Interview mit Ing. Norbert Hofer (FPÖ)

2. September 2019 | Demenz, Pflegende Angehörige, Politik | 0 Kommentare

Wird bei Ihnen „Pflege“ ein Thema im Wahlkampf werden?

Das wird ein zentraler Punkt neben der Absicherung und Weiterentwicklung des Pensionssystems und des Gesundheitssystems im Wahlkampf der FPÖ sein,

Die FPÖ bekennt sich zu dem durch einen Ministerratsvortrag im Dezember 2018 festgelegten Masterplan Pflege und dessen Eckpunkten. Im Zentrum steht eine menschenwürdige und hochwertige Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin. In diesem Zusammenhang müssen die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und Angehörigen in Österreich höchste Priorität haben.

Wir bekennen uns zur dauerhaften Abschaffung des Pflegeregress gegenüber Pfleglingen und Angehörigen, der 2017 bzw. 2018 gesetzlich umgesetzt wurde.

Wir lehnen die Wiedereinführung des Pflegeregress, wie sie etwa durch die ÖVP, – Gemeindebundpräsident Riedl auf die 13. und 14. Pensionszahlung an die in stationärer Pflege befindlichen Personen nach der Nationalratswahl beabsichtigt sind, entschieden ab.

Wir lehnen die Einführung einer Pflegeversicherung, wie sie durch die ÖVP nach der Nationalratswahl beabsichtigt ist, entschieden ab.

Wir bekennen uns zur dauerhaften jährlichen Valorisierung des Pflegegeldes in allen Stufen.

Was haben Pflegekräfte davon sie zu wählen?

Die Pflegekräfte sind für die Erhaltung und Weiterentwicklung unseres österreichischen Pflegesystems der zentrale Faktor neben einer Absicherung der notwendigen finanziellen Mittel für die Pflege. Deshalb stehen für die FPÖ die Pflegekräfte im Mittelpunkt ihrer sozialpolitischen Initiativen im Bereich Pflege.

Wie wollen Sie die Arbeitssituation für Pflegefachkräfte verbessern?

Hier sollte auf der Grundlage des Masterplan Pflege folgende Eckpunkte umgesetzt werden:

  • Harmonisierung im Bereich der Dienste
  • Qualitätssicherung in der 24-Stunden-Betreuung
  • Teilbarkeit von 24-Stunden-Betreuungsverhältnissen
  • Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich der Pflegevorsorge
  • Bundesweite Imagekampagne zur Attraktivierung der Pflegeberufe
  • Durchlässigkeit der Berufsbilder/Berufsausbildung

Was wollen Sie für pflegende Angehörige tun?

Hier sollte auf der Grundlage des Masterplan Pflege folgende Eckpunkte umgesetzt werden:

  • Vorbereitung einer Imagekampagne als Wertschätzung der pflegenden Angehörigen
  • Maßnahmen zur Attraktivierung der Pflege und Betreuung zu Hause
  • Zuwendungen für die Kosten der Ersatzpflege
  • Förderung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
  • Besondere Unterstützung für pflegende Kinder und Jugendliche
  • Schaffung und Unterstützung von Assistenzsysteme zur Erhöhung der Lebensqualität von Pflegebedürftigen

Wie stehen Sie zu einer Pflegekammer? Pro oder Kontra?

Die österreichischen Pflegekräfte brauchen eine starke Berufsvertretung, – eine eigene Kammer erscheint uns auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem bisherigen Kammerstaat in Österreich nicht die richtige Lösung. Vielmehr sollte man sich dafür einsetzen, dass bereits bestehende auf Freiwilligkeit basierende Berufsvereinigungen ein Mitbestimmungsrecht im österreichischen Pflege- und Gesundheitssystem bekommen, damit ihrer Interessen gut vertreten sind und sie ihre Sichtweise in allen einschlägigen Fragestellungen und Meinungsbildungsprozessen einbringen können.

Wie stehen Sie zur Akademisierung der Pflege?

Die Akademisierung des Pflegeberufs allein hat bisher zu keiner Verbesserung der Deckung der Nachfrage nach Pflegekräften beführt. Deshalb ist ein Ausbildungsangebot beizubehalten bzw. anzustreben, das unterschiedliche Ausbildungs- und Abschlussmodule anbietet und so auch auf die unterschiedlichen Berufskarrieren von Personen, die in der Pflege tätig sind  abgestimmt sind.

Wie stehen Sie zum Lehrberuf Pflege?

Die Einführung eines Lehrberufs Pflege ist für uns eine wichtige Ergänzung der bisher bereits bestehenden Ausbildungsschienen, und sollte umgesetzt werden.

Dürfen Ihrer Meinung nach Pflegekräfte eine eigenständige Pflegepraxis eröffnen?

Diese Möglichkeit sollte ernsthaft geprüft werden, um hier weitere Angebote und Berufsentwicklungschancen für Personen, die in Pflegeberufen arbeiten, zu schaffen.

Wir hinken gegenüber den nordischen Ländern bei der Pflege um viele Jahre hinterher. Wie sehen sie hier von ihrer Seite her Unterstützungsmöglichkeiten?

