Interview mit Mag. Beate Meinl-Reisinger (NEOS)

16. August 2019 | Pflegende Angehörige, Politik | 0 Kommentare

Wird bei Ihnen „Pflege“ ein Thema im Wahlkampf werden?

Das Thema „Pflege“ ist eines der brennenden Zukunftsthemen und muss daher auch im Wahlkampf den Stellenwert bekommen, den es verdient hat. Allerdings verlangt es eine ehrliche und respektvolle Debatte. Aufgrund der hohen Bedeutung haben wir seit Anfang 2019 im Rahmen eines Pflegeprozesses eine Veranstaltungsreihe in den Bundesländern gemacht. Unter einer breiten Beteiligung von Betroffenen, Angehörigen, medizinischen Fachpersonal und Experten haben wir gemeinsam die Grundlage für unseren politischen Positionen erarbeitet. Gerade bei einem so sensiblen Thema ist es notwendig zuerst zuzuhören, dann aber auch endlich ehrliche und nachhaltige Reformen umsetzen.

Was haben Pflegekräfte davon sie zu wählen?

Wir haben während der letzten Wochen durch unseren Pflegeprozess bewiesen, dass wir ein verlässlicher Partner sind. Wir wollen die Rahmenbedingungen für Betreuungs- und Pflegekräfte verbessern, damit sich auch mehr jungen Menschen für diesen Beruf entscheiden. Hier geht es um bessere Strukturen, mehr Unterstützung, verbesserte Arbeitsbedingungen und einen anderen Stellenwert im Gesundheitssystem.  Zudem sehen wir die Pflege künftig auch viel stärker in der Prävention, am besten in mit der Primärversorgung eingebunden.

Wie wollen Sie die Arbeitssituation für Pflegefachkräfte verbessern?

Die wesentlichste Stütze im Bereich der Betreuung und Pflege sind neben den pflegenden Angehörigen die Fachkräfte. Neben einer besseren Bezahlung braucht es mehr Aus- und Fortbildungsangebote sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Der Mangel an Fachkräften wird durch unattraktive Rahmenbedingungen verstärkt. Egal ob selbständig oder unselbständig, braucht es für die Tätigkeit im niedergelassenen Bereich einen „Pflege-Leistungskatalog“ – auch zur besseren Abrechnung mit der Kasse. Generell gilt es die Zusammenarbeit mit Ärzten zu verbessern, Eigenverantwortung bzw. Kompetenz zu stärken, Finanzierungsangebote für Berufsumsteiger anzubieten, Karrierelaufbahnen zu ermöglichen und die Ausbildung für leitendes Personal zu intensivieren.

Was wollen Sie für pflegende Angehörige tun?

Wir haben oft gehört, dass – neben dem Gefühl allein gelassen zu sein – die fehlende Information über die Erkrankung, den Umgang mit Erkrankten und die Frage, woher man Utensilien und technische Hilfsmittel für den Pflegeaufwand bezieht, wesentliche Anliegen der pflegende Angehörige sind. Wir schlagen eine fachkundige Auskunftsperson – eine sogenannte Community Nurse – vor, sie kann einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung und Unterstützung leisten. Noch bevor die Entscheidung gefallen ist einen Angehörigen zu pflegen, sollte klar gemacht werden, was es eigentlich bedeutet, einen Angehörigen zu pflegen und was auf einen zukommt. Eine Community Nurse kann Hausbesuche übernehmen und vor Ort beraten bzw. die Situation auf Versorgungssicherheit einschätzen. Zudem werden pflegende Angehörige zu wenig gehört. In Analogie zu den Selbsthilfegruppen soll eine unabhängige Interessensvertretung, deren Mitgliedschaft freiwillig ist, aufgebaut werden, die sich bei den zuständigen Behörden, Entscheidungsträgern und Organisationen für Anliegen einsetzen kann.

Wie stehen Sie zu einer Pflegekammer? Pro oder Kontra?

Der ÖGKV (Anm. Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegerverband) leistet hervorragende Arbeit und ist für uns ein Role-Model wie Interessenvertretung ohne Zwangsmitgliedschaft funktionieren kann. Wenn alle an einem Strang ziehen, kann viel bewegt werden. Klar ist, dass es eine starke Vertretung für diesen Berufsstand braucht.

 Wie stehen Sie zur Akademisierung der Pflege?

Ich halte es für ganz entscheidend diese Chance der Weiter- und Fortbildung zu geben und Pflegewissenschaften stärker mit der Praxis zu verknüpfen. Diplomierte Pfleger sollen in der Lage sein, Verantwortung über 1-2 Einrichtungen zu übernehmen. Dies bedingt die Forderung, dass in Zukunft auch direkt mit den Kassen abgerechnet werden kann. Dies ist außerdem ein Schritt zu Entlastung von Ärzten, ganz besonders im ländlichen Bereich, das auch Hausbesuche abgenommen werden können.

Wie stehen Sie zum Lehrberuf Pflege?

