Interview mit Bundesminister Johannes Rauch

13. Juni 2022 | Pflegende Angehörige, Politik | 0 Kommentare

In den letzten Monaten gab es zwischen der Pflegewelt und dem Bundesminister kaum Kontakt. Doch dies sollte sich abrupt mit dem neuen Bundesminister (Johannes Rauch) in kürzester Zeit ändern. Der neue Minister besuchte unterschiedliche Pflegeveranstaltungen, um direkt mit den Pflegepersonen in Kontakt zu treten. Es wurde klar signalisiert: Man ist bereit gemeinsam an Zielen zu arbeiten, um Veränderung zu bringen. Der Bundesminister nahm sich natürlich ausreichend Zeit, auch unsere direkten Fragen zu beantworten.

Sie sind nun der dritte Bundesminister in einer Legislaturperiode. Während Rudi Anschober die Kommunikation mit der Pflege wertschätzend gesucht hat, hatte Wolfgang Mückstein eher einen komplett anderen Weg. Wie können wir sich Ihre zukünftige Art vorstellen, die Sie mit der Pflege anstreben wollen?

Die Kommunikation mit Mitarbeitenden der Pflege und den Pflegebedürftigen selbst ist mir ein großes Anliegen. Nur so, können wir von der Praxis lernen und sinnvolle Reformmaßnahmen setzen. Daher suche ich den Kontakt zu Stakeholdern und besuche Pflegeeinrichtungen, auch in den Bundesländern. Dies empfand ich stets als besonders bereichernd. Zu meinem Eindruck: Wie soll Pflege sein? Individuell, mit viel Zeit für die Menschen, dennoch qualitätsgesichert, durch unterschiedliche Berufsbilder geprägt, vom Besuchsdienst über pflegerische Betreuung bis hin zur besseren Berücksichtigung der sozialen Unterstützung in der Langzeitpflege. Für die Mitarbeitenden wünsche ich mir eine gute Work-Life-Balance, faire Entlohnung, gute Arbeitsbedingungen. Dafür brauchen wir einen raschen Ausbau der professionellen Pflege. Das entlasten auch die pflegenden Angehörigen, die so viel dieser wertvollen Arbeit unentgeltlich leisten. Dafür müssen wir bei der Ausbildung starten. Mein Ziel ist es, im Pflegebereich nachhaltige Verbesserungen herbeizuführen.

Sie kommen aus dem Sozialbereich. Was nehmen Sie sich für ihren Sie kommen aus dem Sozialbereich. Was nehmen Sie sich für ihren neuen Beruf daraus mit?

Das Ministerium, das ich im März übernehmen durfte, vereint mannigfaltige Bereiche, unter anderem die für mich sehr spannende Kombination von Sozialem und Gesundheit. Das persönliche Wohlbefinden ist Grundlage für individuelle Weiterentwicklung, Zufriedenheit und ein erfülltes Leben – dabei spielen nicht nur gesundheitliche, sondern auch soziale Faktoren eine Rolle. Das weiß ich aus meiner Zeit als Sozialarbeiter. Hier gilt es Verbesserungen für uns alle herbeizuführen. Dazu will auch ich beitragen.

„Klatschen alleine reicht nicht“. Unter diesem Motto haben Sie die lang versprochene Pflegereform vorgestellt. Löst Ihre Pflegereform endlich den Fachkräftemangel in Österreich?