Hier sollten auf der Grundlage des Masterplan Pflege folgende Eckpunkte umgesetzt werden:

  • Ausbau und Umsetzung der integrierten Versorgung unter Berücksichtigung der Verschränkung von Medizin und Pflege
  • Maßnahmen zur Umsetzung der österr. Demenzstrategie – Gut leben mit Demenz
  • Erweiterung der Angebote der Hospiz- und Palliativbetreuung
  • Harmonisierung im Bereich der Dienste
  • Qualitätssicherung in der 24-Stunden-Betreuung
  • Teilbarkeit von 24-Stunden-Betreuungsverhältnissen
  • Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich der Pflegevorsorge
  • Vorbereitung einer Imagekampagne als Wertschätzung der pflegenden Angehörigen
  • Maßnahmen zur Attraktivierung der Pflege und Betreuung zu Hause
  • Zuwendungen für die Kosten der Ersatzpflege
  • Förderung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
  • Besondere Unterstützung für pflegende Kinder und Jugendliche
  • Bundesweite Imagekampagne zur Attraktivierung der Pflegeberufe
  • Durchlässigkeit der Berufsbilder/Berufsausbildung
  • Schaffung und Unterstützung von Assistenzsysteme zur Erhöhung der Lebensqualität von Pflegebedürftigen

Die Pflege rutscht in einen Pflegenotstand. Jeden Tag gibt es 29 Pflegefälle mehr in Österreich. Das heißt wir haben zwischen 2017 und 2050 einen Zuwachs von 400.000 zu Pflegenden bei sinkenden Pflegefachkraftzahlen. Wo glauben sie liegt die Lösung?

Neben den oben bereits angeführten Maßnahmen, die auf der Grundlage des Masterplan Pflege umgesetzt und permanent erweitert werden sollten sind noch folgende Rahmenbedingungen zu schaffen:

  • Dauerhafte finanzielle Absicherung der Pflegekosten aus Mitteln des Budgets
  • Umschichtung von freiwerdenden Budgetmitteln aus einer Reduktion des Überangebots an Akutbetten in Krankenanstalten hin zur Finanzierung der stationären Pflege und der Pflege zu Hause.
  • Dies soll erreicht werden durch einen Abbau der Akutbetten, einer Bündelung der Kompetenzen und Finanzströme im Gesundheitswesen, die so genannte „Finanzierung aus einer Hand“. Damit würden wir – wie vom Rechnungshof bestätigt – jährlich bis zu 4,75 Milliarden Euro einsparen und damit Mittel für die Pflege freiwerden.

Aktuell der Bund zahlt 2,638 Milliarden Euro jährlich als Pflegegeld an die Anspruchsberechtigten aus. Dazu kommen 340 Millionen Euro zur Abdeckung der Kosten des Pflegeregress, 252 Millionen Euro für die Finanzierung des Pflegefonds, 112 Millionen für die 24-Stunden-Betrreuung der Pfleglinge, 83,5 Millionen Euro für die pflegenden Angehörigen und sechs Millionen für die Hospiz- und Palliativbetreuuung.

Dazu kommt, dass der Pflegefonds, die 24-Stunden-Betreuung und die Hospiz- und Palliativbetreuung kofinanzierte Projekte mit den österreichischen Bundesländern sind, mit aktuell über eine Weiterentwicklung bzw. Reform dieser Angebotspalette ein sozialpolitischer Dialog im Sinne des kooperativen Bundesstaates ein Dialog zu führen ist.

Darüber hinaus sind auch gemeinsame sozialpolitische Adaptierungen in den derzeit von den Ländern und Gemeinden angebotenen Bereichen Mobile Dienste, Stationäre Dienste und teilstationäre Tagesbetreuung, Kurzzeitpflege, Alternative Wohnformen und Case&Care Management aufzusetzen und fortzuführen.


Die Ärztekammer schafft es immer wieder bei den Gesetzen der Gesundheits- und Krankenpflege mitzubestimmen. Dies gilt auch für Paragraphen, die nichts mit der interdisziplinären Zusammenarbeit zu tun haben. Wie würden sie dies ändern?

Die Berufsvereinigungen der Pflegeberufe müssen im Gesetzgebungsprozess als gleichberechtigte Partner eingebunden werden, damit keine einseitigen, nur durch einen bestimmten standespolitischen Standpunkt unterstützten Ergebnisse herauskommen.

Trotz Gesetz GuKG Novelle 2016 gibt es noch immer keine School Nurses und keine Weiterverschreibungsmöglichkeiten (Inkontinenzprodukte,..) von Pflegekräften. Wann und was wird sich da unter ihrer Regierung ändern?

Diese Problematik sollte im Rahmen der Umsetzung des im Dezember 2018 festgelegten Masterplan Pflege umfassend und unter Einbindung der Berufsvereinigung der Pflegekräfte gelöst werden.

Wie sehen Sie die Nutzung von Fachkräften aus dem Ausland? (Nicht gemeint sind die 24 Betreuungen, sondern diplomiertes oder akademisiertes Personal)

Die Pflege wird in Zukunft europa- und weltweit an Bedeutung in unserem Sozial- und Gesundheitssystem gewinnen. Es wäre daher egoistisch, sich darauf zu verlassen, dass man einfach aus anderen Ländern Pflegekräfte rekrutiert und dann dort mittel- und langfristig einen Pflegenotstand produziert. Vielmehr sollte unsere Gesellschaft und damit die politischen Verantwortungs- und Entscheidungsträger dem Pflegeberuf und dem Pflegesektor jenen Stellenwert vermitteln, dass einerseits mehr junge Menschen in unserem Land eine Ausbildung im Pflegesektor beginnen, andererseits Personen in den unterschiedlichsten Lebensabschnitten auch als „Quereinsteiger“ in den Pflegeberuf nach einer durch die öffentliche Hand zu finanzierende und zu organisierende Pflegeausbildung einsteigen.

Danke für das Interview. 

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)