Inklusion von Kindern mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen im Schulsystem

4. Juli 2016 | Diabetes, Fachwissen | 0 Kommentare

Kinder und Jugendliche, welche auf Grund einer chronischen oder palliativen Erkrankung bzw. einer Behinderung auf regelmäßige medizinische und/oder pflegerische Maßnahmen angewiesen sind, benötigen diese auch in Kindergärten oder Schulen. Dabei stoßen sie und ihre Eltern an gesetzliche, finanzielle oder persönliche Grenzen des pädagogischen Systems. Jedes Kind hat das Recht sich entsprechend seiner/ihrer Möglichkeiten zu entwickeln (Vgl. Artikel 1, BVG Kinderrechte), auf Grund der „Abnabelung“ verbessert sich die Eltern-Kindbeziehung. In Zeiten der Inklusion sollte jedes Kind die für sich passende Einrichtung besuchen dürfen. Betroffene Eltern müssen in vielen Regionen für einen Schulbesuch/Kindergartenplatz kämpfen, dabei geht es auch immer um die Ängste bezüglich des eigenen Arbeitsplatzes, die Entlastung und um eine Finanzierung. Viele Eltern fordern die Kostenübernahme über die öffentliche Hand, in fast allen Bundesländern müssen sie für die Betreuung durch eine DKKS einen Teil der Kosten übernehmen. PädagogInnen sollen zusätzlich zu den Anforderungen ihres Berufsalltags Tätigkeiten übernehmen, welche nicht zu ihrem Bereich gehören. Geringe Zeitressourcen, zu wenig Informationen über die Erkrankung oder die Angst vor falschen Entscheidungen ohne rechtliche Absicherung führen dazu, dass PädagogInnen die Übernahme der Tätigkeiten ablehnen. Dies führt manchmal dazu, dass in einer Klasse ein chronisch erkranktes Kind anwesend sein kann, und in der anderen Klasse die Aufnahme verweigert wird.

Seit 1999 betreuen die verschiedenen Vereine der mobilen Kinderkrankenpflege in ganz Österreich Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr. Sehr bald wurde erkannt, dass sich die Hauskrankenpflege bei Kindern und Jugendlichen nicht nur auf das eigene Zuhause beschränkt, sondern die diplomierten Kinderkrankenpflegepersonen (DKKS) auch in Kindergärten, Schulen und Horten Leistungen übernehmen müssen. Für eine Enquete wurde seitens der Verfasserin eine Mailanfrage an die – in der Arbeitsgruppe des Berufsverbands der Kinderkrankenpflege Österreich (BKKÖ) vertretenen – 13 Vereine durchgeführt. Dabei wurden unter anderem die durchgeführten Leistungen in den Einrichtungen erfragt. Acht Organisationen gaben die in Abb.1 angeführten Tätigkeiten an.

Die Betreuung findet punktuell statt oder kontinuierlich während des ganzen Tages statt. In Wien werden aktuell zwölf Kinder punktuell betreut. Dies sind Kinder/Jugendliche welche täglich mehrmals katheterisiert werden müssen, spezielle Medikamente benötigen oder bei denen ein Verbandwechsel angeordnet ist. Kolleginnen, welche hier tätig sind, fahren oft zwischen zwei Schulen hin- und her und versorgen die Kinder (Abb.2).

Fünf Kinder/Jugendliche werden aktuell kontinuierlich betreut. Diese sind entweder Heimbeatmet, benötigen im Krampfgeschehen akute Notfallshilfe, oder müssen bei Bedarf abgesaugt werden. Hier übernimmt die DKKS das Kind entweder von den Eltern oder dem Fahrtendienst und ist die ganze Schulzeit in der Klasse oder in Rufnähe.

Weiters finden monatlich durchschnittlich vier bis sechs kurzfristigen Betreuungen in Kindergärten/Schulen statt, hier betrifft es vor allem Kinder/Jugendliche mit Erstmanifestation Diabetes. Eine ausgebildete Diabetesberaterin des Vereins schult die Pädagogen und begleitet sie über 2-3 Wochen zur Unterstützung.

