO hat aktuell die Leitlinie “Global Strategic Directions for Nursing and Midwifery 2021-2025″ verabschiedet. Daraus geht klar hervor, dass in die Gesundheitsberufe und die Ausbildungen dahinter mehr investiert werden müsse. Hier sind visionäre und tatkräftige Entscheidungsträger gefordert, um die Empfehlungen in die Praxis umsetzen zu können. Klar ist, dass die Gesundheitsberufe gut beraten sind, enger zusammenzurücken. Lösungsmöglichkeiten müssen neu gedacht werden. Gemeinsam sind wir stärker! 

Wir als IPEG sehen folgende Maßnahmen zur Verbesserung zielführend: 

  • Die Einbindung von Pflegeexpertise in politische Entscheidungen – ohne Einmischung in eigenverantwortliche Kompetenzbereiche 
  • Direkte Verrechnung von Pflegeleistungen mit den SV-Trägern  
  • Einen sinnvollen Skill-Grade-Mix – inklusive der Entlastung von Hilfstätigkeiten durch Hilfspersonal 
  • Anpassungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen bzgl. der Spezialisierungen 
  • Faire Bezahlung 

Wir sind gerne bereit, alle Entscheidungsträger bei dieser Mammutaufgabe mit unserer vielseitigen Expertise, zu unterstützen. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf. 


Quellen: 

45% der Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im Akutbereich denken an einen Berufsausstieg | Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband, 08.06.2021 (ots.at) 

who_strategic-directions-for-nursing-and-midwifery-2021-2025.pdf 

Autor

  • Marieluise Einfalt

    DGKP, Akademische Expertin in der Krankenhaushygiene, Leitung Hygieneteam Ordensklinikum Linz Elisabethinen, fachliche Lehrgangsleitung SAB „Krankenhaushygiene“ IMC FH-Krems, Qualitätsbeauftragte im Gesundheitswesen