Mein Name ist Thomas Szekeres. Ich bin seit 2001 Vorstandsmitglied und seit 2012 Präsident der Ärztekammer für Wien. Als Arzt bin ich Humangenetiker und Facharzt für klinische Chemie und Labordiagnostik, angestellt am AKH Wien. Die Wiener Ärztekammer gibt es wesentlich länger als meine Person, sie feiert heuer ihr 125-Jahr-Jubiläum. Die Ärztekammer sieht sich als professionell organisierten Dienstleistungsbetrieb für alle Wiener Ärztinnen und Ärzte, der die ihr übertragenen Aufgaben möglichst effizient und effektiv auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Der Wiener ÄK-Präsident Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres freute sich über die Einladung zu dieser Sonderausgabe und lieferte der Leserschaft nicht nur ein Interview, sondern schrieb zusätzlich einen Beitrag über die Gesundheits- und Krankenpflege.
Pflege Professionell: Wo liegen die österreichischen Stärken der österreichischen Ärztinnen und Ärzte und der Ärztekammer im internationalen Vergleich?
Thomas Szekeres: Die Stärke der österreichischen Ärztinnen und Ärzte liegt vor allem in einer in Österreich historisch gewachsenen medizinischen Tradition. Seit Jahrhunderten ist Österreich Heimat großer Ärztinnen und Ärzte, wie Sigmund Freud oder Theodor Billroth. Grund dafür ist eine hohe Akzeptanz und der Respekt in unserer Gesellschaft gegenüber dem ärztlichen Stand – auch wenn das in letzter Zeit in den Reihen der Politik leider abzunehmen scheint. Gleichzeitig genießen Ärztinnen und Ärzte eine hoch qualitative Ausbildung in Österreich, was ebenfalls dazu beiträgt, dass immer wieder österreichische medizinische Leistungen und Know-how auch international für Aufsehen sorgen. Das alles macht natürlich auch die Stärken der Wiener Ärztekammer, denn die Standesvertretung kann nur so stark sein, wie es auch ihr Stand ist.
Pflege Professionell: Was sind die österreichischen Schwächen der österreichischen Ärztinnen und Ärzte und der Ärztekammer im internationalen Vergleich?
Thomas Szekeres: Die Schwäche in Österreich ist – wie schon in der Beantwortung der Frage zuvor kurz angedeutet – die Abnahme des Verständnisses seitens der Politik und anderer relevanter Stakeholder für die Bedürfnisse und Herausforderungen der Ärzteschaft. Das zeigt sich einerseits in der konsequent seit Jahren stattfindenden Sparpolitik, andererseits aber auch im menschlichen Umgang zwischen Arbeitgebern und ärztlichem Personal. Unser Problem ist dabei, dass wir oft nicht schnell genug entsprechende Informationen erhalten und erst auf den Plan treten, wenn ein Problem schon weit fortgeschritten ist. Aber für uns Ärztinnen und Ärzte ist das normal: Wir können ja auch erst helfen, wenn der Patient zu uns kommt, und wir wissen auch nur, wo es schmerzt, wenn es uns auch der Patient mitteilt. Trotzdem wünsche mir eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Stand und Standesvertretung, damit wir schnellstmöglich und bestens dort helfen können, wo es gerade „zwickt“.
Pflege Professionell: Wie zufrieden sind sie mit dem derzeitigen Stand zum Thema Gesundheitswesen und Ärztinnen und Ärzte?
Thomas Szekeres: Zufrieden kann man nie sein. Doch es gibt immer etwas zu loben und immer auch etwas zu verbessern. Lobenswert ist der tägliche Einsatz unserer Ärztinnen und Ärzte, die leider allzu oft unter arbeitswidrigen Umständen ihre Arbeit exzellent verrichten und so unsere Patienten niemals im Stich lassen. Lobenswert ist auch die Solidarität unter den Ärztinnen und Ärzten, so wie wir es beim Warnstreik im Wiener Krankenanstaltenverbund zuletzt in Wien gesehen haben. Unzufrieden bin ich mit der Zusammenarbeit mit der Politik und der Sozialversicherung. Hier könnte man viel mehr bewegen. Aber oft scheitert es leider am Geld, an persönlichen Befindlichkeiten sowie am „Revierdenken“. Es sollte jedenfalls allen bewusst sein: Gesundheit kann man nicht mit Geld messen.
