Wird bei Ihnen „Pflege“ ein Thema im Wahlkampf werden?
Ja, die Pflege ist für mich ein wichtiges Thema. Es geht nämlich um knapp 470.000 Menschen, die Pflegegeld beziehen, es geht um ihre Angehörigen und um die Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten. Die Pflege wurde die vergangenen Jahre unterfinanziert und die Probleme wurden verschwiegen. Es braucht daher konkrete Verbesserungen, wie die Valorisierung des Pflegegelds, die ich mitbeantragt habe, und es braucht eine Vision, wie ein Pflegesystem der Zukunft aussehen soll, das den Menschen, die Pflege brauchen, die optimale Versorgung – und das den Beschäftigten einen guten Arbeitsplatz – garantiert.
Was haben Pflegekräfte davon, sie zu wählen?
Ich trete für eine deutliche Aufwertung der Pflege ein. Das bedeutet erstens eine spürbare nachhaltige Erhöhung des Einkommens und zweitens eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Bei beidem wird direkt oder indirekt Steuergeld verwendet, von daher gibt es einen großen politischen Gestaltungsspielraum. Den will ich nutzen. Es geht nicht nur um Wertschätzung und Dank, sondern um verbesserte Arbeitsbedingungen und bessere Entlohnung für Pflegekräfte. Die Pflege braucht Zeit, deshalb ist es dringend notwendig diese auch mit den Pflegebedürftigen zu ermöglichen, anstatt im Minutentakt Aufgaben abhandeln zu müssen.
Wie wollen Sie die Arbeitssituation für Pflegefachkräfte verbessern?
Indem in die Arbeitsabläufe in der Pflege wieder ausdrücklich Zeit für die menschlichen Kontakte eingepreist wird, die den besonderen Charakter eines Pflegeberufs ausmachen. Er besteht eben aus mehr als aus einer Abfolge technischer Handgriffe. Und indem ich mich dafür einsetze, dass deutlich mehr Geld für die Pflege – zum Beispiel über den Pflegefonds – bereitgestellt wird, das dafür verwendet werden muss, die Entlohnung spürbar und deutlich zu verbessern.
Was wollen Sie für pflegende Angehörige tun?
Ich habe bereits Anträge im Nationalrat gestellt, die auf die Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger abzielen. Das Recht auf Pflegekarenz, eine Verlängerung der Dauer von Ersatzpflege und ein besseres Frühwarnsystem, wenn es um die 40.000 pflegenden Jugendlichen geht (young carer). Ich finde es nicht akzeptabel, dass Jugendliche pflegen müssen und mit ihren vielen kleinen und sehr großen Sorgen von der Politik so alleine gelassen werden. Da braucht es mehr als eine Telefonnummer, es braucht konkrete Unterstützung.
Meine hier genannten Anträge wurden übrigens allesamt entweder durch die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ vertagt oder niedergestimmt.
Wie stehen Sie zu einer Pflegekammer? Pro oder Kontra?
Ich denke, dass wir zur Bewältigung der Probleme in der Pflege nicht neue Institutionen brauchen, sondern mehr Geld und kämpferische Gewerkschaften beziehungsweise Beschäftigte. Allerdings trete ich für eine spürbare Demokratisierung in der Pflege ein. Daher habe ich einen Antrag für eine Sozialwahl bei den Sozialversicherungen eingebracht. Ähnlich wie bei der Arbeiterkammerwahl sollen die Verantwortlichen nicht von der Politik geschickt werden (was dieses ewige Umfärben nach sich zieht), sondern direkt von den Versicherten gewählt werden. Schließlich bezahlen wir alle ja unsere Beiträge. Deren Verwendung muss demokratisch kontrolliert werden.
Wie stehen Sie zur Akademisierung der Pflege?
Ich sehe zwei Seiten. Auf der einen Seite braucht der Pflegeberuf Fachkräfte. Der Fachkräftemangel betrifft daher die Pflege wesentlich. Und Fachkräfte brauchen eine gute und seriöse Ausbildung – und übrigens auch die Möglichkeit, permanent weiter zu lernen.
Auf der anderen Seite denke ich, dass dies nicht zwangsläufig in Form eines akademischen Studiums erfolgen muss. Eine geordnete, klar gegliederte Ausbildung an den Pflegefachschulen ist meines Erachtens nach viel wert.
Wie stehen Sie zum Lehrberuf Pflege?
Ich bin gegen die Pflegelehre mit 15 J. – wie übrigens die meisten Fachleute. Denn einem 15 oder 16-jährigen den täglichen Kontakt mit dem möglichen Tod der Patientinnen und Patienten zuzumuten – davon halte ich nichts. Für das Ausüben des Berufs – und auch für das Erlernen – braucht es schon eine gewisse Reife. Wenn dann wäre für mich ein Start mit theoretischer Ausbildung ab 15 j. und ab 17 Jahren dem vollen Einstieg in den Lehrberuf Pflege inklusive den tagtäglichen Schicksalen und auch dem Thema Tod vorstellbar.
Dürfen Ihrer Meinung nach Pflegekräfte eine eigenständige Pflegepraxis eröffnen?