Die Pflegereform war bereits überfällig. Wir haben in Österreich einen Personalmangel in der Pflege, eine Überlastung des Personals und häufig auch von pflegenden Angehörigen. Die Belastungen waren bereits vor der Pandemie hoch, und mir ist bewusst, dass hier in den letzten zwei Jahren besonders viel geleistet wurde. Mir war es daher ein persönliches Anliegen, hier rasch ein Paket auf den Weg zu bringen. Ich freue mich sehr, dass wir uns nach intensiven Verhandlungen mit dem Koalitionspartner auf das größte Reformpaket für die Pflege der letzten Jahrzehnte einigen konnten. Wir nehmen in den kommenden zwei Jahren insgesamt 1 Milliarde Euro zusätzlich in die Hand, um die Rahmenbedingungen in diesem Bereich mit insgesamt 20 verschiedenen Maßnahmen deutlich zu verbessern: Jeder und jede einzelne Mitarbeiter:in in der Pflege bekommt mehr Gehalt und eine zusätzliche Woche Freizeit. Es gibt es einen Ausbildungsbonus und ein Pflegestipendium von 1.400 Euro netto pro Monat. Auch für Menschen, die zuhause betreut werden, gibt es eine Reihe von Verbesserungen. Mit dieser Pflegereform lösen wir zwar nicht alle Probleme sofort, aber es ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Kritisiert wird der kurzfristige Charakter Ihrer Pflegereform. Haben Sie eventuell „zu kurz“ gedacht?

Die Pflegereform sieht eine Fülle von Maßnahmen vor, die in allen Bereichen der Pflege spürbare Verbesserungen bringen. Sie ist ein guter, wichtiger und notwendiger Beginn. Bis zum Ende der Legislaturperiode nehmen wir für die Finanzierung der Maßnahmen viel Geld in die Hand, im Zuge des Finanzausgleichs wird mit den Ländern dann die weitere Finanzierung geklärt. Ich bin mir aber sicher: Niemand wird sich trauen, diese Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Und das ist auch gut so.

Die Community Nurse wurde durch EU Gelder finanziert. Dies ist zeitlich begrenzt. Sobald die EU Gelder weg sind, braucht es eine neue Finanzierung. Haben Sie hierzu schon einen Plan?

Was das Projekt Community Nursing auszeichnet, ist die Kooperation der verschiedenen Stakeholder im Bereich der Pflege. Während das Projekt auf Bundesebene erarbeitet und durch die EU finanziert wurde, wäre eine erfolgreiche Umsetzung ohne die konstruktive Zusammenarbeit der Länder, Gemeinden und Städte mit dem Bund nur schwer möglich. Durch die Konzeption der Pilotprojekte können regionale Besonderheiten und Rahmenbedingungen berücksichtigt und gleichzeitig ein einheitliches Verständnis von Community Nursing etabliert werden. So soll erreicht werden, dass das Projekt bundesweit den Bedarfen der Bevölkerung entspricht. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Weiterentwicklung des Pflegevorsorgesystems von guter Zusammenarbeit abhängt und hoffe daher, dieses Projekt kann als leuchtendes Beispiel dafür dienen, was durch gemeinsames Handeln möglich ist. In diesem Sinne werde ich mich selbstverständlich für die Erhaltung und Finanzierung der Projekte auch über die Pilotierungsphase hinaus einsetzen.

Bleiben wir weiterhin beim Thema Community Nurse. Die Community Health Nurse, ist in allen anderen Ländern ein Studium, da es um hochkomplexe Situationen geht und die Personen ein erweitertes Tätigkeitsfeld bzw. Berechtigungen besitzen. Angeblich sollte es auch später eine Community Health Nurse auch als Folgeprojekt geben. Was haben Sie hierfür für Pläne?

Jetzt gilt es primär dieses wichtige Projekt Community Nursing durchzuführen. Die Erfahrungen werden zeigen, welche notwendigen nächsten Schritte wir setzen sollten. Ein Projekt zur Erarbeitung eines Qualifikationsprofils Community Health Nursing wurde von meinem Vorgänger in Auftrag gegeben und wird aktuell von der GÖG erarbeitet.

Wird es durch Sie bundesweit einheitliche dementsprechende Anpassungen in der Kompetenz-Aufteilung zwischen Medizin und Pflege und in der Entlohnung geben?

Zunächst ist hervorzuheben, dass die laufende GuKG-Evaluierung fachliche Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen für Reformmaßnahmen betreffend die Gesundheits- und Krankenpflegeberufe ist. Aktuell prüfen wir die zwischenzeitlich erzielten ersten Ergebnisse der Evaluierung und darauf aufbauend, können Entscheidungen die Kompetenzen betreffend getroffen werden. Wenn es um Fragen der Entlohnung oder des Personalschlüssels geht, sind neben den Ländern, auch die Arbeitgeber:innen gefragt. Mit all diesen Stakeholdern sind wir in einem Austausch, um nachhaltige Verbesserungen für das Personal herbeizuführen.