Pflege Professionell: Wo liegen derzeit die wichtigsten Arbeitsfelder?
Thomas Szekeres: Unsere derzeit wichtigsten Arbeitsfelder sind einerseits, für die bereits tätigen Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung zu stehen, anderseits aber auch für die Jungmediziner ein kompetenter Ansprechpartner zu sein, denn sie sind unsere Zukunft. In der Praxis heißt das, dass wir ständig dafür kämpfen, das Arbeitsumfeld für die Kollegenschaft zu optimieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen auf einem hohen Niveau bestehen bleibt. Schwierig wird es zusätzlich, wenn beide Themen ineinandergreifen. Beim Krankenanstaltenverbund beispielsweise kürzt man derzeit sehr viel Arbeitszeit ein, was gleichzeitig das derzeit arbeitende ärztliche Personal zusätzlich belastet sowie für die Jungen bedeutet, dass sie nicht mehr genügend Zeit für ihre Ausbildung bekommen. Hier müssen wir uns daher ganz besonders anstrengen, um gerechte Verhältnisse zu schaffen – und das tun wir auch. Im niedergelassenen Bereich sind die Herausforderungen im Prinzip dieselben, mit den großen Themenkomplexen Primary Health Care, überbordende Bürokratie sowie veraltete Leistungskatalog der Krankenkassen.
Pflege Professionell: Wie gut funktioniert die Vernetzung zwischen der Ärztekammer und den Ministerien?
Thomas Szekeres: Prinzipiell können wir mit jedem gut kooperieren und wir sind stets bemüht, einen offenen Gesprächskanal mit unseren jeweiligen Partnern zu pflegen. Die Herausforderung ist aber heutzutage leider für jeden die monetäre Situation. Da tun wir uns etwas leichter, weil wir oft in der fordern-den Position sind und sein müssen, da wir als eine Art Kontrollorgan der anderen staatlichen Institutionen darüber urteilen, wie gut oder schlecht diese die Bedürfnisse der Ärztinnen und Ärzte und der Patienten berücksichtigen. Dennoch – und ich kann mich hier nur wiederholen – ist es wichtig, sich ständig vor Augen zu führen, dass Gesundheit nicht (ausschließlich) wirtschaftlich gedacht werden darf. Gesundheit ist nicht wie ein beliebiges Unternehmen, bei dem ich nach Gutdünken einsparen oder investieren kann; es ist etwas, was konstant erhalten bleiben muss, und das auf einem lebenswerten Niveau. Was unsere Verhandlungspartner als „lebenswert“ empfinden, darüber müssen wir leider dann sehr oft streiten.
Pflege Professionell: Erhalten Sie eine entsprechende Unterstützung der anderen Berufsvertreter?
Thomas Szekeres: Man könnte staunen, woher oft Unterstützung kommt, wenn man etwas richtig tut. Bei unserem Streik und den Demonstrationen nahmen nicht nur die Ärztinnen und Ärzte des Wiener Krankenanstaltenverbunds selbst teil, sondern auch die Pflege, Ärztinnen und Ärzte aus anderen Häusern und Trägern, Medizinstudenten und sogar Patienten. Ich glaube ganz fest daran, dass man mehr erreichen kann, wenn man ein Ziel gemeinsam, statt einsam, verfolgt, und bin froh, Zeuge einer solchen Solidarität gewesen zu sein. Negativbeispiele hierzu findet man leider im Rahmen derselben Veranstaltungen auch: ein Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter im Vorfeld mit Disziplinarmaßnahmen einzuschüchtern versucht, eine Gewerkschaft, die den Streik gar nicht als solchen anerkennen wollte. Aber das hat leider damit zu tun, dass manche Berufsvertreter politische Ziele jenen ihrer Berufsgruppe vorziehen.
Pflege Professionell: Was bräuchten Sie an weiteren Mitteln, um die Situation zu verbessern?