Es müssen viele Herausforderungen, Ängste und Wünsche bewältigt werden, das Verständnis für die vorhandenen Probleme und Möglichkeiten der „anderen Seite“ war/ist nicht immer vorhanden. Vor allem die medizinisch/pflegerischen Aspekte sorgen für Unsicherheiten auf Seiten der PädagogInnen und tragen zum Spannungsfeld mit den Eltern bei. Invasive Tätigkeiten wie katheterisieren, Tracheostomaversorgung oder der Umgang mit Beatmungsgeräten gehören in den Bereich der professionellen Pflege, also der DKKS. Bei anderen Tätigkeiten sind die Voraussetzungen in den unterschiedlichen Kindergarten- und Schulsystemen zu berücksichtigen.

In allen Bundesländern ist die Betreuung der betroffenen Kinder derzeit von verschiedenen Faktoren abhängig. Es hängt es vom Bundesland ab, ob die Kosten für die DKKS finanziert werden. Es gibt Bundesländer, welche aus Kostengründen weniger qualifiziertes Personal einsetzen oder die Leistung in den Einrichtungen überhaupt nicht zahlen. In vielen Bundesländern haben die Eltern derzeit einen Selbstbehalt für die Leistung, daher beeinflusst auch die finanzielle Situation der Familie die Intensität. Aus der Erfahrung und Beobachtung heraus bemerken die Hauskrankenpflegevereine im Kinder/Jugendlichenbereich, dass der Bedarf um einiges höher ist, aber viele Familien das Angebot nicht annehmen.

Welche Modelle und Voraussetzungen wären für die Zukunft notwendig?
In Einrichtungen mit einem hohen medizinisch/pflegerischen Bedarf muss eine DKKS fix angestellt werden. Sie übernimmt die Durchführung aller anfallenden Tätigkeiten der Schülerinnen und Schüler, eventuell mit Unterstützung durch eine Pflegehelferin. Eine andere Möglichkeit ist die „variable Schoolnurse“. Sie ist – abhängig von den Schultypen – für mehrere Schulen tätig. Bei aktuellem Bedarf – z.B. bei einer Neumanifestation Diabetes Typ I – kann sie angefordert werden. Sie besucht aber regelmäßig alle Schulen und Kindergärten in ihrem Bereich um gesundheitsfördernde Maßnahmen zu begleiten, bzw. Pflegeprobleme zu erkennen/beurteilen.

Dafür sind folgende Kriterien für die Zusammenarbeit notwendig:

  • Ein entsprechender Arbeitsplatz muss gewährleistet sein
  • Zusammenarbeit mit den Schulärztinnen/-ärzte und den Pädagoginnen/Pädagogen. (klare Definition der Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten)
  • Regelung der Finanzierung (keine Selbstbehalte für Familien)
  • Schulung und Fortbildungen von PädagogInnen
  • Begleitung durch Fachpersonal
  • Rechtliche Absicherung
  • Zusätzliches Personal (PädagogInnen, Laien,…)
  • Zusätzliche Unterstützung bei Ausflügen, Schulwochen….

Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sehen sich selbst nicht unbedingt als krank oder behindert an, für sie ist es der ganz normale Alltag. Behindert – und manchmal auch ausgegrenzt – werden sie durch die vorhandenen Rahmenbedingungen. Daher liegt es an uns allen, sich mit aller Kraft einzusetzen, dass diese Bedingungen geändert und die notwendigen Ressourcen geschaffen werden.

Da in der Hauskrankenpflege bei Kindern/Jugendlichen nur weibliche Personen tätig sind, wurde in diesem Fall auf das Gendern verzichtet.

Abbildung 1: Umfrage bei Organisationen der Hauskrankenpflege für Kindern und Jugendliche in Österreich; Durchgeführt durch Gabriele Hintermayer, MSc, MOKI-Wien für eine Präsentation bei der parlamentarischen Enquete im April 2015
BGBl. I Nr. 4/2011 (NR: GP XXIV IA 935/A AB 1051 S. 93. BR: AB 8443 S. 793.): Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, Fassung vom 14.04.2016

 

Der Artikel wurde zuerst in der Ausgabe Pflege Professionell 4/2016 publiziert.

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