Da bin ich skeptisch. Die meisten Experten sprechen sich gegen die sogenannte Pflegelehre aus, da junge Menschen für diesen emotional und körperlich fordernden Beruf zu diesem Zeitpunkt oft noch nicht geeignet sind. Generell braucht es eine Verbesserung in Richtung einer aufbauenden und durchlässigen Ausbildung mit Spezialisierungen – ähnlich eines modularen Baukastensystems. Als Grundlage einer Ausbildung kann auch bereits in jungen Jahren die Verwaltung von Arbeitsplätzen und wirtschaftliche Grundlagen vermittelt werden.

Dürfen Ihrer Meinung nach Pflegekräfte eine eigenständige Pflegepraxis eröffnen?

Ja, es braucht eine Aufwertung der Kompetenzen und die Möglichkeit der direkten Verrechnung mit den Kassen.

Wir hinken gegenüber den nordischen Ländern bei der Pflege um viele Jahre hinterher. Wie sehen sie hier von ihrer Seite her Unterstützungsmöglichkeiten?

Wir haben im Gesundheits- und Pflegebereich leider tatsächlich enormen Aufholbedarf gegenüber den nordeuropäischen Ländern. Darum drängen wir auf eine flächendeckende Primärversorgung nach nordeuropäischem Zuschnitt. Nach unseren Vorstellungen sollen künftig sämtliche Gesundheitsberufsgruppen auf Augenhöhe in Primärversorgungseinheiten oder -netzwerken zusammenarbeiten.

Wie sehen Sie die Nutzung von Fachkräften aus dem Ausland? (Nicht gemeint sind die 24 Betreuungen, sondern diplomiertes oder akademisiertes Personal)

Das gemeinsame Europa ist eine Chance und ein Fakt – auch in der Pflege. Wichtig ist diesbezüglich aber, dass die Qualifikation entsprechend passt, wobei es ausländischen Fachkräften erleichtert werden muss, ihre Qualifikation in Österreich anzurechnen.

Die Pflege rutscht in einen Pflegenotstand. Jeden Tag gibt es 29 Pflegefälle mehr in Österreich. Das heißt wir haben zwischen 2017 und 2050 einen Zuwachs von 400.000 zu Pflegenden bei sinkenden Pflegefachkraftzahlen. Wo glauben sie liegt die Lösung?

Eine Maßnahme ist zu wenig, das muss ein Bündel von Lösungen sein. Wir setzen auf eine Stärkung der Prävention, wobei der Pflege eine wichtige Rolle zukommen könnte. So kann der Beginn der Pflegebedürftigkeit verzögert werden. Gleichzeitig müssen, wie bereits betont, die Ausbildung und das Berufsbild von Pflegefachkräften massiv verbessert werden.

Die Ärztekammer schafft es immer wieder bei den Gesetzen der Gesundheits- und Krankenpflege mitzubestimmen. Dies gilt auch für Paragraphen, die nichts mit der interdisziplinären Zusammenarbeit zu tun haben. Wie würden sie dies ändern?

Wir versuchen seit jeher in den Gesetzwerdungsprozessen die Aufwertung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe voranzutreiben. So wichtig die Expertise der Ärztekammer auch ist, sie ist nur ein Blickwinkel.

Trotz Gesetz GuKG Novelle 2016 gibt es noch immer keine School Nurses und keine Weiterverschreibungsmöglichkeiten (Inkontinenzprodukte,..) von Pflegekräften. Wann und was wird sich da unter ihrer Regierung ändern?

Wir haben im Rahmen unseres Pflegeprozesses oft gehört, dass es Gesetze gibt, diese aber nicht zur Anwendung kommen. Sowohl die School Nurse als auch die Weiterverschreibungsmöglichkeiten sind dringend notwendig. Ich halte es bei der School Nurse vor allem für wichtig, dass hier gesamtheitlich gedacht wird. Es braucht eine umfassende Bedarfsanalyse bevor entschieden wird, wo es School Nurses oder eine Primärversorgungseinheit braucht und was dadurch abgedeckt werden soll.

Danke für das Interview. Was wollen Sie unserer Leserschaft abschließend mitgeben?

Ich möchte all jenen meine Hochachtung zum Ausdruck bringen, die täglich in der Pflegearbeit tätig sind. Und ich möchte mich bei allen bedanken, die einen Beitrag während des Pflegeprozesses geleistet haben. Neben den Erfahrungen und Wünschen Betroffener und Angehöriger durften wir auch die Expertise u.a. des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegerverbandes (ÖGKV), Caritas, Rotes Kreuz, Hilfswerk, Diakonie und Volkshilfe in unsere Positionen einfließen lassen. Es hat sich gezeigt, dass es gerade bei so einem sensiblen Thema wie Pflege bedeutend ist, zuerst zuzuhören und miteinander zu reden, um so politische Positionen erarbeiten zu können. Das möchte ich mitnehmen. Wir NEOS stehen für eine Neuaufstellung des Pflege- und Betreuungssystems in dem alle Player auf Augenhöhe und unterstützend agieren. Das ist unser Anspruch.

Autor

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)