Ich bin dafür, dass wir zuerst einmal das staatliche, steuerfinanzierte Pflegesystem in den Griff bekommen und deutlich attraktiver machen. Jede und jeder von uns kann von heute auf morgen zum Pflegefall werden. Und dann muss eine staatlich organisierte Pflegeversorgung bereitstehen. Zusätzliche private Angebote können gegeben sein, aber derzeit nicht das Hauptproblem. Der Staat muss eine hohe Qualität der Pflege für seine BürgerInnen garantieren können.
Wir hinken gegenüber den nordischen Ländern bei der Pflege um viele Jahre hinterher. Wie sehen sie hier von ihrer Seite her Unterstützungsmöglichkeiten?
Ich habe mir das Pflegesystem der nordischen Länder genau angesehen und es analysiert. Was wir daraus lernen können: Dort wird die Pflege kommunal organisiert. Die Leute vor Ort wissen halt am besten, wie es geht. Es gibt dort keinen künstlichen Markt mit zig Hilfsorganisationen, die sich mühsam koordinieren müssen. Pflege funktioniert dort aus einer Hand mit einer ersten Telefonnummer vor Ort, von wo aus dann alles weitere in die Hand genommen wird. Der Standard der Pflege ist in allen Regionen gleich hoch.
Nun kann man das System in Österreich nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Aber die Tendenz für eine Veränderung ist aus meiner Sicht klar. Die Aussage, mobil vor stationär, muss bedeuten, dass es eine aus Steuern finanzierte bedürfnisnahe Versorgung für alle braucht, die gleiche Leistungen unabhängig von Region und Geldbeutel bringt.
Die Pflege rutscht in einen Pflegenotstand. Jeden Tag gibt es 29 Pflegefälle mehr in Österreich. Das heißt wir haben zwischen 2017 und 2050 einen Zuwachs von 400.000 zu Pflegenden bei sinkenden Pflegefachkraftzahlen. Wo glauben sie liegt die Lösung?
Die Lösung ergibt sich aus all dem, was ich in meinen früheren Antworten schon aufgeführt habe: Mehr, und zwar deutlich mehr, Geld für die Pflege, das ich aus Vermögenssteuern erwirtschaften will, eine Verbesserung der Pflegeberufe beim Einkommen und bei den Arbeitsbedingungen. Und es braucht Vereinfachungen im Dschungel der Hilfsorganisationen und Zuständigkeiten.
Die Ärztekammer schafft es immer wieder bei den Gesetzen der Gesundheits- und Krankenpflege mitzubestimmen. Dies gilt auch für Paragraphen, die nichts mit der interdisziplinären Zusammenarbeit zu tun haben. Wie würden sie dies ändern?
Die Ärztekammer hat das Recht, in Form von Begutachtungen und Beratungen auf Gesetze Einfluss zu nehmen. Die Beschäftigten in der Pflege müssen ihre Interessen selber in die Hand nehmen, sich organisieren und dann Einfluss nehmen. Da gibt es ja durchaus Ansätze. Selbstorganisation in der Pflege ist wichtig, und es gibt auch politische Kräfte in diesem Land, die darauf sensibel reagieren. Geschenkt bekommt man in der Pflege indessen nix. Daran würde auch eine Pflegekammer nichts ändern.
Trotz Gesetz GuKG Novelle 2016 gibt es noch immer keine School Nurses und keine Weiterverschreibungsmöglichkeiten (Inkontinenzprodukte,..) von Pflegekräften. Wann und was wird sich da unter ihrer Regierung ändern?
Ich bin eher skeptisch, wenn auf eine Krise – und die gibt es im Bereich der Pflege – mit neuen Berufsbildern reagiert wird. So wie man School Nurses versteht, geht es darum, im Bereich der Vorsorge mehr zu tun. Das unterstütze ich natürlich. Allerdings habe ich da keine Hoffnungen, dass durch School Nurses oder durch den neuen Studiengang der „Advanced Practice Nurses“ die Zahl der Pflegefälle signifikant sinken wird. Dennoch: Vorsorge ist wichtig, und je mehr Qualitätszeit ein Mensch zur Verfügung hat, umso besser.
Kurzum: Ich würde mir die Argumente für die neuen Berufsbilder anhören, mit den Betroffenen reden und dann entscheiden, wie deren positive Beitrag zu einem sehr guten Pflegesystem aussehen kann.
(Hintergrund dazu: https://pflege-professionell.at/die-zukunft-der-advanced-practice-nurse-in-oesterreich)
Wie sehen Sie die Nutzung von Fachkräften aus dem Ausland? (Nicht gemeint sind die 24 Betreuungen, sondern diplomiertes oder akademisiertes Personal).
Da kann das skandinavische Modell wiederum modellgebend sein. Dort ist die Ausbildung vereinheitlicht und standardisiert – nach einem sehr hohen Standard. Wer – egal woher er oder sie kommt – in diesen Berufen arbeiten möchte, muss diese Ausbildungen durchlaufen oder vergleichbare Standards mit sich bringen.
So wünsche ich es mir auch in Österreich.
Danke für das Interview. Was wollen Sie unserer Leserschaft abschließend mitgeben?
Sie sollen sich nicht mit billigen Wahlkampfslogans abspeisen lassen, wenn es um die Pflege geht. Klar ist, dass jede Verbesserung etwas kosten wird. Wenn wir eine qualitativ hochwertige Pflege für alle wollen, kann dies nur steuerbasiert passieren.
Wer also die Pflege verbessern will, muss sagen, woher er das Geld dafür nehmen möchte. Achten Sie darauf – und treffen Sie dann ihre Entscheidung.