Es drängt sich daher die dringende Fragestellung auf, welche konkreten Finanzierungsmodelle für die Versorgung für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen sind geplant? Und in welchem Zeitraum werden diese umgesetzt?

Die Finanzierungsmodelle der psychiatrischen Versorgung sind vielfältig und funktionieren in ihren jeweiligen Bereichen prinzipiell gut. Die Finanzierung der Versorgung im Bereich der Krankenanstalten ist durch die jeweilig zuständigen Landesgesundheitsfonds und die Abrechnungsregelungen im Bereich der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) ausreichend geregelt. Die Finanzierung der Versorgung im extramuralen ambulanten Bereich erfolgt durch die jeweilig zuständigen Krankenversicherungsträger. Auch hier gibt es entsprechende Honorarkataloge, die die Abrechnung von Leistungen der Psychiater, der Psychotherapeuten etc. regeln. Allerdings stimmt es schon, dass die Versorgungsangebote vor allem außerhalb der Krankenanstalten noch ausbaufähig sind, insbesondere im Bereich der Psychotherapie und der psychosozialen Versorgung. Hier müssen wir sicherstellen, dass tatsächlich alle Menschen, die eine Behandlung benötigen, diese möglichst schnell, unkompliziert und kostenfrei erhalten können. Ich weiß, dass die Sozialversicherung in den letzten Jahren hier sehr bemüht, das Angebot auszubauen.

Wie wird in Zukunft die wichtige fachliche und ethische Perspektive der Pflege in den Entscheidungs-, Gesetzgebungs- und Diskussionsgremien gesichert sein z.B. Österreichische Bioethikkommission, Corona Task Force, Arbeitsgruppen zu Public Health Maßnahmen, Gesetzgebung zum assistierten Suizid und vieles mehr?

Ich denke Auswirkungen auf das Pflegesystem und auf Personen mit Pflegebedarf bei allen Entscheidungen mit, die über meinen Tisch gehen. Dieses Bewusstsein möchte ich auch bei anderen weiter schärfen. Klar ist, dass uns das Pflegethema weiterhin beschäftigen wird. Dafür sorgen die Auswirkungen des demografischen Wandels und der dadurch bedingten strukturellen Änderungen im Bereich der Langzeitbetreuung und -versorgung älterer Menschen. Das müssen wir bei sämtlichen gesellschaftspolitischen Entscheidungen im Kopf haben.

Welche Vision von Altenpflege haben Sie?

Menschen sollen dort gepflegt und betreut werden, wo die Bedürfnisse am besten erfüllt werden. Wie ich bereits erwähnt habe, ist die individuell unterschiedlich. Sicher ist jedoch, dass wir uns für die Menschen Zeit nehmen müssen und soziale Unterstützung dabei eine wesentliche Rolle spielt. Dabei brauchen wir die Einbindung unterschiedlicher Berufsbilder. Aufgabe der Politik ist es dafür zu sorgen, dass es ausreichend professionelle Betreuer:innen gibt und gleichzeitig das Angebot für alle leistbar ist.

In Österreich werden bereits Advanced Practice Nurses auf Masterniveau ausgebildet. Wenn die neuen Rollen der Pflegexpert*innen im GuKG verankert werden, sollten die Tätigkeitsfelder, Kompetenzen und Ausbildungsform auch von den jeweiligen Expert*innen der Pflege definiert werden. Ist das von Ihnen vorgesehen und wenn ja, wie werden Sie die Spezialist*innen hinzuziehen und in den Prozess miteinbinden?

Ich sehe es als meine Verantwortung als Gesundheits- und Sozialminister, auch einen Beitrag zur Attraktivierung der Pflegeberufe in Österreich und somit auch zu ihrer Weiterentwicklung zu leisten. Nicht zuletzt ist dies ein wesentlicher Baustein zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in Österreich.