Thomas Szekeres: Noch mehr Zusammenarbeit wäre gefragt. Eine Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft, Pflege und Patientenschaft würde uns alle unschlagbar machen. Unsere Krankenhäuser und unsere Ordinationen wären nur leere Hülsen ohne die Menschen, die darin täglich schwer arbeiten und um Leben und Tod kämpfen. Und sie wären auch inkomplett, wenn aus dieser Gruppe einer fehlte – auch wenn es bei den Patienten eher auf unfreiwillige Basis geschieht. Ich wünsche mir deshalb, dass die Vertreter aller drei Gruppen eng zusammenarbeiten, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.
Pflege Professionell: Wie sehen Sie die derzeitige Zukunft des Gesundheitswesens?
Thomas Szekeres: Die Zukunft des Gesundheitswesens ist derzeit ungewiss. Wir stehen vor einer Kreuzung: Wollen wir den Weg gehen, aufgrund von Sparmaßnahmen unser Gesundheitswesen weiter herunterzufahren? Oder wollen wir eine gesunde Bevölkerung, die einer lebenswerten Zukunft entgegensehen kann? Meine Antwort hierzu vermögen Sie zu erraten, jener manch anderer Player im Gesundheitswesen wird nicht so eindeutig sein.
Pflege Professionell: Wo sehen Sie die österreichische Ärzteschaft in zehn Jahren?
Thomas Szekeres: Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welchen Weg wir nach der bereits angeführten Kreuzung gehen werden. Gehen wir den Weg der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, wird es in zehn Jahren wohl düster aussehen: überfüllte Krankenhäuser, ganze Regionen ohne wohnortnahe Patientenversorgung, eine chronisch kranke Bevölkerung – Szenen, die man nur aus weit entfernten Ländern kennt. Gehen wir rechtzeitig den anderen Weg, haben wir alle noch eine Chance.
Pflege Professionell: Vor einiger Zeit wurde die Ärztegewerkschaft gegründet. Wie sehen Sie dieses Thema?
Thomas Szekeres: In Zeiten, wo manche Gewerkschaften nicht mehr 100-prozentig die Interessen ihrer Arbeitnehmer vertreten, so wie es zuletzt die younion in Wien in der Arbeitszeitdiskussion in den Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbunds vorgezeigt hat, ist es wichtig, dass jemand die Ärztinnen und Ärzte vertritt. Die Ärztekammer hat in diesem Fall bewiesen, dass sie gewerkschaftliche Aufgaben notgedrungen jederzeit übernehmen kann und dies auch weiterhin tun wird. Darüber hinaus freue ich mich über jede neu gebildete Gewerkschaft, die bereit ist, auch aktiv die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen, denn unsere Kolleginnen und Kollegen benötigen eine starke Vertretung.
Pflege Professionell: Welche Visionen haben Sie?
Thomas Szekeres: Vision und Leitbild der Ärztekammer ist, die Interessen aller Wiener Ärztinnen und Ärzte dynamisch zu vertreten und ihre Zukunft zu sichern. So nutzen wir alle Herausforderungen zur Gestaltung der Zukunft und übernehmen – wenn nötig – auch die Themenführerschaft im Gesundheitsbereich. Wichtig ist dabei, dass Ärztinnen und Ärzte sowie unsere Mitarbeiter entschlossen zusammenarbeiten. Die Basis unserer Arbeit bildet stets die ärztliche Ethik. Als Präsident der Ärztekammer stehe ich voll und ganz hinter dieser Vision und dem Leitbild der Ärztekammer.
Pflege Professionell: Was würden Sie gerne den Berufsgruppen des Gesundheitswesens abschließend mit auf den Weg geben?
Thomas Szekeres: Sprecht mit uns, kämpft mit uns. Als Einzelkämpfer werden wir viel weniger erreichen als gemeinsam. Oft mögen wir auf den ersten Blick unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgen, doch durch eine entsprechende konstruktive Diskussion können wir einen gemeinsamen Nenner miteinander finden. Es gibt keine unüberwindbaren Barrieren für ein Gesundheitswesen, das mit einer Stimme spricht. Nur gemeinsam sind wir stark – im Sinne der uns anvertrauten Patienten.