24 Stunden BetreuerInnen: Welche Schritte planen Sie – um diese von den Klientinnen und Klienten sowie deren Angehörige geschätzte und nachweislich gut funktionierende Betreuungssystem – einem größeren Teil unserer betreuungsbedürftigen Personen zugänglich zu machen?

Wir wissen, dass es der Wunsch einer großen Zahl der Bevölkerung, nach Möglichkeit in den eigenen vier Wänden gepflegt und betreut zu werden. Die 24-Stunden-Betreuung hat sich als bedeutsames Instrumentarium im Rahmen der Betreuung zu Hause etabliert. Es gibt seit 2007 ein gutes Fördermodell, das auch gut angenommen wird. Bei der Weiterentwicklung der 24-h-Betreuung stehen qualitätssichernde Maßnahmen im Vordergrund. Aktuell gibt es die Möglichkeit für Agenturen, sich zu Qualitätssicherungsmaßnahmen zertifizieren zu lassen. Diese Vermittlungsagenturen verpflichten sich freiwillig zu umfassenden Qualitätssicherungsmaßnahmen und entsprechen damit über dem Gesetz hinausgehenden Qualitätsstandards.

Wird es einen digitalen MUKI-Pass in naher Zukunft geben, und wird dieser dann mit Elga verknüpft? Wie weit ist die Entwicklung und Umsetzung?

Die Weiterentwicklung des Mutter-Kind-Passes hin zu einer elektronischen Dokumentations- und Informationsplattform hat dieses Jahr begonnen und soll zum Jahresende 2026 umgesetzt werden. Dafür stehen Gelder aus dem EU Resilienzfonds zur Verfügung. Das Konzept für die technische Infrastruktur wird derzeit in Abstimmung mit dem Familienministerium und der Sozialversicherung entwickelt.

Kann die Hebammenbegleitung der Frauen nach Fehlgeburten in den ersten 12 Wochen, von der ÖGK wieder übernommen werden? In Deutschland ist dies üblich und bis 1985 war dies auch in Österreich Standard.

Ich möchte hier gerne auf die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verweisen, die gerade einen Gesamtvertrag mit den Hebammen verhandelt. Grundsätzlich ist es so, dass nach dem System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Hebammenbetreuung auf Kosten der Krankenversicherung bei einer Fehlgeburt nicht möglich ist. Sollten nach einer Fehlgeburt gesundheitliche Beeinträchtigungen bestehen, kann aber natürlich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Im Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit besteht Anspruch auf Krankengeld.

Was wollen Sie der Pflege und den anderen Gesundheitsberufen mit auf den Weg geben?

Als Gesundheitsminister ist es mir ein großes Anliegen, mich bei den Mitarbeiter:innen in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens und des Pflegebereichs für ihren unermüdlichen Einsatz, den sie im Speziellen seit Beginn der Pandemie leisten, zu bedanken. Ich möchte dabei keine Berufsgruppe hervorheben, aber auch keine Berufsgruppe vergessen. Ihnen allen gemeinsam gebührt mein aufrichtiger Dank! Sie, die Gesundheitsberufe, sind die zentrale Säule zur Bewältigung der Pandemie. Sie haben gemeinsam trotz der enormen Herausforderungen und Risiken der Pandemie die Versorgung der Menschen in bestmöglicher Form aufrechterhalten, dies in stationären Einrichtungen, wie auch im mobilen und im ambulanten Bereich, in den Test- und Impfzentren, in den Apotheken, in den zahlreichen Labors. Das Pflegepersonal hat sich gerade in der jüngsten Vergangenheit wieder Gehör verschafft. Sie stoßen bei mir nicht auf taube Ohren, ich höre Sie und ich habe mir Verbesserungen im Pflegebereich als klares Ziel gesetzt.

 

Autor:in

  • Markus Golla

    Studiengangsleiter "GuK" IMC FH Krems, Institutsleiter Institut "Pflegewissenschaft", Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegewissenschaft BScN (Umit/Wien), Pflegewissenschaft MScN (Umit/Hall)